Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung der Tarifnrn. 67.03 und 67.04 GZT voneinander.

 

Normenkette

GZT Tarifnr. 67.03; GZT Tarifnr. 67.04; ErlGZT zur Tarifnr. 67.03; Brüsseler Erl. zu Tarifnr. 67.03; Brüsseler Erl. zu Tarifnr. 67.04

 

Tatbestand

Die Klägerin beantragte im Oktober 1968 bei der Oberfinanzdirektion (OFD) eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über eine Ware mit der handelsüblichen Bezeichnung „halbfertige Wimpernstreifen aus Menschenhaar”, geknüpft auf Nylon- oder Seidenläden, mit Ursprungsland Spanien und Korea. Die Ware soll zur Herstellung von künstlichen Wimpern verwendet und in den Versandverpackungen lose eingeführt werden.

Die OFD wies das Erzeugnis in ihrer vZTA vom 13. November 1968 als „Waren aus Menschenhaaren (halbfertige Wimpernstreifen – nicht vorgeschnitten)” der Nr. 67.04 des Zolltarifs (ZT) zu. Der Einspruch, mit dem die Klägerin Zuweisung der Ware zur Tarifnr. 67.03 begehrte, hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage wird beantragt, unter Aufhebung der vZTA und des Einspruchsbescheids die Beklagte zu verpflichten, die Ware der Tarifnr. 67.03 zuzuweisen, hilfsweise, unter Aufhebung der vZTA und des Einspruchsbescheids die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Klägerin macht zunächst geltend, daß die OFD den Grundsatz rechtlichen Gehörs verletzt habe, weil ihr die gutachtlichen Stellungnahmen zweier gehörter Verbände vor Erteilung der vZTA nicht mitgeteilt worden seien.

Die zu tarifierenden Haare, die eine Länge von 5,7 cm (nicht vorgeschnitten) hätten, gehörten zur Tarifnr. 67.03, wo Menschenhaare, gleichgerichtet oder in anderer Weise zugerichtet, aufgeführt seien, während in der Tarifnr. 67.04 Perücken, anderer Haarersatz, Locken und dergleichen, aus Menschenhaaren, und andere Waren aus Menschenhaaren (einschließlich Haarnetze aus Menschenhaaren) genannt seien. Nach den Erläuterungen – gemeint sind wohl die zum Deutschen Zolltarif (DZT) – zur Tarifnr. 67.03 seien Menschenhaare gleichgerichtet, wenn sie in der natürlichen Wuchsrichtung parallel zueinander gelegt seien. Andere Zurichtungsarbeiten sollten beispielsweise Verdünnen, Entfärben, Bleichen, Färben, Kräuseln und Wellen sein. Nach den Erläuterungen zur Tarifnr. 67.04 gehörten hierher gebrauchsfertige Perückenmacherwaren aus Menschenhaaren wie Perücken, Bärte, Augenbrauen, Augenwimpern, Locken, Flechten, Zöpfe, Knoten, Haartollen. Alle diese Waren sollten sich durch verhältnismäßig sorgfältige Ausführung kennzeichnen.

Die strittigen Streifen gehörten nicht zur Tarifnr. 67.04. Das ergebe sich aus dem Wortlaut dieser Vorschrift sowie den Erläuterungen hierzu, und zwar selbst dann, wenn man berücksichtige, daß nach den Erläuterungen zur Allgemeinen Tarifierungs-Vorschrift (ATV) 1 Abs. 3 alle Warenaufzählungen in den Erläuterungen als beispielhaft anzusehen seien. Aus den in der Tarifnummer selbst verwendeten Begriffen ergebe sich, daß hier Artikel gemeint seien, die an den Endverbraucher abgegeben werden könnten. Entsprechend sei in den Erläuterungen zur Tarifnr. 67.04 von gebrauchsfertigen Perückenmacherwaren die Rede. Solche seien Erzeugnisse eines Perückenmachers, die dieser an Endverbraucher abgebe, nicht aber Waren, die für den Perückenmacher bestimmt seien. Um solche handle es sich aber bei den hier fraglichen Streifen. Bis zur Herstellung von fertigen Wimpern aus den Streifen seien noch 39 Arbeitsvorgänge erforderlich. Über den tatsächlichen Umfang der noch erforderlichen Arbeiten könne man sich nur dann ein zutreffendes Bild machen, wenn man sie an Ort und Stelle gesehen habe. Der Wert der Streifen erreiche bei weitem nicht den Betrag, der von der Klägerin noch aufzuwenden sei, um aus den Streifen fertige Wimpern herzustellen.

Der von der OFD behauptete Grundsatz, unfertige Waren seien wie die fertigen zu tarifieren, sofern keine besondere Bestimmung etwas anderes besage und die endgültige Form der Waren schon zu erkennen sei, sei grundsätzlich nirgends niedergelegt. Aus dem Wegfall der Nr. 6 der ATV zum DZT 1951 sowie aus der Tatsache, daß lediglich noch an bestimmten Stellen im ZT bzw. den Erläuterungen Vorschriften über die Tarifierung von halbfertigen Erzeugnissen enthalten seien, lasse sich sogar entnehmen, daß ein solcher allgemeiner Grundsatz nicht mehr gelten solle. Rechtliche Grundlage für einen derartigen Grundsatz könnte allein das Rechtsinstitut der Analogie sein. Im Streitfalle könnte jedoch allenfalls eine analoge Anwendung der Tarifnr. 67.03 in Betracht kommen, wenn man nicht sogar davon ausgehen müsse, daß diese Tarifnummer unmittelbar auf die fraglichen Streifen anzuwenden sei.

Die Auffassung der OFD, daß das enge Verknoten von Garn am Nylonfäden einen Verarbeitungsvorgang darstelle, durch den eine Ware anderer Marktgängigkeit entstehe, sei unzutreffend. In Betracht kommender Markt für ihre Abnahme sei weiterhin der Markt der Hersteller von Perückenmacherwaren, und zwar insbesondere der Markt von Herstellern künstlicher Wimpern, da aus dieser Sorte Haar ohnehin andere Waren, wie etwa Perücken, nicht herzustellen seien.

Die von der Verwaltung gehörten Verbände könnten nicht über nennenswerte Sachkenntnisse hinsichtlich der Herstellung von künstlichen Wimpern verfügen. Wenn die OFD ausführe, daß die Gutachten bei der Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen seien, frage man sich, aus welchem Grunde sie eingeholt worden seien.

Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem Einspruchsbescheid und führt ergänzend dazu aus, vor Erlaß des Einspruchsbescheids sei der Klägerin mitgeteilt worden, daß sich die beiden gehörten Verbände für eine Zuweisung der Ware zur Tarifnr. 67.04 ausgesprochen hätten. Von Fachverbänden eingeholte Gutachten über die Tarifierung von Waren seien für die Verwaltung nicht bindend. Im Streitfalle seien die beiden Gutachten deshalb nicht von ausschlaggebender Bedeutung für die Entscheidung gewesen, weil nach den gesetzlichen Vorschriften die Tarifierung zweifelsfrei gewesen sei. Der Auffassung der Klägerin, unfertige Wimpernstreifen könnten nur dann der Tarifnr. 67.04 zugewiesen werden, wenn nur noch unerhebliche zusätzliche Arbeiten erforderlich seien, könne nicht gefolgt werden. Die Anwendung eines derartigen Grundsatzes bei der Tarifierung von nicht fertigen Erzeugnissen würde in der Abfertigungspraxis zu den verschiedensten Tarifierungsergebnissen führen, da dann die Abfertigungsbeamten nach freiem Ermessen zu entscheiden hätten, was als „erhebliche” oder „unerhebliche” zusätzliche Arbeit anzusehen sei.

Da die Auszählung in den Erläuterungen zur Tarifnr. 67.04 durch das Fehlen des Wortes „nur” nicht erschöpfend sei, ließen diese Erläuterungen neben der Zuweisung der genannten Fertigerzeugnisse auch die Zuweisung von halbfertigen Waren aus Menschenhaar zur Tarifnr. 67.04 zu, zumal die halbfertigen Wimpernstreifen ihre endgültige Form und ihren einzig möglichen Verwendungszweck bereits erkennen ließen.

Da sich die Ware als ein Erzeugnis darstelle, das durch Nebeneinanderknüpfen von Menschenhaaren auf einem Nylonfaden entstanden sei, könne wohl nicht bestritten werden, daß keine „Menschenhaare” im Sinne der Tarifnr. 67.03, sondern „Waren (wenn auch unfertige) aus Menschenhaaren im Sinne der Tarifnr. 67.04 vorlägen. Man könne grundsätzlich nicht sagen, daß zwischen dem Fertigungsstand der zu den beiden Tarifnummern gehörenden Waren generell nur ein geringer Abstand bestehe.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Rüge der Klägerin, der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs sei verletzt worden, weil ihr die Gutachten der beiden von der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) gehörten Fachverbände vor Ergehen der vZTA nicht mitgeteilt worden seien, könnte allerdings nicht zur Aufhebung der Vorentscheidung und der vZTA führen. Abgesehen davon, daß der Klägerin im Einspruchsverfahren das Ergebnis dieser gutachtlichen Stellungnahme mitgeteilt wurde, hat die Klägerin die Möglichkeit gehabt, im Klageverfahren die Akten einzusehen und von diesen Gutachten Kenntnis zu nehmen.

In der Sache geht es um die Frage, ob die eingangs beschriebene Ware entsprechend dem Begehren der Klägerin der Tarifnr. 67.03 – Menschenhaare, gleichgerichtet oder in anderer Weise zugerichtet – oder der Tarifnr. 67.04 – Perücken, anderer Haarersatz, Locken und dergleichen, aus Menschenhaaren; andere Waren aus Menschenhaaren – zuzuweisen ist. Die angefochtene vZTA ist nach dem Inkrafttreten des Zolltarifs der Europäischen Gemeinschaften (GZT) am 1. Juli 1968 erteilt worden, weshalb die Rechtslage nach diesem ZT zu beurteilen ist.

Der GZT unterscheidet bei der Tarifnr. 67.03 die Positionen:

  1. lediglich gleichgerichtete Menschenhaare
  2. andere,

mit unterschiedlichen Zollsätzen.

In den Erläuterungen zum Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften (ErlGZT) zu Nr. 67.03 – A wird „gleichgerichtet” dahin erklärt, daß die Haare in ihrer natürlichen Richtung, nämlich Wurzel an Wurzel und Kopf an Kopf gleichgerichtet, aber nicht in anderer Weise zugerichtet sind. Wann und in welcher Form diese Erläuterungen ergangen sind und ob sie rechtsverbindlich sind, kann dahinstehen, weil die zur Zeit des Einspruchsbescheids geltende Fassung der Erläuterungen zum Brüsseler Zolltarifschema (Brüsseler Erl) zu Nr. 67.03, die nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) Rs 14/70 vom 8. Dezember 1970 (Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften 1971 S. 1001 – Slg. EGH 1971, 1001 –) beim Fehlen rechtsverbindlicher Erläuterungen maßgebliche Erkenntnismittel für die Auslegung des GZT sind, im Ergebnis das gleiche besagen. In den ErlGZT werden insoweit unter Hinweis auf die Brüsseler Erl zu Nr. 67.03 diese nur inhaltlich wiedergegeben. Auch die Brüsseler Erl haben sich bis heute insoweit im Ergebnis nicht geändert. Es heißt dort in der Fassung von 1955, daß unter gleichgerichteten Menschenhaaren die Kopf an Kopf und Wurzel an Wurzel gelegten Menschenhaare verstanden werden, in der Fassung von 1969, daß darunter Menschenhaare zu verstehen sind, die in natürlicher Richtung, d. h. Kopf an Kopf und Wurzel und Wurzel gleichgerichtet sind. Den Akten kann nicht entnommen werden, ob im Streitfalle die Haare zunächst in diesem Sinne gleichgerichtet wurden, doch kann auch dies dahingestellt bleiben, weil die Haare jedenfalls über eine etwaige Gleichrichtigung hinaus in anderer Weise zugerichtet, nämlich auf Nylonfäden geknüpft sind. Es bleibt also die Frage, ob diese Zurichtung aus den „Menschenhaaren” eine „Ware aus Menschenhaaren” gemacht hat.

Die Erläuterungen zum DZT zu den Nrn. 67.03 und 67.04 können im Hinblick auf die Urteile des EGH Rs 40/69 vom 18. Februar 1970 (Slg. BGH 1970, 69) und Rs 74/69 vom 18. Juni 1970 (Slg. EGH 1970, 451) für die Auslegung des GZT nicht maßgebend sein. ErlGZT sind bisher weder zur Tarifstelle 67.03 – B noch zur Nr. 67.04 ergangen. In den Brüsseler Erl zu Nr. 67.03 ist gesagt, daß zu dieser Tarifnummer gleichgerichtete sowie in anderer Weise zugerichtete (verdünnte, entfärbte, gebleichte, gefärbte, gekrauste, gewellte usw.) Menschenhaare gehören, die zur Herstellung von Haarersatz (Perücken, Locken, Zöpfen, Knoten usw.) oder von anderen Waren dienen. In den Brüsseler Erl zu Nr. 67.04 heißt es, daß zu dieser Tarifnummer gehören:

1. Gebrauchsfertige Perückenmacherwaren aller Art, u. a. aus Menschenhaaren, und zwar insbesondere Locken, Flechten, gedrehte Fransen, Zöpfe, Knoten, Haartollen, Augenbrauen, Augenwimpern, Backenbärte, andere Bärte sowie Perücken, wobei weiter gesagt ist, daß alle diese Waren von verhältnismäßig sorgfältiger Ausführung sind und zum persönlichen Bedarf oder auf der Bühne verwendet werden können.

2. Andere Waren aus Menschenhaaren, besonders Haarnetze zum Schutze der Frisur und leichte, tüllartige Gewebe.

Wie schon erwähnt, sind nach der Rechtsprechung des EGH die Brüsseler Erl erforderlichenfalls maßgebliche Erkenntnismittel für die Auslegung des GZT. Wenn es in den Brüsseler Erl zu Nr. 67.03 heißt, daß die in anderer Weise zugerichteten Menschenhaare zur Herstellung von Haarersatz oder anderen Waren dienen, so geht nach Auffassung des Senats hieraus hervor, daß diese Tarifnummer keine Fertigerzeugnisse, sondern unfertige Waren erfaßt. Wenn andererseits in den Brüsseler Erl zu Nr. 67.04 ausdrücklich von gebrauchsfertigen Perückenmacherwaren die Rede ist, die von verhältnismäßig sorgfältiger Ausführung sind und zum persönlichen Bedarf oder auf der Bühne verwendet werden können, so fallen darunter nur Fertigwaren. Wie die OFD in ihrem Einspruchsbescheid selbst feststellt und der Augenschein bestätigt, müssen aber die hier zu tarifierenden Wimpernstreifen aus einheitlich auf 5,7 cm lang geschnittenen Menschenhaaren noch mehreren Arbeitsgängen unterworfen werden, damit aus ihnen gebrauchsfertige künstliche Wimpern werden. Nach den angeführten Erläuterungen zur Tarifnr. 67.04 gehören sie demnach nicht als gebrauchsfertige Perückenmacherwaren zur Tarifnr. 67.04. Da sie aber unstreitig zur Herstellung künstlicher Wimpern, also gebrauchsfertiger Perückenmacherwaren bestimmt sind, können sie nicht etwa ungeachtet dessen eine andere Ware aus Menschenhaaren im Sinne der Tarifnr. 67.04 sein.

Im Hinblick auf diese sich aus den Tarifvorschriften selbst ergebende eindeutige Rechtslage kann sich die OFD nicht auf einen ungeschriebenen Grundsatz der Verwaltungspraxis berufen, wonach unfertige Waren wie die fertigen zu tarifieren seien.

Soweit auf der anderen Seite Zweifel bestehen könnten, ob die Wimpernstreifen lediglich in anderer Weise zugerichtete Menschenhaare im Sinne der Tarifnr. 67.03 sind oder ihre Fertigungsstufe darüber hinausgeht und sie etwa durch keine der beiden Tarifnrn. 67.03 und 67.04 erfaßt werden, wären sie nach der ATV 5 zum GZT wie Waren zu tarifieren, denen sie am ähnlichsten sind. Da die zu tarifierende Ware unstreitig noch mehreren Arbeitsgängen unterworfen werden muß (die Klägerin nennt die Zahl 39), um zu gebrauchsfertigen künstlichen Wimpern zu werden, sind die auf Nylonfäden aufgereihten Menschenhaare in anderer Weise zugerichteten Menschenhaaren im Sinne der Tarifnr. 67.03 offensichtlich ähnlicher als gebrauchsfertigen künstlichen Wimpern.

Die streitige Ware ist daher auf alle Fälle der Tarifnr. 67.03 zuzuweisen. Da nach den vorstehenden Ausführungen auf Grund der Brüsseler Erl und der ATV 5 des GZT sich eine derartige Tarifierung eindeutig ergibt, stellt sich dem Senat keine Auslegungsfrage, die eine Anrufung des EGH nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gebieten würde.

Nach allem waren daher der Einspruchsbescheid und die vZTA aufzuheben und die Beklagte zur Erteilung einer Tarifauskunft in dem dargelegten Sinne zu verpflichten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514666

BFHE 1972, 272

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