Leitsatz (amtlich)
1. Zum Exkulpationsbeweis zur Abwendung der verlängerten Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung.
2. Vermögensvorteil i.S. des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 ist nicht nur der steuerliche Vorteil aus der Steuerhinterziehung, sondern jede durch die Tat erlangte Verbesserung der Vermögenslage.
Orientierungssatz
1. § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 ermöglicht es dem Steuerschuldner, der die Steuerhinterziehung nicht selbst begangen hat, sich durch einen bestimmten Exkulpationsbeweis die Vorteile der kurzen Festsetzungsverjährung zu sichern. Der Steuerschuldner muß dazu nachweisen, daß er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und daß sie auch nicht darauf beruht, daß der Steuerpflichtige die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.
2. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 setzt nicht voraus, daß der Steuerschuldner oder sein Vertreter für ihn die Steuerhinterziehung selbst begangen hat; es kommt nur darauf an, ob es sich um objektiv hinterzogene Beträge handelt (vgl. BFH-Urteil vom 23.3.1982 VII R 68/81).
3. Für die Frage, ob durch die Tat ein Vermögensvorteil (§ 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977) erlangt worden ist, ist nur auf das von der Steuerhinterziehung unmittelbar betroffene Geschäft abzustellen, nicht aber auf hypothetische Geschäfte.
4. Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft durch Fälschung von Ursprungszeugnissen: Eine mittelbare Täterschaft liegt nur vor, wenn das maßgebende Geschehen als alleiniges Werk des steuernden Willens der Fälscher erscheint (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 2 Sätze 3, 2; AO § 370
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der im Jahre 1979 aufgelösten F-KG. Diese kaufte in den Jahren 1977 und 1978 von einem niederländischen Unternehmen Kohle. Die Lieferfirma legte Zechen-Ursprungszeugnisse der niederländischen Staatsminen vor, so daß die Kohle bei der Einfuhr in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zollfrei belassen wurde. Ermittlungen der Zollfahndung ergaben, daß die Steinkohle ihren Ursprung in Drittländern hatte und die Ursprungszeugnisse gefälscht waren. Daraufhin nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) die Klägerin mit Änderungsbescheiden vom 14.Mai 1981 (geändert durch Bescheid vom 10.Juni 1981) und vom 24.September 1981 als Rechtsnachfolgerin der F-KG nach § 58 des Zollgesetzes (ZG) und § 45 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) auf Zahlung von Differenzzoll in Höhe von insgesamt 1 382 829,77 DM in Anspruch. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Durch die Vorentscheidung hob das Finanzgericht (FG) die genannten Änderungsbescheide des HZA ersatzlos auf.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die F-KG führte 1977 und 1978 aus den Niederlanden Kohle ein. Diese war nicht nach dem Gesetz über das Zollkontingent für feste Brennstoffe in der damals geltenden Fassung frei von Differenzzoll, weil sie ihren Ursprung in Drittländern hatte und die Ursprungszeugnisse gefälscht waren. Deswegen entstand nach § 58 ZG in der damals geltenden Fassung für die unverzollt freigegebenen Waren mit der Freigabe ein Differenzzoll in der gesetzlich vorgesehenen Höhe (10 DM/Tonne) in der Person dessen, dem die Kohle freigegeben worden war, also in der Person der F-KG. Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin der F-KG; auf sie ist daher die Zollschuld nach § 45 Abs.1 AO 1977 übergegangen. Die angefochtenen Bescheide sind somit, wie das FG zutreffend erkannt hat, materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Eine Steuerfestsetzung oder ihre Änderung ist nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig (§ 169 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Die angefochtenen Steuerbescheide sind nach Ablauf der normalen einjährigen Festsetzungsfrist für Zölle (§ 169 Abs.2 Satz 1 Nr.1 AO 1977) ergangen. Im vorliegenden Fall gilt aber grundsätzlich eine Festsetzungsfrist von 10 Jahren, da --wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt (vgl. aber dazu die Bemerkungen unter Nr.5 b)-- es sich um hinterzogene Steuern handelt (§ 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977). Für die Anwendung dieser Regelung kommt es nur darauf an, ob es sich um objektiv hinterzogene Beträge handelt. § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 setzt also nicht voraus, daß der Steuerschuldner oder sein Vertreter für ihn die Steuerhinterziehung selbst begangen hat (Senatsurteil vom 23.März 1982 VII R 68/81, BFHE 135, 563, 567, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch den ersten Satzteil des Satzes 3 von § 169 Abs.2 AO 1977).
a) Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 gilt nicht uneingeschränkt. Satz 3 dieser Vorschrift ermöglicht es dem Steuerschuldner, der die Steuerhinterziehung nicht selbst begangen hat, sich durch einen bestimmten Exkulpationsbeweis die Vorteile der kurzen Festsetzungsverjährung zu sichern. Der Steuerschuldner muß, um in den Genuß dieses Vorteils zu gelangen, nachweisen, daß er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und daß sie auch nicht darauf beruht, daß der Steuerpflichtige die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat.
b) Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin nachgewiesen, daß sie durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat. Es ist aus der Vorentscheidung nicht mit voller Sicherheit zu entnehmen, ob das FG dabei den Begriff des Vermögensvorteils i.S. des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 richtig ausgelegt und angewendet hat. Ist das der Fall gewesen, so leidet die Vorentscheidung aber an dem vom Senat ohne besondere Rüge zu beachtenden Rechtsfehler, daß das FG die für den Tatbestand des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 erheblichen Tatsachen nicht ermittelt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 118 FGO Anm.26a, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung) oder zumindest nicht die Gründe angegeben hat, die für seine Überzeugung maßgebend gewesen sind (§ 96 Abs.1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
3. Der Begriff "Vermögensvorteil" i.S. des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 ist zu unterscheiden von dem Begriff "Steuervorteil", wie ihn z.B. § 370 Abs.1 AO 1977 verwendet. Denn es kann mangels Anhaltspunkten für das Gegenteil nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber in demselben Gesetz zwei verschiedene Ausdrücke für den gleichen Inhalt verwendet. Dafür spricht auch, daß der Begriff "Vermögensvorteil" nochmals in einem ähnlichen Zusammenhang auftaucht (§ 70 Abs.2 AO 1977). Es liegt auf der Hand, daß das Gesetz diesen Begriff in beiden Bestimmungen im wesentlichen gleich und anders als den Begriff "Steuervorteil" verstanden wissen will (vgl. Schwarz, Abgabenordnung, § 70 Anm.14 ff.; Bilsdorfer, Die steuerlichen Folgen einer Steuerstraftat, Neue Wirtschafts-Briefe --NWB--, Fach 13 S.613, 616).
a) Der Begriff "Vermögensvorteil" ist nach seinem Wortlaut umfassender als jener des Steuervorteils (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO 1977 Anm.8). Ein Vermögensvorteil ist hier jede Verbesserung der Vermögenslage (vgl. Schwarz, a.a.O., § 70 Anm.14 ff.). Auch ein spezifisch steuerlicher Vorteil gehört dazu, wenn er zur Verbesserung der Vermögenslage beiträgt. Aber steuerlicher Vorteil im rechtlichen Sinn und wirtschaftlicher Vorteil können auch auseinanderfallen. Die Betrachtung der Vermögenslage des Steuerpflichtigen kann zum Ergebnis führen, daß sich die Steuerhinterziehung für ihn finanziell günstig ausgewirkt hat, obwohl ihm die steuerlichen Vorteile aus der Steuerhinterziehung nicht zugute gekommen sind (vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 4.Juli 1979 3 Str 130/79, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1979, 537, das freilich zu dem nicht voll vergleichbaren Begriff "zu seinen Gunsten" des § 371 Abs.3 AO 1977 ergangen ist, jedoch zutreffende Ausführungen zu der Abgrenzung zwischen steuerlichen und wirtschaftlichen Vorteilen enthält).
b) Die Richtigkeit dieser Auffassung macht Sinn und Zweck des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 deutlich.
Die Festsetzungsverjährung soll dem Rechtsfrieden dienen unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Erweisbarkeit von Ansprüchen oder auch ihre Abweisung um so schwieriger wird, je älter sie werden (Tipke/Kruse, a.a.O., vor § 169 AO 1977 Anm.2). Nach einer bestimmten Zeit, eben der normalen Festsetzungsfrist, soll daher der Steuerpflichtige darauf vertrauen dürfen, daß er nicht mehr in Anspruch genommen wird. Dieses Vertrauen muß aber in Fällen der Steuerhinterziehung zurücktreten, da solche Fälle schwer aufzuklären sind und infolgedessen die Finanzbehörden die entsprechenden Steueransprüche oft nicht schon innerhalb der normalen Festsetzungsfrist geltend machen können (vgl. Senatsurteil vom 4.März 1980 VII R 88/77, BFHE 130, 131, 133). Deswegen hat der Gesetzgeber hierfür grundsätzlich die Frist auf 10 Jahre verlängert.
Der Gesetzgeber hielt es aber offensichtlich nicht für angemessen, diese längere Festsetzungsfrist uneingeschränkt auch in Fällen anzuwenden, in denen die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter selbst begangen worden ist. Er räumte deswegen solchen Schuldnern ein, zur Abwendung der langen Festsetzungsfrist sich in bestimmter Weise zu exkulpieren (§ 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977). Diese Regelung ist erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in den Entwurf der AO 1977 eingefügt worden; über die zugrundeliegenden Motive des Gesetzgebers geben die Materialien (BTDrucks 7/4292 S.33) keinen weiteren Aufschluß. Es handelt sich offensichtlich um eine Billigkeitsregelung, die die Härte der Regelung des § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 mildern soll. Sie sollte aber nur Steuerpflichtigen zugute kommen, die durch die Steuerhinterziehung keine Vermögensvorteile erlangt haben. Entsprechend dem Wesen einer solchen Billigkeitsregelung muß unter einem Vermögensvorteil in diesem Sinn jede Verbesserung der Vermögenslage angesehen werden, gleich aus welcher Quelle sie stammt, wenn sie nur "durch die Tat" erlangt worden ist (so auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 169 AO 1977 Anm.8; Höllig in Koch, Abgabenordnung, 3.Aufl., § 169 Anm.25/2; anderer Ansicht wohl v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 169 AO 1977 Anm.47, der nur einen unmittelbaren steuerlichen Vermögensvorteil berücksichtigt wissen will). Denn falls der Steuerpflichtige durch die Steuerhinterziehung objektiv reicher geworden ist, ist es auch angemessen und billig, ihn nicht in den Genuß der kurzen Festsetzungsfrist gelangen zu lassen.
c) Nach § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 gilt die längere Festsetzungsfrist nur dann nicht, wenn die entsprechenden Voraussetzungen nachgewiesen worden sind. Fehlt also der Nachweis mangelnden Vermögensvorteils, so ist die zehnjährige Festsetzungsfrist anzuwenden, ohne Rücksicht darauf, wie hoch ein etwaiger Vermögensvorteil aus der Tat ausgefallen ist. Es unterliegt somit nicht etwa nur jener Steuerbetrag der längeren Verjährungsfrist, der dem eingetretenen Vermögensvorteil entspricht.
d) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. des Übermaßverbots (angemessene Relation zwischen angestrebtem Zweck und den dazu eingesetzten Mitteln) läßt weder eine andere Auslegung des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 zu noch ergibt sich aus ihm, daß diese Regelung in der hier gegebenen Auslegung wegen Verstoßes gegen diesen Grundsatz mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist (vgl. zum Inhalt dieses Grundsatzes Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art.20 Anm.VII 51). Es handelt sich um eine reine Verjährungsregelung. Der Grundsatz ist, daß im Falle einer Steuerhinterziehung eine zehnjährige Verjährungsfrist gilt (§ 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977). Der Gesetzgeber hätte es, ohne gegen den Grundsatz des Übermaßverbotes zu verstoßen, bei diesem Grundsatz belassen können, wie dies der Rechtslage zur Zeit der Reichsabgabenordnung (AO) entsprach (vgl. § 144 AO; Senatsurteil in BFHE 130, 131). Dann kann es aber auch nicht als Verstoß gegen das Übermaßverbot angesehen werden, wenn das Gesetz die Einschränkung der Regelung des § 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977 nach Satz 3 dieser Vorschrift jenen Steuerpflichtigen nicht zugute kommen läßt, die auch nur einen geringen Vermögensvorteil durch die Tat erlangt haben.
4. In Anwendung dieser Begriffsbestimmung auf den vorliegenden Fall ergibt sich folgendes:
a) Das FG hat zu Recht einen Vermögensvorteil für die Rechtsvorgängerin der Klägerin durch den aufgrund der Steuerhinterziehung "ersparten" Zoll verneint. Zwar ist es für den Steuerpflichtigen rein rechnerisch stets ein Vorteil, wenn er in den Genuß einer Zollfreiheit gelangt. Dieser spezifische Steuervorteil ist aber der Rechtsvorgängerin der Klägerin wirtschaftlich deswegen nicht zugute gekommen, weil sie ihn beim Weiterverkauf der Waren an ihre Abnehmer weitergegeben hat.
Der Zoll pflegt (wie eine Verbrauchsteuer) auf den Endverbraucher abgewälzt zu werden. Eine solche Abwälzung des Differenzzolls, der Gegenstand der Steuerhinterziehung war, hat aber nicht stattgefunden, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin nach den Feststellungen der Vorinstanz davon ausging, daß die Ware zollfrei sei. Sie hat daher die eingeführte Kohle, ohne einen etwa zu zahlenden Zoll in ihren Verkaufspreis einzurechnen, "mit der üblichen Gewinnspanne" weiterveräußert. Der durch die Hinterziehung des Differenzzolls "ersparte" Abgabenbetrag hat sich bei ihr also nicht als ein Vermögensvorteil ausgewirkt. Vermögensvorteile aus der Steuerhinterziehung sind allenfalls den Abnehmern der Klägerin zugute gekommen, weil sie zollpflichtige Drittlandskohle zum Preis für Gemeinschaftskohle erhalten haben; wirtschaftlich trifft allerdings wohl auch das nicht zu, weil bei der Höhe des Differenzzolls nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, daß Verkaufsverträge über eingeführte Kohle zu Preisen, die den Differenzzoll umfaßten, überhaupt zustande gekommen wären.
b) Ein durch die Tat erlangter Vermögensvorteil ist aber, wie ausgeführt, nicht nur der spezifische Steuervorteil, der sich aufgrund einer Steuerhinterziehung (oder leichtfertigen Steuerverkürzung) ergeben kann, sondern jede Verbesserung der Vermögenslage, die ohne die Tat nicht eingetreten wäre. Die Klägerin hat also das Fehlen eines Vermögensvorteils i.S. des § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 nicht nachgewiesen, wenn ihre Rechtsvorgängerin beim Weiterverkauf der durch die Tat unter Zollfreiheit erlangten Kohle einen Gewinn erzielt hat, den sie nicht auch hätte erzielen können, wenn sie die eingeführte Ware hätte verzollen müssen.
Das FG hat festgestellt, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Kohle "mit der üblichen Gewinnspanne" weiterverkauft hat. Die Klägerin hat in der Vorinstanz und in der Revisionserwiderung ausgeführt, daß die Ware mit der nicht untypischen Marge von nur 1 DM/Tonne weiterveräußert worden sei und der daraus erlangte Reingewinn höchstens 0,10 DM/Tonne betrage (bei 162 752,775 Tonnen eingeführter Kohle betrug also der Gewinn rund 16 000 DM). Dieser Gewinn wäre als durch die Tat erlangt anzusehen, wenn die Klägerin nicht nachweisen würde, daß sie mindestens den gleichen Gewinn auch beim Verkauf der Kohle nach Verzollung erzielt hätte. Dabei spielt es, wie ausgeführt, keine Rolle, daß der Gewinn im Verhältnis zum nacherhobenen Zollbetrag gering ist; denn nach § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 steht jeder durch die Tat erlangte Gewinn der Anwendung der kürzeren Festsetzungsfrist entgegen.
c) Aus der Vorentscheidung ist nicht deutlich zu entnehmen, ob das FG diese Rechtsfrage erkannt hat. Es hat ausgeführt, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe aus der Tat keinerlei Vorteile gezogen, und hinzugefügt, bei Kohle handle es sich um Gattungsware, und die Rechtsvorgängerin der Klägerin hätte, falls sie nicht die streitbefangene Kohle erworben und weiterverkauft hätte, andere veräußert. Das könnte dahin verstanden werden, daß nach Ansicht des FG zwar auch ein durch den Verkauf der eingeführten Ware erzielter Gewinn ausreiche, die kürzere Festsetzungsfrist auszuschließen, die Klägerin aber nachgewiesen habe, daß ein solcher Gewinn nicht "durch die Tat" erlangt worden sei, da der gleiche Gewinn ohne weiteres durch den Verkauf anderer Kohle hätte erzielt werden können und auch erzielt worden wäre. Sollte das FG dieser Auffassung gewesen sein, so folgt der Senat ihr nur teilweise. Zwar reicht in der Tat auch ein solcher Geschäftsgewinn aus. Für die Frage, ob das Fehlen eines Vermögensvorteils nachgewiesen ist, ist aber von dem durchgeführten Geschäft auszugehen und nur zu vergleichen, ob die Rechtsvorgängerin der Klägerin den ihr beim Weiterverkauf der eingeführten Kohle unzweifelhaft entstandenen Gewinn auch ohne die Tat, also bei Verzollung der eingeführten Kohle erzielt hätte. Ist danach ein Gewinn erzielt worden, so kann dem nicht entgegengehalten werden, bei Wegfall der Steuerhinterziehung hätte die Klägerin andere Geschäfte mit dem gleichen Gewinn getätigt. Für die Frage, ob durch die Tat ein Vermögensvorteil erlangt worden ist, ist nur auf das von der Steuerhinterziehung unmittelbar betroffene Geschäft abzustellen, nicht aber auf hypothetische Geschäfte.
Es kommt also darauf an, ob die Klägerin nachgewiesen hat, daß ihre Rechtsvorgängerin auch dann den gleichen Gewinn erzielt hätte, wenn die eingeführte Kohle verzollt worden wäre. Da es dazu an entsprechenden Feststellungen der Vorinstanz fehlt, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
5. Bei seiner neuerlichen Entscheidung wird das FG noch folgendes zu berücksichtigen haben:
a) Die Klägerin hat zur Erlangung der kürzeren Festsetzungsfrist nach § 169 Abs.2 Satz 3 AO 1977 auch nachzuweisen, daß die eingetretene Steuerverkürzung nicht darauf beruht, daß ihre Rechtsvorgängerin die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zu ihrer Verhinderung unterlassen hat. Diese hat nach den Feststellungen des FG relativ große Mengen Kohle in einem Land, das keine eigene Kohleförderung mehr besaß, "aus Halden- bzw. Lagerbeständen" gekauft. Bei der Art dieses Geschäftes lief die Rechtsvorgängerin der Klägerin das besondere Risiko, Drittlandskohle anstatt Kohle aus den Niederlanden geliefert zu erhalten. Entsprechend diesem erhöhten Risiko sind daher auch erhöhte Anforderungen an die von der Rechtsvorgängerin der Klägerin zu erwartenden Vorkehrungen zur Verhinderung eines solchen Falles zu stellen. Der Nachweis der vom FG in der Vorentscheidung festgestellten allgemeinen Vorkehrungen zur Einhaltung der zollrechtlichen Verpflichtungen kann daher für sich allein nicht als ausreichend gewertet werden.
b) Das FG hat ausgeführt, daß "unstreitig durch die Fälschung der Ursprungszeugnisse eine Steuerhinterziehung begangen worden ist". Es ist dabei anscheinend davon ausgegangen, daß die Fälscher der Ursprungszeugnisse in mittelbarer Täterschaft Steuer hinterzogen haben. Wenn diese Annahme zutrifft, hätte sich das FG damit auseinandersetzen müssen, ob der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt ist. Denn mittelbare Täterschaft liegt nur vor, wenn das maßgebende Geschehen als alleiniges Werk des steuernden Willens der Fälscher erscheint (Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 4.Februar 1987 I R 58/86, BFHE 149, 109, 116; vgl. auch BFH-Entscheidungen vom 18.Dezember 1986 I B 1/86, BFHE 148, 222, 224 ff., und vom 2.April 1987 VII B 146/86, BFH/NV 1987, 747; Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten, 3.Aufl., § 369 AO Anm.68). Davon kann aber nur ausgegangen werden, wenn dafür Anhaltspunkte vorliegen. Ob das hier der Fall ist, ist aus der Vorentscheidung nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 62682 |
BFH/NV 1989, 17 |
BStBl II 1989, 442 |
BFHE 156, 30 |
BB 1989, 1813-1814 (LT1-2) |
DStR 1989, 388 (KT) |
HFR 1989, 345 (LT) |