Leitsatz (amtlich)
Die Verzinsung nicht rechtshängig gewordener Steuererstattungsbeträge kommt auch dann nicht in Betracht, wenn das diese Beträge betreffende Einspruchsverfahren wegen eines anderen anhängigen Rechtsstreits nach § 259 Abs. 2 AO a. F. ausgesetzt worden war. - Angesichts der Regelung in § 4 StSäumG ist sowohl die unmittelbare als auch die entsprechende Anwendung privatrechtlicher Zins- und Bereicherungsvorschriften ausgeschlossen.
Normenkette
AO a.F. §§ 155, 259 Abs. 2; FGO § 111; StSäumG § 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) zusammen zur Einkommensteuer 1955 und 1956 veranlagt wurden, wobei in beiden Veranlagungszeiträumen jeweils ein Veräußerungsgewinn i. S. von § 17 EStG zum Ansatz kam. Dem lag zugrunde, daß die Ehefrau (Klägerin) im Jahre 1955 1/4 und im Jahre 1956 die restlichen 3/4 ihres Geschäftsanteils von nominal 2 400 DM (9 v. H. des Stammkapitals) an einer GmbH veräußert hatte, an der neben ihr nur noch ihr Bruder und ihre Mutter beteiligt waren, während die übrigen Geschäftsanteile der GmbH selbst gehörten.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 1955 vom 20. März 1957, der einen Veräußerungsgewinn von 130 410 DM erfaßte, und gegen den Einkommensteuerbescheid 1956 vom 3. Juli 1959, der einen solchen von 962 850 DM der Besteuerung unterwarf, legten die Kläger Einsprüche ein, mit denen sie u. a. geltend machten, die Regelung in § 17 EStG (a. F.), wonach zur Bestimmung einer die Steuerpflicht auslösenden wesentlichen Beteiligung die Anteile von Angehörigen zusammenzurechnen seien, sei verfassungswidrig. Zusammen mit den Einspruchsbegründungen beantragten die Kläger jeweils, die Entscheidung über den Einspruch auszusetzen, bis über einen Rechtsstreit entschieden sei, den der Bruder der Klägerin wegen der gleichen Streitfrage führe.
Nachdem durch Art. 1 Nr. 8 StÄndG 1965 vom 14. Maf 1965 (BGBl I 1965, 377, BStBl I 1965, 217) § 17 EStG geändert und damit auch für noch nicht rechtskräftige Veranlagungen rückwirkend (vgl. § 52 Abs. 17, letzter Satz EStG 1965) bestimmt worden war, daß zur Feststellung, ob eine wesentliche Beteiligung vorliegt, eine Zusammenrechnung der Anteile von Angehörigen nicht (mehr) stattfindet, entsprach das FA den Einsprüchen durch den Erlaß von Berichtigungsbescheiden nach § 94 AO, wobei es für den Veranlagungszeitraum 1955 entsprechend dem von den Klägern gestellten Antrag eine getrennte Veranlagung durchführte. Das führte, da die Kläger die ursprünglich festgesetzten Steuern (Einkommensteuer, Kirchensteuer, Abgabe "Notopfer Berlin" 1955 und 1956) zwischenzeitlich voll bezahlt hatten, zu einer Steuererstattung von insgesamt 354 868,55 DM.
Die Kläger machten nunmehr geltend, ihr Steuererstattungsanspruch müsse verzinst werden. Daß die Rechtshängigkeit, die Voraussetzung für eine Verzinsung nach § 155 AO a. F. gewesen sei, nicht gegeben gewesen sei, könne dem Begehren nach Verzinsung nicht entgegengehalten werden, da die die Anwendung des § 17 EStG betreffende Streitfrage im Parallelverfahren des Bruders der Klägerin rechtshängig gewesen sei, die Kläger selbst aber eine Rechtshängigkeit nicht hätten herbeiführen können, weil sie an die Aussetzung des Einspruchsverfahrens gebunden gewesen seien.
Das FA lehnte eine Verzinsung ab.
Die Klage, mit der die Kläger eine Verzinsung von 6 v. H. ab 12. Februar 1962 für 319 000 DM bis 13. November 1964, für 34 855,40 DM bis 4. August 1965 und für 1 012,15 DM bis 31. August 1965 begehrten, hatte keinen Erfolg. Das FG verneinte wie das FA das Vorliegen eines Zinsanspruches, weil die Steuergesetze in Fällen wie dem vorliegenden eine Verzinsung nicht vorgesehen hätten und damit nach § 4 StSäumG eine Verzinsung überhaupt ausgeschlossen sei. Insbesondere sei die Regelung in § 111 FGO und § 155 AO a. F. nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar. Denn nach diesen Vorschriften komme nur die Zahlung von Prozeßzinsen, also die Verzinsung von Überzahlungen ab Rechtshängigkeit in Betracht. Im Streitfall sei jedoch der Streit über die später erstatteten Beträge nicht rechtshängig geworden. Die Kläger hätten vielmehr das Prozeßrisiko dadurch vermieden, daß mit ihrem Einverständnis die Entscheidung bis zur Erledigung des anhängigen Parallelverfahrens ausgesetzt worden sei. In einem solchen Fall könnten sie nicht verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn sie selbst den Prozeß geführt hätten. Die Kläger könnten, wie bereits unter Hinweis auf § 4 StSäumG hervorgehoben, ihr Begehren auch nicht mit Erfolg auf privatrechtliche Vorschriften, insbesondere auch nicht auf § 818 Abs. 1 BGB stützen.
Mit der Revision wird hiergegen geltend gemacht, es verstoße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, der Klägerin im Ergebnis nicht ebenso die Verzinsung ihres Erstattungsanspruches zu gewähren wie ihrem Bruder; denn die beiden Verfahren seien von Anfang an parallel gelaufen. Der Anspruch auf Verzinsung ergebe sich auch aus § 155 AO a. F. i. V. m. § 259 Abs. 2 AO a. F., wonach es genüge, wenn nur überhaupt eine Rechtshängigkeit vorgelegen habe. Die Kläger hätten die Rechtshängigkeit ihrer eigenen Erstattungsansprüche nicht mehr herbeiführen können, da sie nach § 259 Abs. 2 AO a. F. an ihre vor Einführung der Verzinsung (§ 155 AO i. d. F. StÄndG 1961) abgegebene Erklärung gebunden gewesen seien. Im übrigen sei an dem schon vor dem FG vertretenen Rechtsstandpunkt festzuhalten, daß auch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine Verzinsung verlangt werden könne, da das FA nach § 818 Abs. 1 BGB die Nutzungen der zu Unrecht eingezogenen Gelder zu erstatten habe. Daß hier die öffentliche Hand Nutzungen gezogen habe (in Gestalt von ersparten Zinsbelastungen), entspreche einem allgemeinen Erfahrungssatz. Endlich sei noch darauf hinzuweisen, daß der in § 155 AO a. F. und in § 111 FGO enthaltene Rechtsgedanke jedenfalls analog auf den Streitfall angewendet werden müsse, um zu einem vernünftigen Ergebnis zu gelangen. Es könne nicht zu Lasten der Kläger gehen, daß gerade ihr Verfahren ausgesetzt worden sei, während das des Bruders der Klägerin durchgeführt worden und damit eine Verzinsung für diesen erreicht worden sei. Es stelle sich als Rechtsmißbrauch dar, wenn die Kläger bei doch völlig gleicher Situation leer ausgehen müßten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
In Übereinstimmung mit der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung ist die Ablehnung einer Verzinsung des klägerischen Erstattungsanspruchs durch das FA nicht zu beanstanden.
1. Zutreffend ist das FG bei seiner Entscheidung von § 4 StSäumG ausgegangen. Diese Vorschrift gibt in der Fassung, die sie durch das StÄndG 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981, BStBl I 1961, 444) erhalten hat, die primäre Antwort auf die Frage nach der Verzinsung von Ansprüchen im Bereich des Abgabenrechts. Während bis dahin durch den sog. Antizinsparagraphen (§ 20 StAnpG 1934) die Verzinsung von Steueransprüchen grundsätzlich ausgeschlossen war (vgl. auch die §§ 9 ff. StSäumG 1934), bestimmt § 4 StSäumG 1961 nunmehr, daß eine Verzinsung zwar möglich ist, aber nur stattfindet, wenn dies in Steuergesetzen vorgeschrieben ist. Es besteht in Rechtsprechung und Literatur angesichts dieses klaren Gesetzeswortlauts kaum ein Zweifel, daß damit der Gesetzgeber jedenfalls bislang (im übrigen hält auch der Entwurf zur AO 1974 an der bisherigen "Miniverzinsung" fest; vgl. Sebiger, Steuer-Kongreß-Report, 1973 S. 65, 66) von einer Vollverzinsung bewußt Abstand genommen hat (vgl. Urteile des BFH vom 29. Juni 1971 VII K 31/67, BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740, und vom 7. Dezember 1971 VII K 16/67, BFHE 104, 129; vgl. ferner Koch, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A, 1961, S. 194 [199], und BB 1970, 361 [367]). Das geltende Recht kennt demnach echte Erstattungszinsen nicht (Haubrichs, Die Problematik der Vollverzinsung, Bonn 1973 S. 16).
2. Für den Streitfall kommt als eine in einem Steuergesetz vorgeschriebene Verzinsungsvorschrift nur die Regelung in Betracht, die durch dasselbe StÄndG 1961, durch das § 4 StSäumG die erwähnte Fassung erhielt, als § 155 in die AO einging und später in § 111 FGO ihren Platz fand, nämlich die Regelung über die Zahlung von Prozeßzinsen. Mit Recht hat jedoch die Vorinstanz erkannt, daß die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschriften nicht erfüllt sind. Einer unmittelbaren Anwendung steht der klare Wortlaut entgegen, der eine Verzinsung überzahlter Beträge (frühestens) ab dem Tage der Rechtshängigkeit, also die Zahlung von Prozeß zinsen vorsieht. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Rechtshängigkeit hinsichtlich des Betrages gegeben gewesen sein muß, dessen Erstattung sich als unmittelbare oder mittelbare Folge des Prozesses ergibt. Denn Prozeßzinsen kann nur der verlangen, der auch einen Prozeß geführt hat. Das haben die Kläger nicht getan. Sie haben vielmehr gerade zur Vermeidung eines eigenen Prozesses nach § 259 Abs. 2 AO a. F. die Aussetzung des Einspruchsverfahrens bis zur Erledigung des wegen der gleichen Streitfrage vom Bruder der Klägerin anhängig gemachten Prozesses beantragt und bewilligt bekommen. Die diese Aussetzung begründende Rechtshängigkeit einer gleichen Streitfrage i. S. von § 259 Abs. 2 AO a. F. bedeutet aber nicht die Rechtshängigkeit des eigenen Rechtsstreits i. S. von § 155 AO a. F. Eine Gleichbehandlung mit demjenigen, der den Prozeß tatsächlich geführt und damit, wie das FG zu Recht betont, auch das Prozeßkostenrisiko auf sich genommen hat, gebietet der Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht, weil insoweit Ungleiches miteinander verglichen wird. Die Kläger können auch nicht mit Erfolg einwenden, daß sie an der Führung eines eigenen Prozesses rechtlich gehindert gewesen seien. Mit der Aussetzung des Einspruchsverfahrens hat das FA vielmehr, wie betont, einem Antrag der Klägerin entsprochen, und die Kläger haben zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, daß sie das Verfahren, etwa wegen der zwischenzeitlichen Einführung von Prozeßzinsen, vor Erledigung des vom Bruder der Klägerin geführten Rechtsstreits hätten fortsetzen wollen. An ihr Einverständnis mit der Aussetzung des Einspruchsverfahrens wären die Kläger in diesem Falle nicht gebunden gewesen, weil die Rechtslage sich verändert hat.
3. Eine Verzinsung der im Streitfall überzahlten Beträge kann auch nicht erfolgreich mit der Begründung begehrt werden, die Regelung in § 155 AO a. F. und in § 111 FGO enthalte einen allgemeinen, auch auf den Streitfall anwendbaren Rechtsgedanken. Die Rechtsprechung hat sich stets dagegen gewandt, daß aus den genannten Vorschriften auf eine allgemeine Verzinsungspflicht geschlossen wird (vgl. die genannten BFH-Urteile VII K 31/67 und VII K 16/67). § 4 StSäumG 1961 steht einer analogen Anwendung auf das außergerichtliche Vorverfahren eindeutig entgegen (Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 14. September 1967 II 63/67, Entscheidungen der Finanzgerichte 1968 S. 26; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., FGO, § 111 Anm. 4).
4. Mit Recht hat die Vorinstanz auch die Anwendung privatrechtlicher Zins- oder Bereicherungsvorschriften abgelehnt. Denn grundsätzlich ist das bürgerliche Recht auf öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse nicht anwendbar (BFH-Urteil VII K 16/67; Naumann, Finanz-Rundschau, 1969 S. 352, 357). Das gilt auch für den Steuererstattungsanspruch, der nach herrschender und auch vom Senat vertretenen Auffassung (entgegen von Canstein, Der Erstattungsanspruch im Steuerrecht, S. 5, 137) nur die Kehrseite des Steueranspruchs darstellt (vgl. die bei von Canstein, Fußnote 15, zitierte Judikatur und Literatur, ferner Urteil des BVerwG vom 19. Dezember 1956 V C 118.55, BVerwGE 4, 215 [218]). Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung (§ 812 ff. BGB) sind daher weder unmittelbar noch entsprechend auf einen in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis begründeten Erstattungsanspruch anwendbar (BVerwG, a. a. O.), noch enthalten sie hinsichtlich der Herausgabe von Nutzungen (§ 818 BGB) allgemeine Rechtsgrundsätze, die als "überprivatrechtliche Norm" auch im öffentlichen Recht zu beachten wären (BFH-Urteil VII K 16/67). Die Kläger können daher ihr Klagebegehren auch nicht mit Erfolg auf § 818 Abs. 1 BGB stützen. Letztlich steht dem wiederum die klare Anweisung in § 4 StSäumG entgegen, die bei sinngemäßer Anwendung des § 818 Abs. 1 BGB in zahlreichen Fällen umgangen werden könnte. Daß die Befolgung der Bestimmung des § 4 StSäumG sich, wie die Kläger meinen, im Streitfalle sogar als Rechtsmißbrauch darstelle, kann nicht anerkannt werden. Solange es im Abgabenrecht keine Vollverzinsung gibt und durch eine Mindestverzinsung nur die eklatantesten Fälle pauschal erfaßt werden, wird es immer harte, gleichwohl aber vom Gesetzgeber so gewollte Grenzlinien geben. Wie schwierig bei der Frage der Verzinsung von Ansprüchen im öffentlichen Recht die Suche nach einer am Gerechtigkeitsgedanken besser orientierten Lösung ist und wie fragwürdig die formale Argumentation mit dem Gleichheitsprinzip hier letztlich erscheint, haben die Untersuchungen auf diesem Gebiet im Rahmen der Reform der Reichsabgabenordnung deutlich gemacht (vgl. Haubrichs, a. a. O., S. 6; Sebiger, a. a. O., S. 70 f.). Die derzeitige Regelung, an der auch der Entwurf einer neuen Reichsabgabenordnung, wie betont, im wesentlichen festhält (vgl. nochmals Koch, BB 1970, 361 [367]), ist jedenfalls eine Regelung, die sich innerhalb des Ermessungsspielraumes des Gesetzgebers hält. Ihre Anwendung ist daher auch im Streitfall nicht rechtsmißbräuchlich.
Fundstellen
Haufe-Index 71316 |
BStBl II 1975, 370 |
BFHE 1975, 397 |