Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei Verlust eines fristwahrenden Schriftsatzes auf dem Postweg
Leitsatz (NV)
1. Auch ein "Portobuch" kann als Nachweis für die rechtzeitige Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes geeignet sein, wenn die Eintragungen zweifelsfrei erkennen lassen, daß an dem Tag der Eintragung der fristwahrende Schriftsatz in der betreffenden Streitsache zur Post gegeben worden ist.
2. Ist die rechtzeitige Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes glaubhaft gemacht, muß im Antrag auf Wiedereinsetzung nicht dargelegt werden, wie die Fristenkontrolle organisiert ist.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) legten die Kläger und Revisionskläger (Kläger) -- vertreten durch ihren Prozeßbevollmächtigten -- fristgerecht Revision ein. Die Frist für die Begründung der Revision lief am 19. März 1996 ab.
Am 2. April 1996 ging beim Bundesfinanzhof (BFH) ein Schriftsatz ein, in dem der Prozeßbevollmächtigte "ergänzend zur Revisionsbegründung vom 12. 3. 1996" Ausführungen zur Sache machte.
Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden, daß die in Bezug genommene Revisionsbegründung dem BFH nicht vorliege, beantragte der Prozeßbevollmächtigte rechtzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er führte aus: Er habe die Revisionsbegründung am 12. März 1996 diktiert. Die Rechtsanwaltsgehilfin H habe die Revisionsbegründung am selben Tag geschrieben und ihm anschließend zur Unterschrift vorgelegt. Nach der Unterzeichnung habe er Frau H das Schriftstück zurückgegeben. Sie habe den Schriftsatz in einen Briefumschlag gesteckt, den Umschlag frankiert und den Vorgang anschließend in das "Portobuch" eingetragen. Die Revisionsbegründung sei an die Adresse des BFH gerichtet gewesen, die das FG mit der Abgabenachricht am 27. Februar 1996 mitgeteilt habe.
Der Postausgang sei wie folgt organisiert: Unterzeichnete Schreiben würden aus den Unterschriftenmappen herausgenommen und in Briefumschläge gesteckt. Diese hätten ein Sichtfenster, so daß die Briefumschläge nicht beschriftet werden müßten. Die Briefe würden einzeln ausgewogen, frankiert und das Porto in das Portobuch eingetragen. Diese Arbeiten erledige Frau H ca. 30 Minuten vor Dienstschluß. Auf dem Nachhauseweg werfe sie die Briefe in einen 200 m entfernt liegenden Briefkasten ein, der um 18.15 Uhr geleert werde.
Frau H sei seit zwei Jahren in der Kanzlei angestellt und erledige die ihr zugewiesenen Aufgaben gewissenhaft. Auf das Schreiben des Vorsitzenden des X. Senats hin habe er zusammen mit Frau H ohne Erfolg die Kanzleiräume nach der Revisionsbegründung durchsucht. Es sei daher zu vermuten, daß das Schreiben auf dem Postwege abhanden gekommen sei.
Der Prozeßbevollmächtigte fügte dem Wiedereinsetzungsantrag eine Kopie des Portobuchs, eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin H sowie die Originaldurchschrift der Revisionsbegründung aus seinen Akten bei, die er erneut unterzeichnet hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, den Wiedereinsetzungsantrag abzulehnen und die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Den Klägern wird wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 56 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Sie haben die Frist weder durch eigenes Verschulden noch durch das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten versäumt.
Der Prozeßbevollmächtigte hat dargelegt und glaubhaft gemacht, daß die Revisionsbegründung rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist geschrieben, unterzeichnet und zur Post gegeben worden ist. Die Eintragungen im "Portobuch" sind als Nachweis für die rechtzeitige Absendung geeignet. Anders als in dem vom I. Senat des BFH entschiedenen Fall im Beschluß vom 27. März 1986 I R 189/85 (BFH/NV 1987, 720) wurden im Streitfall in dem "Portobuch" nicht nur der Empfänger und die Postgebühr vermerkt, sondern auch die Art der Versendung (Einschreiben, Brief, Fax), der Empfangsort, die Beteiligten des Rechtsstreits und das Aktenzeichen. Da die Angaben über das Porto erst eingetragen werden, wenn der zu versendende Brief ausgewogen und frankiert worden ist, und die Rechtsanwaltsgehilfin täglich nach Dienstschluß die frankierten Sendungen in den nahegelegenen Briefkasten einwirft, wird durch das Portobuch dokumentiert, daß an dem Tag der Eintragung ein Schriftstück in der betreffenden Streitsache zur Post gegeben wurde. In dem Portobuch ist zwar über die Art des Schriftstücks (Revision, Revisionsbegründung, nicht fristgebundener Schriftsatz) nichts vermerkt. Jedoch sprechen die Einlegung der Revision, die Übersendung der Prozeßvollmacht und auch die Höhe des Portos dafür, daß es sich bei dem am 12. März 1996 an den BFH abgesandten Brief um die Revisionsbegründung gehandelt hat.
Ist die rechtzeitige Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes glaubhaft gemacht, bedarf es keiner Darlegung darüber, wie die Fristenkontrolle organisiert ist. Die Entscheidung des BFH vom 7. Dezember 1988 X R 80/87 (BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266), auf die sich das FA beruft, betrifft einen anderen Sachverhalt. Es ging nicht darum, wie glaubhaft zu machen ist, daß ein Schriftstück auf dem Postweg verloren gegangen ist, sondern darum, ob die Versendung eines Schriftstücks an den falschen Adressaten durch einen Angestellten auf einem Organisationsmangel in der Kanzlei beruhte.
Der Senat entscheidet über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Zwischenurteil (§§ 121, 97 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 421920 |
BFH/NV 1997, 253 |