Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des Zivilgerichts für insolvenzrechtliche Anfechtungsstreitigkeiten. Rechtswegbestimmung bei anfechtbarer Aufrechnung des Insolvenzgläubigers
Leitsatz (amtlich)
a) Der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch gehört als bürgerliche Rechtsstreitigkeit vor die ordentlichen Gerichte (Bestätigung von: BGH v. 7.5.1991 - IX ZR 30/90, BGHZ 114, 315 [320] = MDR 1991, 860).
b) Hält der Insolvenzverwalter eine Aufrechnung oder Verrechnung für unzulässig, weil der Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat, ist die Frage der Anfechtbarkeit nicht rechtswegbestimmend.
Normenkette
GVG § 13; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 143 Abs. 1 S. 1; SGG § 51 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Beschluss vom 29.09.2004; Aktenzeichen 1 W 45/04) |
LG Hamburg |
Tenor
Die weitere Beschwerde (Rechtsbeschwerde) gegen den Beschluss des OLG Hamburg, 1. Zivilsenat, v. 29.9.2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 9.944,01 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag v. 23.9.2003 am 1.12.2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. Pflegedienst GmbH (fortan: Schuldnerin). Er verlangt von der beklagten Krankenkasse nach § 89 SGB XI Bezahlung von Leistungen, welche die Schuldnerin an Mitglieder der Beklagten erbracht hat. Die Beklagte hat nach Antragstellung das offen stehende Honorar mit Beitragsrückständen der Schuldnerin aus der gesetzlichen Sozialversicherung gem. §§ 51, 52 SGB I verrechnet. Der Kläger hält die Verrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 130, 131 InsO für unwirksam. Er hat vor dem LG am Sitz der Beklagten Zahlungsklage erhoben. Das LG hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht für eröffnet gehalten und den Rechtsstreit an das SG Dortmund verwiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das OLG zurückgewiesen. Es hat die weitere Beschwerde zugelassen.
II.
1. Die nach § 17a Abs. 4 S. 3 GVG als Rechtsbeschwerde zu behandelnde weitere Beschwerde (fortan: Nur Rechtsbeschwerde) ist von dem OLG zugelassen worden; sie ist deshalb statthaft (vgl. § 17a Abs. 4 S. 4 und 6 GVG). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerdebefugnis des Klägers für die Einlegung der Rechtsbeschwerde ergibt sich schon aus der Zurückweisung seiner ersten Beschwerde.
2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
a) In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das OLG von einer zulässigen sofortigen ersten Beschwerde gegen die Entscheidung des LG ausgegangen. Die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels (§ 17a Abs. 4 S. 3 GVG, § 569 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO) hat der Kläger gewahrt.
b) In der Sache selbst haben die Vorinstanzen den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten mit Recht verneint.
aa) Bei Streitigkeiten über die Vergütung der ambulanten Pflegeleistungen und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 89 SGB XI) greift die Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, bei privater Pflegeversicherung i.V.m. Abs. 2 S. 3 SGG, ein. Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der Pflegeversicherung über öffentlich-rechtliche wie privatrechtliche Streitigkeiten. Wegen dieser ausdrücklichen Rechtswegzuweisung ist über die Klageforderung im Rechtsweg vor den SG zu entscheiden. Dies wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht in Frage gestellt.
bb) Nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ob nach dieser Vorschrift die Sachkompetenz des Gerichts - mit Ausnahme der in § 17 Abs. 2 S. 2 GVG aufgeführten Sonderfälle - auch darauf erstreckt wird, über den Bestand einer zur Aufrechnung gestellten streitigen Gegenforderung zu entscheiden, die bei selbstständiger Geltendmachung in einen anderen Rechtsweg gehört hätte, ist streitig (OVG Lüneburg, Urt. v. 26.5.2004 - 4 LC 408/02, NVwZ 2004, 1513 [1515]; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 17 Rz. 52; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 17 GVG Rz. 10). Der Meinungsstreit wird hier jedoch schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil die Gegenforderung nicht rechtswegfremd ist.
(1) Zur Entscheidung über den Gegenanspruch sind im Streitfall ebenfalls die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit berufen. Die Beklagte hat die Verrechnung darauf gestützt, dass die Schuldnerin von ihr geschuldete Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt habe. Ein Rechtsstreit hierüber fiele als öffentlich-rechtliche Streitigkeit unter § 51 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 5 SGG.
(2) Der rechtliche Kern des Streits zwischen dem Kläger und der Beklagten liegt nach dem bisherigen Vortrag in den Tatsacheninstanzen allerdings weder bei Grund oder Höhe der Hauptforderung noch bei der Gegenforderung, sondern konzentriert sich auf die insolvenzrechtliche Frage, ob die Beklagte die Möglichkeit der Verrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat (§ 96 Abs. 1 Nr. 3, §§ 130, 131 InsO). Auch dies führt nicht zu einer Zuständigkeit der Zivilgerichte. Wie die Vorinstanzen richtig gesehen haben, gehört der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch als bürgerliche Rechtsstreitigkeit (§ 13 GVG) vor die ordentlichen Gerichte (BGH v. 7.5.1991 - IX ZR 30/90, BGHZ 114, 315 [320] = MDR 1991, 860; OLG Hamm NZI 2004, 34; Kirchhof in MünchKomm/InsO, § 146 Rz. 30; HK-InsO/Kreft, 3. Aufl., § 129 Rz. 94). Ein insolvenzrechtlicher Anfechtungsanspruch ist im Streitfall jedoch nicht Verfahrensgegenstand. Ist die Aufrechnung - wie der Kläger meint - nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, so bedarf es einer Geltendmachung der Insolvenzanfechtung nicht: Ist die Aufrechnung schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt worden, wird diese Erklärung mit der Eröffnung rückwirkend unwirksam; eine Aufrechnungserklärung oder Verrechnung nach der Verfahrenseröffnung hat von vornherein keine Wirkung (BT-Drucks. 12/2443, 141; BGH, Urt. v. 29.6.2004 - IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388 = MDR 2005, 51 = BGHReport 2004, 1384 m. Anm. Runkel = NZI 2004, 580 [582]). Es bedarf keiner Geltendmachung oder Durchsetzung der Anfechtung durch Klage auf Rückgewähr nach § 143 Abs. 1 InsO. Bestreitet der Insolvenzgläubiger das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Aufrechnungsverbot, so hat der Insolvenzverwalter deshalb unmittelbar auf Zahlung der Hauptforderung zu klagen. Ist die Klage begründet, hat der Insolvenzgläubiger seine Leistung zur Insolvenzmasse zu erbringen (Kübler/Prütting/Lüke, InsO, § 96 Rz. 54; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 96 Rz. 30; unrichtig: LSG Rh.-Pf., Urt. v. 1.8.2002 - L5 KR 3/02, ZInsO 2003, 195 [196], a.E.). Dass hierbei von den Gerichten auch Vorschriften der Insolvenzordnung zu prüfen sind, berührt die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1384099 |
DB 2005, 1962 |
DStR 2008, 23 |
DStZ 2005, 724 |
BGHR 2005, 1273 |
NJW-RR 2005, 1138 |
WM 2005, 1573 |
WuB 2005, 799 |
WuB 2005, 809 |
ZAP 2005, 704 |
ZIP 2005, 1334 |
DZWir 2005, 513 |
MDR 2005, 1304 |
NZI 2005, 499 |
ZInsO 2005, 707 |
ZVI 2005, 372 |
ZVI 2006, 57 |
ProzRB 2005, 281 |