Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenverantwortlich arbeitender anwaltlicher Rechtsanwalt als Vertreter des Prozessbevollmächtigten. Schuldhafte Fristversäumnis
Leitsatz (amtlich)
Bedient sich der Prozessbevollmächtigte einer Partei bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits eines nichtanwaltlichen, voll juristisch ausgebildeten freien Mitarbeiters, so muss sich die Partei dessen Verschulden wie eigenes zurechnen lassen, wenn ihm der Rechtsstreit vom Prozessbevollmächtigten zur selbstständigen Bearbeitung übergeben worden ist.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 30.01.2004; Aktenzeichen 13 U 37/03) |
LG Hamburg |
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 13. Zivilsenats des OLG Hamburg v. 30.1.2004 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 33.578,38 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung für gelieferte Holzkohle und Briketts. Die Beklagte verlangt Schadensersatz, den sie aufrechnungsweise und im Wege der Widerklage geltend macht, sowie darüber hinaus die Herausgabe von Verpackungsmaterial.
Das LG hat sowohl der Klage als auch der Widerklage teilweise stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung der Klägerin ist gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückgewiesen worden. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Klage insgesamt abgewiesen und der Widerklage in vollem Umfang stattgegeben. Dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist das Berufungsurteil am 11.2.2004 zugestellt worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil hat die Klägerin mit einem am 25.3.2004 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin glaubhaft gemacht:
Rechtsanwalt B., ihr zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, öffne die eingehende Post ausnahmslos selbst. Er versehe eingehende Urteile und mit ihnen übersandte Empfangsbekenntnisse mit dem Eingangsstempel. Rechtsanwalt B. trage auch die Vorfristen und Fristen in den Fristenkalender ein und notiere die Eintragung auf den Schriftstücken, deren Zustellung den Fristablauf jeweils in Gang setze. Anders verfahre Rechtsanwalt B. aber in den Fällen, die Assessor F. bearbeite. Assessor F. sei seit Sommer 2001 als freier Mitarbeiter bei Rechtsanwalt B. beschäftigt. Er bearbeite die ihm übertragenen Sachen innerhalb der Kanzlei selbstständig, trete aber vor Gericht nicht auf und unterzeichne auch keine Schriftsätze oder Schreiben. In den Assessor F. übertragenen Sachen überlasse Rechtsanwalt B. Assessor F. auch die Arbeiten, die er in "eigenen" Sachen selbst durchführe. Im vorliegenden Fall habe Rechtsanwalt B. das Urteil des Berufungsgerichts, das er ebenso wie das Empfangsbekenntnis mit einem Stempel versehen habe, Assessor F. mit der Anweisung zukommen lassen, die Frist zu berechnen und persönlich in den Fristenkalender einzutragen. Diese Anweisung habe Assessor F. am 11.2.2004 erreicht. Assessor F. habe sich bei der Berechnung um genau eine Woche vertan. Deswegen habe er als Tag des Ablaufs der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde den 18.3.2004 und als Vorfrist den 15.3.2004 eingetragen. Dementsprechend sei die Akte Assessor F. am 15.3.2004 und damit nach Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde vorgelegt worden.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
Nach § 544 Abs. 1 S. 2 ZPO muss die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Berufungsurteils eingelegt werden. Die Frist ist vorliegend nicht gewahrt, weil das Berufungsurteil bereits am 11.2.2004 zugestellt wurde, die Beschwerde jedoch erst am 25.3.2004 bei dem Revisionsgericht eingegangen ist. Gegen die Versäumung dieser Notfrist kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Der hierauf gerichtete Antrag der Klägerin ist zwar zulässig, bleibt aber in der Sache selbst ohne Erfolg.
Nach § 233 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur bei unverschuldeter Fristversäumung eröffnet. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Versäumung der Beschwerdefrist beruht auf dem Verschulden von Assessor F., der bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin als freier Mitarbeiter beschäftigt ist. Assessor F. verrechnete sich bezüglich des Ablaufs der Beschwerdefrist um eine Woche. Deswegen wurde ihm die Akte erst nach Fristablauf am 15.3.2004 wiedervorgelegt. Das Verschulden von Assessor F. steht gem. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Klägerin gleich.
Bedient sich der Prozessbevollmächtigte einer Partei bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits eines angestellten Rechtsanwalts, so muss sich die Partei dessen Verschulden wie eigenes zurechnen lassen, wenn ihm der Rechtsstreit vom Prozessbevollmächtigten zur selbstständigen Bearbeitung übergeben worden ist. Denn in diesem Fall gilt der angestellte Rechtsanwalt als Vertreter des Prozessbevollmächtigten und damit der Partei selbst. Bestand dagegen seine Aufgabe nur aus vorbereitenden und unselbstständigen Tätigkeiten, kann sein Verschulden dem Prozessbevollmächtigten bzw. der Partei ebenso wenig zugerechnet werden wie das von Büropersonal (BGH, Urt. v. 1.4.1992 - XII ZB 21/92, NJW-RR 1992, 1019, unter II 1; Urt. v. 28.5.1974 - VI ZR 145/73, NJW 1974, 1511). Für einen nichtanwaltlichen, voll juristisch ausgebildeten (freien) Mitarbeiter des Bevollmächtigten gilt nichts anderes (Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 85 Rz. 19; Musielak/Weth, ZPO, 3. Aufl., § 85 Rz. 13). Der Grundsatz, dass das Verschulden eines Vertreters der Partei ohne Entlastungsmöglichkeit wie eigenes zuzurechnen ist, würde ausgehöhlt, wenn es der Prozessbevollmächtigte in der Hand hätte, die selbstständige Bearbeitung der Sache einem anderen zu übertragen und damit sich und seine Partei weitgehend aus der Verantwortung für Versäumnisse zu ziehen (BGH, Beschl. v. 9.7.1973 - II ZB 4/73, VersR 1973, 1070).
Assessor F. hat die ihm übertragene Sache der Klägerin innerhalb der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin - wie üblich - selbstständig bearbeitet. Ihm sind auch die Arbeiten überlassen worden, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sonst selbst durchführt. Dementsprechend hat Assessor F. die Schriftsätze der Klägerin verfasst und die Fristen des Verfahrens berechnet und notiert. In den Verhandlungen vor dem LG und dem OLG ist Assessor F. jeweils zusammen mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgetreten. Bei den Assessor F. übertragenen Aufgaben handelt es sich mithin um einen wesentlichen Teil des anwaltlichen Pflichtenkreises. Assessor F. ist deshalb als Unterbevollmächtigter und damit als Bevollmächtigter i.S.d. § 85 Abs. 2 ZPO anzusehen (vgl. BGH, Beschl. v. 19.12.1983 - II ZB 6/83, VersR 1984, 239).
Fundstellen
Haufe-Index 1193381 |
NJW 2004, 2901 |
Inf 2004, 653 |
BGHR 2004, 1448 |
FamRZ 2004, 1478 |
ZAP 2004, 1087 |
JA 2005, 6 |
MDR 2004, 1253 |
VersR 2005, 810 |
NJW-Spezial 2004, 335 |
BRAK-Mitt. 2004, 265 |
KammerForum 2004, 319 |