Leitsatz (amtlich)
›a) Berufung und Revision können durch Telefax eingelegt werden und begründet werden. Erforderlich ist in diesem Fall, daß die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Anwalt unterzeichnet ist.
b) Trifft ein Anwalt, um den fristgerechten Eingang eines Schriftsatzes sicherzustellen, Vorkehrungen, zu denen er nach der Rechtsprechung nicht verpflichtet gewesen wäre, so können Fehler, die ihm hierbei unterlaufen, die Versagung der Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen.‹
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth |
OLG Nürnberg |
Gründe
I. Die Klägerin hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts mit einem am 22. Dezember 1988 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Der vom 20. Januar 1989 datierende Schriftsatz, mit der die Berufung begründet wurde, ist am 24. Januar 1989 beim Berufungsgericht eingegangen. Bereits am Vortage war dem Oberlandesgericht eine nicht unterzeichnete Kopie des Begründungsschriftsatzes durch Telefax zugegangen.
Mit einem am 9. Februar 1989 eingegangenen Schriftsatz vom 6. Februar 1989 hat die Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie trägt vor: Die Berufungsbegründung sei am Freitag, den 20. Januar 1989 per Eilboten versandt worden. Am selben Tage habe ihr Prozeßbevollmächtigter seinem Personal die Weisung erteilt, sich am 23. Januar 1989 beim Oberlandesgericht danach zu erkundigen, ob die Berufungsbegründung eingegangen sei. Falls dies nicht der Fall sein sollte, sei eine Kopie der Berufungsbegründung dem Berufungsgericht durch Telefax zu übermitteln. Die Anwaltsgehilfin C W habe jedoch versäumt, die Kopie vorher von dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnen zu lassen.
Durch den im Tenor bezeichneten Beschluß hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die gemäß § 519b ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin.
II. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist versäumt habe. Die Telefaxkopie der Berufungsbegründungsfrist ist zwar noch am 23. Januar 1989 beim Oberlandesgericht eingegangen; sie entsprach jedoch nicht den formellen Anforderungen des § 519 ZPO. Zwar bestehen gegen die gewählte Übermittlungsart keine Bedenken. Der Bundesgerichtshof hat bereits in BGHZ 87, 63 die Einlegung einer sofortigen Beschwerde durch Telebrief zugelassen. Die dort aufgestellten Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Einlegung von Berufung und Revision (ebenso BAGE 43, 46). Die vom Anwalt der Klägerin gewählte Übermittlungsart - Inanspruchnahme des Telefaxdienstes der Bundespost (§§ 25 bis 28 der Telekommunikationsordnung) - unterscheidet sich von der in BGHZ 87, 63 behandelten nicht wesentlich. Entscheidend ist, daß in beiden Fällen der Empfänger eine Fernkopie der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift erhält. Darauf, ob diese von einem Postamt entgegengenommen und dem Empfänger als Brief zugestellt oder unmittelbar vom Empfänger in einem eigenen Anschluß aufgenommen wird, kommt es nicht an. Diese Grundsätze müssen auch für die Übermittlung von Rechtsmittelbegründungschriften gelten (BSG NZA 1986, 578; MDR 1985, 1053). Erforderlich ist aber, daß die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben worden ist und daß dessen Unterschrift auf der Kopie wiedergegeben wird (BSG aaO.; BAGE 50, 348; vergleiche auch BFHE 136, 41). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die mit Eilbrief übermittelte Berufungsbegründung war zwar formgerecht, ist aber erst nach Ablauf der Begründungsfrist beim Rechtsmittelgericht eingegangen.
III. Der Klägerin ist jedoch gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
1. Das Berufungsgericht meint, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei teilweise unzulässig, im übrigen aber unbegründet. Unzulässig sei er insoweit, als er auf den verspäteten Eingang des als Eilbrief versandten unterzeichneten Schriftsatzes vom 20. Januar 1989 gestützt werde. Dem Personal des Prozeßbevollmächtigten sei bereits am 23. Januar 1989 bekannt gewesen, daß der Eilbrief seinen Empfänger nicht erreicht hatte. Bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte dies auch der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin am selben Tage erfahren können. Das Hindernis, das insoweit der Wahrung der Berufungsbegründungsfrist.entgegengestanden habe, sei bereits am 23. Januar 1989 behoben gewesen. Die Frist des § 234 Abs. 1 und 2 ZPO habe daher spätestens am 24. Januar 1989 zu laufen begonnen; sie sei deshalb am 9. Februar 1989, dem Tage des Eingangs des Wiedereinsetzungsgesuchs, bereits verstrichen gewesen. Fristgerecht sei dagegen das Wiedereinsetzungsgesuch, soweit es darauf gestützt werde, daß das Fehlen der Unterschrift unter der mit Telefax übermittelten Berufungsbegründung nicht vom Prozeßbevollmächtigten, sondern von dessen Personal zu vertreten sei.
Gegen diese rechtliche Beurteilung bestehen aus mehreren Gründen durchgreifende rechtliche Bedenken:
a) § 234 ZPO bestimmt eine Frist für die Geltendmachung des (prozessualen) Wiedereinsetzungsanspruchs, nicht eine Frist für die Geltendmachung einzelner Wiedereinsetzungsgründe. Für ein bestimmtes Wiedereinsetzungsgesuch kann daher nur eine einheitliche Frist laufen. Diese beginnt gemäß § 234 Abs. 2 ZPO in dem Zeitpunkt, in dem "das Hindernis" weggefallen ist, d.h. also dann, wenn dem Rechtsmittelkläger die Einlegung des Rechtsmittels (bzw. dessen Begründung möglich und zumutbar ist. Liegen zwei Umstände vor, von denen jeder der beiden die Partei an der Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels hindert, so beginnt die Frist erst dann zu laufen, wenn beide weggefallen sind. Beruht dagegen die Verhinderung des Rechtsmittelklägers auf dem Zusammenwirken von zwei Umständen, von denen keines für sich allein den Rechtsmittelkläger an der Fristwahrung gehindert hätte, so genügt bereits der Wegfall eines dieser beiden Umstände, um die Frist in Lauf zu setzen.
b) Fehlerhaft ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, das der Berufungseinlegung entgegenstehende Hindernis sei bereits am 23. Januar 1989 weggefallen. § 234 ZPO findet nur in den Fällen Anwendung, in denen der Rechtsmittelkläger vor dem Fristablauf keine fristwahrende Handlung vornehmen konnte. Bestand vor Fristablauf kein Hindernis mehr, dann fehlt es bereits an einem Wiedereinsetzungsgrund im Sinne von § 233 ZPO.
2. Dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er mit der Abfassung und Absendung der Berufungsbegründung bis zum 20. Januar 1989 gewartet hat. Die Klägerin durfte - wie jeder Rechtsmittelkläger - die Berufungsbegründungsfrist voll ausnutzen (BVerfGE 40, 42). Bedient sich der Anwalt zur Übermittlung des fristwahrenden Schriftsatzes der Post, so muß er allerdings die gewöhnliche Laufzeit von Postsendungen berücksichtigen. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat in dieser Hinsicht alles Erforderliche getan. In der Regel kann man davon ausgehen, daß ein in der Mitte der Woche aufgegebener Brief den Empfänger am nächsten oder übernächsten Zustelltag erreicht. Wird allerdings der Brief am Freitag oder Samstag aufgegeben, dann kann man erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres damit rechnen, daß er auch am Montag zugestellt wird. Der Anwalt der Klägerin hat diesem Erfahrungssatz dadurch Rechnung getragen, daß er die Berufungsbegründung als Eilbrief versandt hat. Wenn die Post den am Freitag aufgegebenen Eilbrief erst am folgenden Dienstag zutrug, so war das ein völlig ungewöhnlicher Vorgang, auf den sich der Anwalt nicht einzustellen brauchte (BGH, Beschluß vom 3. Juli 1975 - III ZB 11/75 - VersR 1976, 88; der Beschluß vom 10. April 1975 - VII ZB 5/75 - VersR 1975, 811 betrifft die besonderen Verhältnisse an den Weihnachtsfeiertagen und ist daher hier nicht einschlägig). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob ein Rechtsmittelkläger verpflichtet ist, bei der Absendung der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift die verminderte Dienstleistung der Post an Wochenenden in Rechnung zu stellen (vgl. dazu einerseits BVerfGE 53, 25, 29, andererseits aber BVerfGE 40, 42, wo es entscheidend darauf abgestellt wird, daß der Brief in der Wochenmitte aufgegeben wurde).
3. Wenig sachgemäß war allerdings die Weisung, die der Anwalt seinem Personal für den Fall erteilte, daß die telefonische Nachfrage nach dem Eingang der Berufungsbegründungsschrift ein negatives Ergebnis haben sollte. Er hatte angeordnet, daß dann "eine Kopie der Berufungsbegründung per Telefax zu versenden" sei (Wiedereinsetzungsgesuch S. 3 1. Abs. Bl. 108 d.A.); eine Anweisung, die Kopie vorher dem Prozeßbevollmächtigten zur Unterzeichnung vorzulegen, ist nicht behauptet. Die Weisung war so formuliert, daß die Büroangestellten annehmen mußten, sie hätten von sich aus. - also ohne Mitwirkung des Rechtsanwalts - die Übermittlung der Kopie durch Telefax zu veranlassen, d.h., die bei den Akten befindliche Kopie in das Telefaxgerät einzugeben. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin konnte auch nicht erwarten, daß seine Angestellten von sich aus die Notwendigkeit einer vorherigen Unterzeichnung erkennen würden. Der Telefaxdienst der Post ist ein neuartiges Nachrichtenübermittlungsverfahren. Welche Formvorschriften bei der Benutzung dieses Verfahrens zu beachten sind, ist eine schwierige Rechtsfrage, deren Beantwortung nicht Büroangestellten überlassen werden darf. Dies wurde selbst dann gelten, wenn es sich bei den Angestellten des Rechtsanwalts N um hochqualifizierte Kräfte mit langjähriger Berufserfahrung handeln sollte (was im übrigen weder behauptet noch glaubhaft gemacht ist). Es wäre demnach sachgerecht gewesen, wenn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin bereits am Freitag, dem 20. Januar 1989, die bei seinen Akten befindliche Kopie unterzeichnet oder sein Büro angewiesen hätte, diese auf jeden Fall vor Eingabe in das Telefaxgerät ihm (oder einem anderen postulationsfähigen Anwalt) zur Unterzeichnung vorzulegen. -
Dieses Versäumnis begründet jedoch keinen Schuldvorwurf, der eine Wiedereinsetzung ausschließen würde. Rechtsanwalt N hatte, wie unter Ziff. 2. ausgeführt, den Begründungsschriftsatz rechtzeitig zur Post gegeben. Er war daher nicht verpflichtet, sich darüber zu vergewissern. ob er auch noch am letzten Tag der Frist eingegangen war (BGHZ 9, 118, 122; Beschlüsse vom 2. Juli 1952 - IV ZB 48/52 - NJW 52, 1137 und vom 11. Januar 1954 - II ZB 22/53 - JR 1954, 304; Urteil vom 30. September 1958 - VIII ZR 133/57 - NJW 1957, 2015; BAG NJW 1973, 918; 1975, 1144). Wenn er sein Büro anwies, am Montag, dem 23. Januar 1989, bei Gericht anzurufen, so hat er mehr getan, als an sich erforderlich war; diese zusätzliche Vorsichtsmaßregel kann seiner Partei nicht zum Nachteil gereichen.
4. Die Klägerin hat auch um die Wiedereinsetzung rechtzeitig nachgesucht. Die Frist des § 234 ZPO begann in dem Zeitpunkt, in dem der Anwalt der Klägerin erkannte, daß die Berufungsbegründungsschrift nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen war, oder indem er dies bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können. Seinen Büroangestellten war zwar bekannt, daß am Montag, dem 23. Januar 1989 der Schriftsatz dem Gericht noch nicht vorlag. Wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt, kann jedoch die Kenntnis des Büropersonals - anders als die Kenntnis des Prozeßbevollmächtigten selbst - der Partei nicht zugerechnet werden. Auch kann es Rechtsanwalt N nicht zum Vorwurf gereichen, daß er sich am 23. Januar 1989 nicht persönlich davon vergewissert hat, ob die Berufungsbegründungsschrift bei Gericht eingegangen sei. Zu einer solchen Nachfrage war er, wie bereits ausgeführt, nicht verpflichtet. Die Wiedereinsetzungsfrist begann daher erst in dem Augenblick zu laufen, in dem der Prozeßbevollmächtigte vom Gericht über die Versäumung der Frist unterrichtet wurde. Das ist nach seinem Vortrag am 6. Februar 1989 geschehen. Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß er bereits früher Kenntnis erlangt hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 2993003 |
NJW 1990, 188 |
BRAK-Mitt 90, 58 |
BGHR ZPO § 233 Anwaltsverschulden 2 |
BGHR ZPO § 233 Postbeförderung 2 |
BGHR ZPO § 234 Abs. 2 Fristbeginn 2 |
BGHR ZPO § 234 Fristbeginn 2 |
BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungseinreichung 1 |
DRsp IV(412)208b-c |
DRsp IV(416)296b |
CR 1990, 474 (LS) |
WM 1989, 1820 |
DAR 1989, 456 |
JuS 1990, 419 |
MDR 1990, 226 |
VersR 1990, 326 |
DRsp-ROM Nr. 1992/1664 |