Die Ankündigung eines Antrags ist selbst noch kein Antrag
Erforderlichkeit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist angekündigt
Nach Abweisung einer Schadensersatzklage durch das Landgericht hatte die Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung beim zuständigen OLG eingelegt. In einem weiteren Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass er das Verfahren von einem Kollegen übernommen habe und ihm daher Akteneinsicht sowohl in die Gerichtsakte als auch in eine mit dem Zivilverfahren in Zusammenhang stehende Strafakte zu gewähren sei. Weiter heißt es:
„Der Unterzeichner kündigt aus diesem Grund bereits jetzt an, dass die Frist zur Begründung der Berufung verlängert werden muss.“
Antrag auf Fristverlängerung nach Fristablauf
Nach Ablauf der regulären Berufungsbegründungsfrist teilte der Prozessbevollmächtigte dem Berufungsgericht schriftlich mit, dass bislang keine Akteneinsicht gewährt worden sei und er davon ausgehe, dass die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat verlängert worden sei. Vorsorglich beantragte er mit diesem Schriftsatz auch förmlich die Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat.
Berufung als unzulässig verworfen
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist als verspätet angesehen und die Berufung als unzulässig verworfen. Den ebenfalls gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Gericht zurückgewiesen.
Rechtsbeschwerde erfolglos
Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf der BGH gemäß § 574 Abs. 2 ZPO als unzulässig, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch eine Entscheidung des BGH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere.
Die Ankündigung eines Antrags ist kein Antrag
Der BGH setzte sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den prozessualen Ausführungen der Beschwerdeführerin auseinander. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keinen Fristverlängerungsantrag gestellt. Die prozessuale Ankündigung, „dass die Frist zur Begründung der Berufung verlängert werden muss“, enthalte einen solchen Antrag nicht. Ein Rechtsanwalt müsse, sobald er erkennt, dass eine Frist zur Rechtsmittelbegründung nicht eingehalten werden kann, durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch erst gar nicht notwendig wird (BGH, Beschluss v. 16.11.2021, VIII ZB 70/20).
Prozesserklärungen sind auslegungsfähig
Ausdrücklich wies der BGH darauf hin, dass die Auslegung solcher Prozesserklärungen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften habe, sondern auf den wirklichen Willen des Erklärenden abzustellen sei. Im Zweifel sei dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage des Erklärenden entspricht (BGH, Urteil vom 6.6.2019, III ZR 83/18). Auch darf die Klärung materieller Rechtsfragen nicht durch eine zu formale Auslegung beeinträchtigt werden (BGH, Urteil v. 17.5.2000, VIII ZR 210/99).
Schützenswerte Interessen der Gegenpartei
Diese Auslegungsgrundsätze sind nach der Entscheidung des BGH jedoch mit dem öffentlichen Interesse an der Klarheit und Rechtsbeständigkeit gerichtlicher Entscheidungen in Einklang zu bringen. Dabei sind auch die berechtigten Interessen der anderen Partei zu berücksichtigen.
Anwalt muss wissen, was ein Antrag ist
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist nach Auffassung des BGH in der Erklärung, die Frist zur Begründung der Berufung müsse verlängert werden, kein Antrag auf Fristverlängerung zu sehen. Der Prozessbevollmächtigte habe einen solchen Antrag lediglich angekündigt. Insoweit sei auch davon auszugehen, dass einem Rechtsanwalt der Unterschied zwischen der Ankündigung eines Antrags und dem Antrag selbst bekannt sei. Die konkludente Stellung eines Fristverlängerungsantrags könne auch unter Berücksichtigung der aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsätze des fairen Verfahrens und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nicht in diese Ankündigung hineininterpretiert werden.
Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt
Im Ergebnis hatte der Rechtsanwalt nach der Entscheidung des BGH die Berufungsbegründungsfrist bzw. die Frist zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründung schuldhaft versäumt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher zu Recht abgelehnt und die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen worden.
(BGH, Beschluss v. 27.4.2023, III ZB 46/22)
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