Beratungspflichten des Anwalts bei Vergleichen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer Grundsatzentscheidung ausführlich mit den anwaltlichen Beratungspflichten im Zusammenhang mit dem Abschluss von Vergleichen befasst. Die vom BGH postulierten Anforderungen sind hoch: Der Anwalt muss den Mandanten so umfassend informieren, dass dieser in die Lage versetzt wird,
- die wesentlichen Folgen des Vergleichs zu überschauen,
- die Risiken sowie die Vor- und Nachteile abzuwägen und
- auf dieser Grundlage eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.
Regressklage gegen Rechtsanwalt
Im konkreten Fall ging es um die Regressklage eines Mandanten gegen den von ihm beauftragten Rechtsanwalt. Der Kläger hatte den Anwalt beauftragt, eine Schadensersatzklage gegen einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb zu erheben, der auf dem Hausgrundstück des Klägers Drainage- und Abdichtungsarbeiten durchgeführt hatte. In der Folge kam es zu Feuchtigkeitsschäden im Haus des Klägers. Das Gerichtsverfahren endete mit einem Vergleich, in dem sich das Gartenbauunternehmen verpflichtete, dem Kläger 55.000 EUR Schadenersatz zu zahlen.
Mandant rügt mangelhafte Beratung
Der Vergleich enthielt eine Abfindungsklausel, wonach mit Abschluss des Vergleichs alle gegenseitigen Ansprüche zwischen den Parteien abgegolten und erledigt sein sollten. Später stellte sich heraus, dass die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten mehr als das Vierfache der Vergleichssumme betrugen. Der Kläger fühlte sich von seinem Anwalt insbesondere hinsichtlich der Tragweite der Abfindungsklausel falsch beraten und verlangte Schadensersatz wegen Schlechterfüllung des Anwaltsvertrages in Höhe der Differenz zwischen der Vergleichssumme und den tatsächlich angefallenen Mängelbeseitigungskosten.
Regressklage in 2 Instanzen abgewiesen
Die Regressklage des Mandanten blieb zunächst in 2 Instanzen erfolglos. Das Berufungsgericht hatte eine Pflichtverletzung des beklagten Rechtsanwalts mit der Begründung verneint, die Bedeutung der in dem Vergleich verwendeten Abgeltungsklausel sei für den Kläger, der sich im Prozess gegen den Gartenbaubetrieb eines privaten Sachverständigen bedient habe, ohne weiteres erkennbar gewesen. Dass der Kläger aus späteren, für ihn ungünstigen Erkenntnissen und Entwicklungen hinsichtlich der tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten keine Ansprüche mehr gegen das Gartenbauunternehmen herleiten könne, ergebe sich auch für einen juristischen Laien ohne weiteres aus dem eindeutigen Wortlaut der Abgeltungsklausel.
BGH stellt höhere Anforderungen an Beratungspflichten
Der BGH teilte diese Auffassung des OLG nicht. Der Senat beanstandete die rechtlichen Ausführungen der Vorinstanzen zu den Beratungspflichten des Anwalts als rechtlich nicht haltbar und stellte klar, dass der Anwalt grundsätzlich zu einer allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung seines Mandanten verpflichtet sei. Insbesondere habe er den Mandanten vor Irrtümern zu bewahren und ihm die zur Erreichung des angestrebten Zieles am besten geeigneten Schritte zu empfehlen. Er müsse diesen in die Lage versetzen, eine eigenverantwortliche, sachgerechte Entscheidung und Weichenstellung in seiner Rechtsangelegenheit zu treffen (BGH, Urteil v. 16.9.2021, IX ZR 165/19).
Anwalt kann verpflichtet sein, vom Vergleichsabschluss abzuraten
Der BGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vorzeitige Beendigung einer Angelegenheit durch Vergleich für den Mandanten so nachteilig sein kann, dass der Anwalt vom Abschluss des Vergleichs abraten muss (BGH, Urteil v. 14.7.2016, IX ZR 291/14). Dies gilt unabhängig davon, ob der Vergleich eine Abfindungsklausel enthält oder nicht.
Entbehrlichkeit der Beratung ist die absolute Ausnahme
Der BGH stellte auch klar, dass nicht jeder Mandant in gleichem Maße beratungsbedürftig sei. Sei der Mandant aufgrund seiner fachlichen oder rechtlichen Kenntnisse über die Vor- und Nachteile eines möglichen Vergleichsschlusses im Bilde, bedürfe es keiner zusätzlichen Beratung durch den Rechtsanwalt. Der umfassend vorinformierte und nicht mehr beratungsbedürftige Mandant sei aber in der Rechtswirklichkeit auch unter juristisch vorgebildeten und wirtschaftlich erfahrenen Mandanten die Ausnahme (BGH Urteil v. 12.2.2004, IX ZR 246/02). Für das Vorliegen einer solchen, die Beratungspflichten schmälernden Ausnahme liege die Beweislast beim Rechtsanwalt.
Fehlende Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz
Diese Grundsätze hätten die Vorinstanzen im zu entscheidenden Fall verkannt, so der BGH. Das Berufungsgericht habe praktisch keine Feststellungen dazu getroffen, ob und inwieweit der beklagte Rechtsanwalt seinen Mandanten über den Inhalt des Vergleichs, insbesondere auch über die Tragweite der Abgeltungsklausel, beraten habe.
Gesteigerte Beratungspflicht bei unklarer Ausgangslage
Eine eingehende Beratung sei jedoch erforderlich gewesen, da die Sachlage zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses äußerst unklar gewesen sei. Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen in dem gegen den Gartenbaubetrieb geführten Prozess sei insbesondere offen gewesen, inwieweit die aufgetretenen Feuchtigkeitsschäden auf fehlerhafte Drainagearbeiten des Gartenbaubetriebs zurückzuführen seien. Bei einer solchen unklaren Sachlage seien die Anforderungen an die Beratung über die möglicherweise erheblichen finanziellen Folgen bei Vereinbarung einer Abgeltungsklausel besonders hoch.
Vorinstanz muss erneut entscheiden
Da die Vorinstanz nicht die erforderlichen Feststellungen zum Umfang der vom Beklagten erbrachten Beratungsleistungen getroffen hatte, hob der Senat das Berufungsurteil auf und verwies das Verfahren zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
(BGH, Urteil v. 20.4.2023, IX ZR 209/21)
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