Beratungspflicht des Anwalts gegenüber Managern
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer Grundsatzentscheidung ausführlich mit der Einbeziehung von Leitungspersonen in den Beratungsvertrag zwischen einem Rechtsanwalt und einem mandatierenden Unternehmen nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte auseinandergesetzt.
Geschäftsführerregress wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife
Gegenstand des vom BGH entschiedenen Falles war eine Regressklage aus abgetretenem Recht gegen die Berufshaftpflichtversicherung eines Rechtsanwalts. Der Rechtsanwalt war von einer Kommanditgesellschaft ab Juli 2009 wiederholt mit der Rechtsberatung der Kommanditgesellschaft beauftragt worden, über deren Vermögen drei Jahre später das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter hatte den ehemaligen Geschäftsführer der Gesellschaft sowie dessen Vater, der als faktischer Mitgeschäftsführer in der Gesellschaft tätig war, wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife auf Erstattung in Anspruch genommen. Im Rahmen einer Einigung zahlten der Geschäftsführer und sein Vater einen Vergleichsbetrag in Höhe von 85.000 EUR an den Insolvenzverwalter.
Anwaltsregress nicht ausgeschlossen
Diese Summe machte der Zessionar der von den „beiden Geschäftsführern“ abgetretenen Regressforderung gegen die Berufshaftpflicht des Anwalts geltend. Nach unterschiedlichen Instanzentscheidungen stellte der BGH klar, dass ein solcher Regressanspruch grundsätzlich gegeben sein kann. Zwar habe der Beratungsvertrag des Anwalts lediglich mit der KG bestanden, jedoch sei die Einbeziehung der leitenden Mitarbeiter der KG in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages nach den Grundsätzen des Rechtsinstituts des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu prüfen. Dies gelte sowohl für den tatsächlichen als auch für den faktischen Geschäftsführer.
Pflicht zum Hinweis auf drohende Insolvenz
Die Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte setzt nach der Entscheidung des BGH voraus, dass der Vertragsschuldner eine Schutz- und Fürsorgepflicht verletzt hat, wobei es - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - unerheblich ist, ob es sich um die Verletzung einer Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beratungsvertrag handelt. Zu den Schutzpflichten, die Drittwirkung entfalten können, gehört nach Auffassung des BGH auch die Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters hinsichtlich eines möglichen Insolvenzgrundes (zur Hinweispflicht eines Steuerberaters: BGH, Urteil vom 26.1.2017, IX ZR 285/14). Diese Hinweis- und Warnpflicht hat der Gesetzgeber in § 102 StaRUG (Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz) als Instrument zur Früherkennung der Bestandsgefährdung eines Unternehmens berufsübergreifend etabliert.
Hinweispflicht kann sich auf Leitungspersonal erstrecken
In die hieraus folgenden Schutzwirkungen können nach der Entscheidung des BGH die Geschäftsleiter einer juristischen Person sowie einer Gesellschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit einbezogen sein, wenn
- die Geschäftsleiter bestimmungsgemäß mit der nach dem Anwaltsvertrag geschuldeten Hauptleistungen in Berührung kommen (Leistungsnäheverhältnis),
- der Gläubiger (Unternehmen) an der Einbeziehung ein schutzwürdiges Interesse hat,
- dies für den Vertragsschuldner (Anwalt) erkennbar ist und
- ein Bedürfnis für die Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich besteht (fehlt z.B. bei inhaltsgleichem eigenem Anspruch des Dritten).
Anwaltsvertrag für Beurteilung des Näheverhältnisses entscheidend
Inwieweit das für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte erforderliche Näheverhältnis im konkreten Fall zu bejahen ist, hänge entscheidend von der Ausprägung und dem Inhalt des anwaltlichen Beratervertrages ab (BGH, Urteil v. 9.7.2020, IX ZR 289/19). Im Streitfall könne dieses Näheverhältnis aus der für den Anwalt erkennbar infolge der Insolvenzreife des Unternehmens unmittelbar entstehenden Insolvenzantragspflicht sowohl des tatsächlichen als auch des faktischen Geschäftsführers und der bei einer Missachtung der Insolvenzantragspflicht für diese drohenden Haftungsfolgen entstanden sein.
Hinweispflicht nur unter engen Voraussetzungen
Eine rechtliche Hinweis- und Warnpflicht des Anwalts folgt nach der Entscheidung des BGH daraus aber nur, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich
- der Anwalt sich zur ordnungsgemäßen Erbringung der nach dem Beratervertrag geschuldeten Hauptleistung mit der wirtschaftlichen Krise des Unternehmens befassen musste,
- der Anwalt den möglichen Insolvenzgrund erkannt habe oder dieser offenkundig gewesen sei oder sich aufgedrängt habe.
- Die bloße Erkennbarkeit löse die Hinweispflicht noch nicht aus.
- Eine eigene Prüfpflicht des Anwalts zur Ermittlung eines möglichen Insolvenzgrundes bestehe ebenfalls nicht.
- Schließlich müsse der Anwalt Grund zu der Annahme gehabt haben, dass den Geschäftsleitern der mögliche Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten nicht bewusst gewesen sind.
Grundsätzliches Haftungsrisiko bei der Unternehmensberatung
Im Ergebnis schließt der BGH mit seiner Entscheidung die Erstreckung der Beratungspflichten des Anwalts auf Dritte zwar nicht aus, begrenzt die daraus grundsätzlich folgende Haftungsgefahr des Anwalts aber durch eine ganze Reihe weiterer Voraussetzungen. Dennoch sollten Anwälte bei der Beratung von Unternehmen dieses grundsätzlich bestehende Haftungsrisiko immer im Blick haben.
Die Vorinstanz muss erneut entscheiden
Da das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen der Anwaltshaftung im konkreten Fall in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend geprüft hat, hat der BGH den Rechtsstreit an die Vorinstanz zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dabei habe die Vorinstanz insbesondere auch die Frage der Kausalität der Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden sowie ein mögliches Mitverschulden der Geschäftsleiter zu prüfen.
(BGH, Urteil v. 29.6.2023, IX ZR 56/22)
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