Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 29.04.2022; Aktenzeichen 24 U 65/21)

LG Darmstadt (Entscheidung vom 26.03.2021; Aktenzeichen 8 O 270/20)

 

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 2022 gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 184.876,07 €

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der klagende Insolvenzverwalter nimmt aus abgetretenem Recht des früheren Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin (im Folgenden: Schuldnerin) den Beklagten auf Schadensersatz unter dem Vorwurf in Anspruch, dieser habe einen mit der Schuldnerin geschlossenen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter verletzt, indem er unzutreffend beraten oder Auskunft erteilt habe. Hierdurch sei ein Insolvenzantrag verspätet gestellt worden.

Rz. 2

Im Jahr 2014 war S.   K.       Geschäftsführer der Schuldnerin. Er war Nachfolger des zuvor mit diesem Amt betrauten J.   Ku., der bereits rund zwei Jahre zuvor wegen der wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin an den ihm persönlich bekannten Beklagten herangetreten war. Ende 2014 wandte sich S.   K., der von dem Steuerberater der Schuldnerin im Sommer des Jahres eine positive Fortführungsprognose erhalten hatte, seinerseits an den Beklagten. Es kam Mitte Dezember 2014 und Anfang Januar 2015 zu zwei Zusammenkünften zwischen ihnen, an denen auch ein Gesellschafter der Schuldnerin und der Steuerberater teilnahmen. Ob es zuvor ein weiteres Treffen in diesem Kreis gegeben hatte, ist ebenso streitig wie der genaue Gegenstand der jeweils geführten Gespräche und eines dabei erteilten Auftrags sowie Art und Umfang der dem Beklagten dabei überlassenen oder zur Einsicht vorgelegten Unterlagen. Am 23. Januar 2015 berechnete der Beklagte für die "Insolvenzberatung" der Schuldnerin am 16. Dezember 2014 und 7. Januar 2015 ein Zeit-Honorar über insgesamt 468,27 €, wobei die abgerechneten Tätigkeiten als "Erörterung der insolvenzrechtlichen Situation sowie Erläuterung von Folgen und Ergebnis eines Insolvenzverfahrens" und "Erörterung über die weitere Vorgehensweise" bezeichnet wurden (Anlage K 9).

Rz. 3

Am 30. Oktober 2015 stellte die Schuldnerin Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen wurde am 1. Dezember 2015 eröffnet.

Rz. 4

Der Kläger hat behauptet, S.   K.       habe den Beklagten Anfang Dezember 2014 damit beauftragt zu überprüfen, ob die Schuldnerin zum damaligen Zeitpunkt insolvenzreif gewesen sei und er dementsprechend einen Insolvenzantrag habe stellen müssen. Dies habe der Beklagte bei der Besprechung am 16. Dezember 2014 - unzutreffend - verneint. Infolge der falschen Auskunft sei der Insolvenzantrag verspätet gestellt worden. Hierdurch sei der Schuldnerin ein Schaden in Höhe von 184.876,01 € entstanden. Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Weder die Schuldnerin noch S.    K.       hätten ihm einen umfassenden Prüfungs- und Beratungsauftrag erteilt und ihm auch keine Unterlagen und Informationen überlassen, die einen vollständigen Ein- und Überblick über die finanzielle Situation der Schuldnerin vermittelt hätten, auf deren Grundlage konkrete und belastbare Handlungsempfehlungen hätten ausgesprochen werden können. Der damalige Geschäftsführer K.      habe ihn, den Beklagten, lediglich als Bekannten des früheren Geschäftsführers um eine zweite Meinung zu der Ansicht des Steuerberaters gefragt.

Rz. 5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht nach vorangegangenem Hinweis mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe einen Vertrag, wonach die Insolvenzreife zu prüfen gewesen sei, nicht schlüssig dargelegt. Es sei nicht ersichtlich, dass tatsächlich ein solcher Vertrag mit dem Beklagten zustande gekommen sei. Aus einer Beratung zur wirtschaftlichen Situation der späteren Schuldnerin ergebe sich noch keine schlüssige Behauptung, dass der Beklagte vertraglich verpflichtet worden sei, eine etwaige Rechtspflicht zur Insolvenzantragstellung zu prüfen. Es habe lediglich zwei ein- und halbstündige Termine gegeben, die der Kläger mit insgesamt 468,27 € abgerechnet habe. Aus der Rechnung in überschaubarer Höhe ergebe sich lediglich die "Erörterung der insolvenzrechtlichen Situation" und der "weiteren Vorgehensweise", mehr nicht. Auch unter Berücksichtigung des erst- und zweitinstanzlichen Klägervortrags bleibe es unklar, ob ein Vertrag zur Prüfung der Insolvenzreife geschlossen worden sei. Mit dem Beklagten möge über eine zweite Meinung gesprochen worden sein. Hierfür sei er auch vergütet worden. Anderes ergebe sich auch nicht aus der schriftlichen Stellungnahme des damaligen Geschäftsführers K.      (Anlage K 7). Da unersichtlich bleibe, ob mit dem Beklagten ein Vertrag über die Prüfung der Insolvenzreife zustande gekommen sei, könne auch dahinstehen, welche Unterlagen ihm vorgelegen hätten. Die Fragen der Wirksamkeit der Abtretungserklärung, der Pflichtverletzung und der Kausalität sowie eines haftungsausschließenden Mitverschuldens könnten daher ebenso offenbleiben wie das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens.

II.

Rz. 6

Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Rz. 7

1. Zu Recht rügt die Beschwerde, dass sich das Berufungsgericht mit wesentlichen Teilen des Vortrags des Klägers im Ergebnis nicht beschäftigt und die dazu angebotenen Beweise nicht erhoben hat. Dies beruht darauf, dass es die Anforderungen an die Substantiierungslast des Klägers überspannt und den wesentlichen Kern des Vortrags des Klägers nicht zur Kenntnis genommen beziehungsweise bei der Entscheidung nicht beachtet hat. Beides stellt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 2. Dezember 2021 - III ZR 146/20, BeckRS 2021, 47559 Rn. 17; vom 25. November 2021 - III ZR 202/20, BeckRS 2021, 41003 Rn. 10 und vom 27. August 2020 - III ZR 105/19, BeckRS 2020, 24306 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 - VI ZR 1206/20, NJW-RR 2021, 1294 Rn. 13).

Rz. 8

a) Das Berufungsgericht, das das Klägervorbringen für unschlüssig hält, hat angenommen, es sei nicht ersichtlich, dass ein Vertrag mit dem Beklagten zustande gekommen sei, wonach dieser die Insolvenzreife der Schuldnerin zu prüfen gehabt habe. Deswegen hat es sich mit dem diesbezüglichen Sachvortrag des Klägers im Einzelnen nicht mehr befasst und seine Würdigung im Wesentlichen auf den Vortrag, der Beklagte habe die wirtschaftliche Prognose der Schuldnerin durch den Steuerberater H.  überprüfen sollen, sowie den Inhalt der Rechnung beschränkt. Damit hat es sich den Blick auf das sonstige - ausreichend schlüssige - Klägervorbringen verstellt. Seine Bewertung beruht insoweit auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage.

Rz. 9

aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist schlüssig und als Prozessstoff erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss anhand des Parteivortrags beurteilen können, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Dabei ist die Angabe näherer Einzelheiten nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (st. Rspr., zB Senat, Beschluss vom 25. November 2021 aaO Rn. 11 m.zahlr.w.N.).

Rz. 10

bb) Dies zugrunde gelegt, hätte das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers nicht als unschlüssig ansehen und die Klage nicht ohne Erhebung des angebotenen Zeugenbeweises abweisen dürfen.

Rz. 11

Der Kläger hat bereits in der Klageschrift (S. 9 ff, GA I 11 ff) behauptet, der Beklagte habe im Dezember 2014 für S.      K.       die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin darauf geprüft, ob dieser in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer Insolvenzantrag zu stellen habe. Insoweit habe es einen ersten Besprechungstermin Anfang Dezember 2014 gegeben, an dem neben Herrn K.       der Gesellschafter der Schuldnerin P.    M.    und der Beklagte teilgenommen hätten. Hierzu seien diesem aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen überlassen und Einsicht in die Lieferantenvorbestellungen, die offenen Posten bei Kreditoren/Debitoren, die allgemeine Kostensituation durch den Mietvertrag und sonstige Dauerverpflichtungen gewährt worden. Der Beklagte habe die Unterlagen überprüft und bei der zweiten Besprechung am 16. Dezember 2014 eine Insolvenzreife der Schuldnerin verneint. All dies hat der Kläger unter Beweis durch das Zeugnis der genannten Personen gestellt. Diesen Vortrag hat er mit Schriftsatz vom 16. März 2021 wiederholt und durch den Beweisantritt durch das Zeugnis des Steuerberaters H.  ergänzt (S. 4, 6 ff, 10, GA I 88, 90 ff, 94). Er hat insoweit ausdrücklich behauptet, bei der Beratung Ende 2014 sei es um die Beurteilung der Frage durch den Beklagten gegangen, "ob Herr K.     in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin Insolvenzantrag zu stellen habe" (Schriftsatz vom 16. März 2021, S. 7, GA I 91). Des Weiteren hat sich der Kläger auf die schriftliche Stellungnahme des S.     K.       vom 26. Oktober 2020 (Anlage K 7) und auf seinen Schriftsatz vom 17. April 2018 in einem gegen ihn gerichteten Parallelverfahren (Anlage K 8) berufen. In der Erklärung vom 26. Oktober 2020 hat S.      K.       - über den dort ebenfalls erwähnten Wunsch, die Meinung des Steuerberaters H.  durch einen Fachmann überprüfen lassen zu wollen, hinaus - unter anderem ausgeführt, der Beklagte habe die wirtschaftliche Situation prüfen sollen, "ob etwas zu tun sei" und er "eine Insolvenzgefahr sehe". Mit Schriftsatz vom 17. April 2018 (dort S. 10) hat er vortragen lassen, der Beklagte, von dem er eine zweite Meinung zu der Einschätzung des Steuerberaters H.  habe einholen wollen, habe bei dem Gespräch am 16. Dezember 2014 betont, dass es keinen Grund zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens gebe.

Rz. 12

Mit der Berufungsbegründung vom 7. Mai 2021 hat der Kläger das Übergehen seines Vortrags durch das Landgericht beanstandet (S. 4, GA I 168) und weiter moniert, dass der Rechnungstext unzutreffend gewürdigt worden sei. Er hat dort wiederholend und vertiefend vorgetragen (S. 8 f, GA I 172 f), es habe Anfang Dezember 2014 einen ersten Besprechungstermin in den Büroräumen des Beklagten gegeben, an dem S.   K., P.   M.   sowie J.   H.  teilgenommen hätten. Herr K.        habe dort mitgeteilt, dass er den Beklagten mit der Prüfung der Insolvenzreife der Schuldnerin beauftragen wolle, wobei ihm als Geschäftsführer insbesondere an der Frage gelegen sei, ob er verpflichtet sei, einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Beklagte habe sich zu der Prüfung bereitgefunden und am 16. Dezember 2014 erklärt, nach Auswertung der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen sagen zu können, dass eine Insolvenzreife der Schuldnerin derzeit nicht gegeben sei und Herr K.      als Geschäftsführer nicht verpflichtet sei, Insolvenzantrag zu stellen (S. 8 f, GA I 172 f). Mit seiner Stellungnahme zu dem Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 8. April 2022 hat der Kläger schließlich erneut die Übergehung entscheidungserheblichen Vortrags, insbesondere der Stellungnahme des S.    K.       vom 26. Oktober 2020 (Anlage K 7) und seiner Beweisangebote, gerügt (Schriftsatz vom 8. April 2022, GA I 246 ff).

Rz. 13

Nach diesem Vorbringen kann eine Haftung des Beklagten zumindest auf der Grundlage eines Auskunftsvertrags nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Rz. 14

(1) Eine vertragliche Haftung des Auskunftgebers für die Richtigkeit seiner Auskunft - hier die Frage der Insolvenzreife der Schuldnerin und die Verpflichtung des Geschäftsführers zum Stellen eines Insolvenzantrags - ist dann anzunehmen, wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Auskunftgeber für die Erteilung der Auskunft besonders sachkundig oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse bei ihm im Spiel ist (vgl. zB BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 Rn. 10).

Rz. 15

(2) Nach dem - revisionsrechtlich zu unterstellenden - Vorbringen des Klägers hat S.    K.       als damaliger Geschäftsführer der Schuldnerin den - als Insolvenzverwalter und -berater tätigen - Beklagten Anfang Dezember 2014 um Prüfung der Insolvenzreife der Schuldnerin und der ihn insoweit möglicherweise treffenden Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, ersucht. Dem ist der Beklagte nachgekommen und hat nach Einsicht in ihm zur Verfügung gestellte Unterlagen im Folgetermin vom 16. Dezember 2014 die Auskunft erteilt, dass eine Insolvenzreife und dementsprechend eine Insolvenzantragspflicht zu verneinen seien. Die an den Beklagten herangetragenen Fragestellungen waren dabei ersichtlich nicht nur für die weitere Vorgehensweise und das damit verbundene zukünftige Schicksal der Schuldnerin, sondern auch für den Geschäftsführer K.     persönlich (vgl. § 64 GmbHG in der bis zum 1. Januar 2021 geltenden Fassung; vgl. nunmehr §§ 15a und 15b InsO) in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Der Beklagte besaß zudem die nötige Sachkunde, um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Seine Tätigkeit hat er nachfolgend in Rechnung gestellt.

Rz. 16

Es ist daher nicht fernliegend, dass S.    K.        und der Beklagte die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten machen wollten. Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Sach- und Rechtslage anders beurteilt hätte, wenn es sich mit dem vorstehenden Vortrag befasst beziehungsweise die dazu angebotenen Beweise erhoben hätte. Ob sich aus den sonstigen Umständen des Falls - etwa dem in der abgerechneten Stundenzahl zum Ausdruck kommenden relativ geringen Zeitaufwand, der damit korrelierenden Höhe der Rechnung, der fehlenden Verschriftlichung des Prüfungsergebnisses oder den möglicherweise ungenügenden Unterlagen - Einschränkungen in Bezug auf den Auftragsumfang oder eine daraus folgende Haftung ergeben können, ist Gegenstand der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung aller für den Einzelfall maßgeblichen Umstände, die bislang unterblieben ist. Die Berücksichtigung einzelner in eine Gesamtabwägung einzustellender Aspekte darf jedoch nicht dazu führen, dass deswegen Beweise gar nicht erst erhoben werden, denn dies käme einer vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich, die das rechtliche Gehör der übergangenen Partei ebenfalls verletzt (vgl. zB BGH, Beschlüsse vom 11. Mai 2021 aaO Rn. 18; vom 27. Juli 2016 - XII ZR 59/14, NJW-RR 2016, 1291, Rn. 12 und vom 16. April 2015 - IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829 Rn. 9; jew. mwN).

Rz. 17

b) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. zB Senat, Beschluss vom 27. August 2020 aaO Rn. 8 mwN). Zwar muss sich das Gericht in seinen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich mit jedem Parteivorbringen befassen. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass es das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist aber anzunehmen, wenn besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht beachtet worden ist (Senat aaO mwN). Solche Umstände liegen etwa dann vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags eines Beteiligten zu einer zentralen Frage des Verfahrens in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, sofern er nicht nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder aber - wie hier allerdings nicht - offensichtlich unsubstantiiert war (Senat aaO mwN).

Rz. 18

Ein solcher Gehörsverstoß ist dem Berufungsgericht vorliegend unterlaufen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass es in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt hat, auch unter Berücksichtigung des "erst- und zweitinstanzlichen Klägervortrags" bleibe unklar, ob zwischen der Schuldnerin beziehungsweise Herrn K.        und dem Beklagten ein Vertrag über dessen Verpflichtung zur Prüfung der Insolvenzreife geschlossen worden sei; ebenso wenig ergebe sich aus der Rechnung in überschaubarer Vergütungshöhe ein entsprechender Hinweis. Ferner hat es im Zurückweisungsbeschluss angenommen, der - vom Kläger als übergangen gerügten - schriftlichen Stellungnahme des damaligen Geschäftsführers K.      (Anlage K 7) sei keine abweichende Bedeutung beizumessen. Insoweit mag das Oberlandesgericht den entsprechenden Klägervortrag zwar zur Kenntnis genommen haben. Seine pauschale Bezugnahme auf nicht näher vereinzelten Sachvortrag lässt aber nicht erkennen, dass es sich mit dem vorstehend wiedergegebenen Klägervorbringen tatsächlich auch inhaltlich auseinandergesetzt und dieses in Erwägung gezogen hat. Im Gegenteil ergibt sich bereits aus der Annahme, es sei nach dem Klägervortrag unklar geblieben, ob ein Vertrag über die Verpflichtung zur Prüfung der Insolvenzreife abgeschlossen worden sei, dass es das vorstehend wiedergegebene Vorbringen nicht in seine Überlegungen einbezogen haben kann. Mit der Erwägung, möglicherweise habe der Beklagte eine Beratung zur wirtschaftlichen Situation der späteren Schuldnerin durchführen sollen, daraus ergebe sich aber noch keine schlüssige Behauptung, dass der Beklagte vertraglich verpflichtet worden wäre, eine Rechtspflicht zur Insolvenzantragstellung zu prüfen, blendet die Vorinstanz aus, dass der Kläger genau dies mehrfach behauptet hat. Sie übergeht mithin den wesentlichen Kern des Klägervorbringens zu der zentralen Frage des Rechtstreits.

Rz. 19

c) Der Vortrag des Klägers zu dem Anfang Dezember 2014 geführten Gespräch, in dem der Gegenstand des Auftrags konkretisiert worden sein soll, war auch nicht deshalb unbeachtlich, weil er im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils nicht erwähnt war. Denn dem Schweigen des Tatbestands kommt keine negative Beweiskraft zu (vgl. zB BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZR 146/14, NJW-RR 2016, 210 Rn. 7; Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 314 Rn. 9). Sollten die Ausführungen des Berufungsgerichts daher so zu verstehen sein, dass es sich verfahrensfehlerhaft an der Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu dem Gespräch von Anfang Dezember 2014 gehindert gesehen hat, läge darin ebenfalls eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör.

Rz. 20

2. Der Gehörsverstoß ist erheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht den Inhalt sowohl des dem Beklagten erteilten Auftrags als auch der Rechnung vom 23. Januar 2015 - insbesondere die Bedeutung der enthaltenen Position "Erörterung der insolvenzrechtlichen Situation sowie Erläuterung von Folgen und Ergebnis eines Insolvenzverfahrens" beziehungsweise die im Betreff genannte Bezeichnung "Insolvenzberatung S.          " - anders bewertet hätte, wenn es den weiteren Sachvortrag des Klägers berücksichtigt und die dazu angebotenen Beweise erhoben hätte.

Herrmann     

Remmert     

Arend 

Böttcher     

Kessen     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15615908

NJW 2023, 2042

EWiR 2023, 479

NZI 2023, 328

NZI 2023, 7

InsbürO 2023, 242

r+s 2023, 328

ZRI 2023, 256

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