Leitsatz (amtlich)
Der Antragsgegner kann in einem Mahnverfahren schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids durch einseitige Erklärung gegenüber dem AG (Mahngericht) auf den Rechtsbehelf des Einspruchs wirksam verzichten.
Normenkette
ZPO §§ 346, 515, 700
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 22.01.2020; Aktenzeichen 16 S 126/18) |
AG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 10.08.2018; Aktenzeichen 25 C 171/18) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des LG Frankfurt/O. - 6. Zivilkammer - vom 22.1.2020 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von 2.200 EUR nebst Zinsen in Anspruch.
Rz. 2
Am 19.8.2016 hat die Klägerin über diese Forderung, die ihren Angaben zufolge auf einem Dienstleistungsvertrag beruht, beim AG Aschersleben einen Mahnbescheid erwirkt. Hiergegen hat der Beklagte mit am 31.8.2016 bei Gericht eingegangenem Schreiben Widerspruch eingelegt. Unter dem 17.1.2018 hat der Beklagte einen an das AG adressierten Vordruck der Klägerin unterschrieben, mit dem er erklärt hat, seinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid zurückzunehmen und auf den Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu verzichten. Auf Antrag der Klägerin hat das AG Aschersleben sodann am 20.2.2018 einen Vollstreckungsbescheid erlassen. Hiergegen hat der Beklagte mit am 26.2.2018 eingegangenem Schreiben Einspruch eingelegt. Zu dessen Begründung hat er ausgeführt, die Mitarbeiter der Klägerin hätten ihn mehrfach zuhause aufgesucht, damit er den Verzicht unterzeichne. Ein einseitiger Verzicht auf den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid vor dessen Erlass sei unwirksam.
Rz. 3
Nach Abgabe der Sache hat das AG Frankfurt/O. den Einspruch des Beklagten durch Urteil als unzulässig verworfen. Die hiergegen erhobene Berufung des Beklagten hat das LG zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag, das Urteil des AG Frankfurt/O. abzuändern und den gegen den Vollstreckungsbescheid des AG Aschersleben eingelegten Einspruch aufrechtzuerhalten, weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die zulässige Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Rz. 5
Dabei kommt es nicht darauf an, dass der mit der Revision weiterverfolgte Berufungsantrag nicht sachdienlich ist. Wäre der Einspruch des Beklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen worden, hätte der hiergegen gerichtete Rechtsmittelantrag in der Sache auf Aufhebung des Vollstreckungsbescheids und Klageabweisung lauten müssen. Dies kann jedoch auf sich beruhen, da die vom AG gem. § 341 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 700 Abs. 1 ZPO getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden ist.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 7
Der Beklagte habe mit seinem Schreiben vom 17.1.2018 bereits vor Einlegung des Einspruchs wirksam auf diesen verzichtet. Die einen einseitigen Verzicht auch vor Erlass eines Versäumnisurteils als möglich erachtende Meinung, welcher sich die Kammer ebenso wie das AG anschließe, könne sich auf die Neuregelung des Berufungsverzichts in § 515 ZPO in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom 27.7.2001 (BGBl. I 1887 [1895]) und die nunmehr in § 313a Abs. 2 und 3 ZPO enthaltene ausdrückliche Regelung zum Verzicht vor Urteilsverkündung für allgemeine zivilrechtliche Urteile berufen. Diese Neuregelung berücksichtigend habe auch der BGH bereits entschieden, dass ein Rechtsmittelverzicht vor Erlass eines rechtsmittelfähigen Beschlusses wirksam erklärt werden könne.
Rz. 8
Mit dem AG halte die Kammer die Rechtslage bei einem einseitigen Verzicht auf einen Einspruch vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids mit derjenigen bei einem einseitigen Verzicht vor Erlass eines Versäumnisurteils für vergleichbar. Dafür spreche bereits, dass ein Vollstreckungsbescheid nach § 700 Abs. 1 ZPO einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichstehe und damit auch die §§ 346, 515 ZPO entsprechend anzuwenden seien. Eine andere Bewertung folge nicht mit Blick auf den Einwand des Beklagten, nach welchem die Auswirkungen eines Einspruchsverzichts vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids erheblicher seien als bei einem Einspruchsverzicht vor Erlass eines Versäumnisurteils. Zwar finde - anders als im Falle des Erlasses eines Versäumnisurteils - vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids keine Schlüssigkeitsprüfung statt. Allerdings seien die Auswirkungen eines Rechtsmittelverzichts stets die gleichen. Der Verzichtende verliere die Möglichkeit, gegen einen gerichtlichen Titel vorzugehen und Einwände geltend zu machen. Insoweit unterscheide sich die Situation auch nicht von derjenigen, in der der Verzicht nach Erlass des Vollstreckungsbescheids erklärt oder einfach kein Einspruch eingelegt werde. Auch in diesen Fällen finde eine Schlüssigkeitsprüfung nicht mehr statt.
Rz. 9
Schließlich sei der Verzicht auch nicht mit Blick auf die Verbraucherstellung des Beklagten und die von ihm behaupteten Umstände, unter denen er erklärt worden sei, unwirksam. Dies wäre allenfalls denkbar, wenn die Verzichtserklärung aus anderen als den vorgenannten Gründen nichtig oder wirksam nach den §§ 142, 123 BGB angefochten worden wäre. Hierfür gebe das Vorbringen des Beklagten jedoch nichts her.
II.
Rz. 10
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ist aufgrund der vom Beklagten unter dem 17.1.2018 abgegebenen und an das AG Aschersleben gerichteten Verzichtserklärung unzulässig.
Rz. 11
1. Ein Rechtsbehelfsverzicht ist anzunehmen, wenn in der Verzichtserklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (BGH, Beschl. v. 5.9.2006 - VI ZB 65/05 NJW 2006, 3498 Rz. 8 und vom 24.10.2017 - X ARZ 326/17 NJW-RR 2018, 250 Rz. 12). Inhalt und Tragweite eines gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsbehelfsverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist; ein davon abweichender innerer Wille des Handelnden ist unbeachtlich (vgl. BGH, Beschl. v. 25.6.1986 - IVb ZB 75/85 NJW-RR 1986, 1327, 1328; v. 7.11.1989 - VI ZB 25/89 NJW 1990, 1118).
Rz. 12
Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte mit seiner von ihm unterschriebenen und unter Angabe der Geschäftsnummer an das AG Aschersleben gerichteten Erklärung vom 17.1.2018, in welcher die Streitparteien mit voller Namensnennung zutreffend bezeichnet sind und die in Fettdruck mit "Widerspruchsrücknahme zum Mahnbescheid" sowie "Verzicht auf Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid" überschrieben ist, im Voraus den Verzicht auf das Recht zur Einspruchseinlegung gegen den - dann am 20.2.2018 erlassenen - Vollstreckungsbescheid erklärt hat. Es handelt sich um einen klaren und eindeutigen Rechtsbehelfsverzicht (vgl. BGH, Beschl. v. 7.11.1989, 5.9.2006 und vom 24.10.2017, jew., a.a.O.). Da ein abweichender innerer Wille des Handelnden für die Auslegung einer solchen Erklärung unbeachtlich ist, ist es nicht von Belang, dass der Beklagte, wie die Revision geltend macht, sich über Bedeutung und Tragweite eines Rechtsmittelverzichts nicht im Klaren gewesen sei. Dies gilt insb. auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, er habe mangels Gerichtserfahrung die Unwiderruflichkeit und Endgültigkeit des Verzichts nicht zutreffend erfasst - weil er Rentner und nicht juristisch vorgebildet, zum Zeitpunkt der Abgabe der von der Klägerin vorformulierten Erklärung nicht anwaltlich vertreten gewesen und zuvor (mehrfach) von einem Mitarbeiter der Klägerin zuhause an der Haustür aufgesucht worden sei - und er habe eine Erklärung in diesem Sinne, wie die kurz danach erfolgte Einspruchseinlegung zeige, offenbar nicht abgeben wollen.
Rz. 13
2. Die Verzichtserklärung ist wirksam.
Rz. 14
a) Ein gegenüber dem Gericht erklärter Rechtsbehelfsverzicht stellt eine einseitige Prozesshandlung dar. Er ist nicht nach bürgerlichem Recht wegen Willensmängeln anfechtbar (vgl. BGH, Urt. v. 14.6.1967 - IV ZR 21/66, NJW 1968, 794, 795; Beschlüsse v. 8.5.1985 - IVb ZB 56/84 NJW 1985, 2334 f, vom 7.11.1989, a.a.O.; v. 16.12.1992 - XII ZB 144/92, JR 1994, 21 f.; Toussaint in BeckOK/ZPO, § 346 Rz. 4 [Stand: 1.12.2020]). Ebenso wenig dürfen auf ihn die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten zur Anwendung gebracht werden (vgl. RGZ 162, 65, 67 f.). Ein Rechtsbehelfsverzicht ist auch grundsätzlich nicht widerrufbar (BGH, Beschl. v. 7.11.1989, a.a.O.; Wulf in BeckOK/ZPO, § 515 Rz. 7 [Stand: 1.12.2020]). Das folgt daraus, dass seine Wirksamkeit allein nach den Maßstäben des Verfahrensrechts zu beurteilen ist und dieses eine Vorschrift, die - wie etwa § 290 ZPO für das prozessuale Geständnis - unter besonderen Voraussetzungen einen Widerruf zulässt, nicht kennt (BGH, Beschl. v. 8.5.1985, a.a.O.; Wulf, a.a.O., Rz. 8). Nach anerkannter Rechtsauffassung kann eine Prozesshandlung im anhängigen Rechtsstreit nur widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO vorliegt (z.B. BGH, Urt. v. 14.6.1967, a.a.O.; v. 27.5.1981 - IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 394; v. 8.12.1993 - XII ZR 133/92 NJW-RR 1994, 386, 387; Beschlüsse vom 8.5.1985, a.a.O., S. 2335 und vom 7.11.1989, a.a.O., S. 1119). Daneben kann ein Verstoß gegen das - auch im Verfahrensrecht geltende (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.1952 - IV ZR 204/52, LM Nr. 3 zu § 514 ZPO) - Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht kommen (vgl. Wulf, a.a.O., Rz. 7).
Rz. 15
Dies zugrunde gelegt, ist die vom Beklagten abgegebene Verzichtserklärung bindend. So kommt - anders als die Revision meint, welche auf die §§ 312b, 312g und 355 BGB rekurriert - die Zubilligung eines Widerrufsrechts in entsprechender Anwendung bürgerlichrechtlicher Vorschriften nicht in Frage. Ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO kann nach den tatsächlichen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht angenommen werden.
Rz. 16
Hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB sind gleichfalls nicht ersichtlich. Dies gilt insb. auch, soweit das AG festgestellt hat, es gehöre offenbar zum Geschäftsmodell der Klägerin, Kunden zur Rücknahme eines gegen einen Mahnbescheid erhobenen Widerspruchs und zum Verzicht auf den Einspruch gegen einen noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu veranlassen. Ein solches Gebaren ist zwar im Ausgangspunkt bedenklich, begründet aber ohne nähere Darlegung der Umstände, unter denen die Erklärung des Beklagten zustande gekommen ist, allein noch keinen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben. Die tatrichterliche Würdigung der Vorinstanzen, der - von der Klägerin bestrittene - Vortrag des Beklagten lasse nicht erkennen, dass auf seinen Willen in rechtlich unzulässiger Weise eingewirkt worden sei, ist frei von Rechtsfehlern. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.
Rz. 17
b) Der vom Beklagten erklärte Verzicht ist auch im Übrigen wirksam und führt zur Unzulässigkeit des eingelegten Einspruchs.
Rz. 18
aa) Nach der Dispositionsmaxime als tragendem Verfahrensgrundsatz des deutschen Zivilprozessrechts bestimmen die Parteien über Beginn, Umfang und Beendigung des Verfahrens (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2019 - V ZR 152/18, ZfIR 2020, 338 Rz. 13). Ob gegen einen Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt oder auf dieses Recht verzichtet wird, unterliegt demgemäß der Dispositionsfreiheit des Antragsgegners als der beschwerten Partei. Eine Vorschrift, welche ihn daran hindert, schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids in einem anhängigen Mahnverfahren gegenüber dem AG (Mahngericht) zu erklären, dass er nach Erlass desselben auf die Einlegung eines Einspruchs verzichte, existiert jedenfalls seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27.7.2001 (BGBl. I 1887) am 1.1.2002 nicht mehr.
Rz. 19
Nach § 700 Abs. 1 ZPO steht der Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Infolgedessen gilt über die Verweisung in § 346 ZPO, der für den Verzicht auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil die Vorschrift über den Verzicht auf die Berufung für entsprechend anwendbar erklärt, die Bestimmung des § 515 ZPO entsprechend (vgl. Olzen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 700 Rz. 49; Voit in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 700 Rz. 5; Gierl in Saenger, 8. Aufl., § 700 Rz. 16; Sommer in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 700 Rz. 10; Schüler in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl., § 700 Rz. 25; Becker in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl., § 700 Rz. 11; Seibel in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 700 Rz. 11; Toussaint, a.a.O., Rz. 1 und 1.1). § 515 ZPO, der regelt, dass die Wirksamkeit des Verzichts auf die Berufung nicht von der Annahme durch den Gegner abhängt, schafft indes nicht die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfsverzichts, sondern geht vielmehr als Folge des den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsgrundsatzes von der Zulässigkeit desselben aus (Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 515 Rz. 1; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 515 Rz. 1). Da die Vorschrift die noch in § 514 ZPO in der bis zum 31.12.2001 gültigen Fassung enthaltene Beschränkung auf "nach Erlass des Urteils erklärte" Verzichte - entsprechend dem Willen des Gesetzgebers und der (Neu-)Regelung in § 313a Abs. 2 und 3 Halbs. 1 ZPO (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, 85 und 94) - nicht (mehr) enthält (vgl. BGH, Beschl. v. 24.10.2017, a.a.O., Rz. 14), besteht jedenfalls seit dem 1.1.2002 kein Anhalt mehr, den in einem Mahnverfahren schon vor dem Erlass des Vollstreckungsbescheids vom Antragsgegner gegenüber dem AG (Mahngericht) einseitig erklärten Verzicht auf den Rechtsbehelf des Einspruchs für unwirksam zu halten.
Rz. 20
bb) Dem stehen in der Literatur vorgebrachte und von der Revision teilweise aufgegriffene Bedenken nicht entgegen.
Rz. 21
So kann es, da auch ein Vollstreckungsbescheid, der eine materiell-rechtlich nicht bestehende Forderung tituliert, einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht (vgl. BGH, Urt. v. 11.7.1983 - II ZR 114/82 NJW 1984, 57), entgegen der Ansicht der Revision nicht entscheidend darauf ankommen, dass - anders als bei einem Versäumnisurteil - vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids eine Schlüssigkeitsprüfung nicht stattfindet (zweifelnd Wulf, a.a.O., Rz. 2). Im Übrigen trifft der Hinweis des Berufungsgerichts zu, dass auch bei einem nach Erlass des Vollstreckungsbescheids - unzweifelhaft zulässigen - Einspruchsverzicht oder dem schlichten Unterlassen eines Einspruchs eine gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung nicht vorangegangen ist. Hieraus ergibt sich, dass dem Argument der Schlüssigkeitsprüfung beim Versäumnisurteil kein entscheidendes wertungsmäßiges Gewicht zukommt.
Rz. 22
Des Weiteren ist der vor Erlass des Vollstreckungsbescheids erklärte einseitige Einspruchsverzicht nicht deswegen unwirksam, weil in den §§ 346, 515 ZPO eine Regelung des Verzichts vor Urteilserlass nicht enthalten ist (zweifelnd Prütting in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl., § 346 Rz. 4). Denn das Fehlen einer Regelung vermag die im Zivilprozess bestehende Dispositionsmaxime nicht einzuschränken.
Rz. 23
Endlich trägt die Ansicht, welche einem Einspruchsverzicht vor Erlass des Vollstreckungsbescheids die Wirksamkeit mit der Begründung versagt, eine Partei dürfe sich nicht im Vorhinein der Garantien des gerichtsförmigen Verfahrens begeben (vgl. Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl., § 515 Rz. 2 m.w.N.), der Dispositionsmaxime nicht hinreichend Rechnung. Diese Maxime wird als prozessuale Seite der Privatautonomie von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt und hat möglichst uneingeschränkt auch für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu gelten (Beck in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 515 Rz. 1). Zudem steht diese Auffassung nicht mit der mit dem Zivilprozessreformgesetz vom 27.7.2001 (a.a.O.) verbundenen Intention des Gesetzgebers (§ 514 ZPO a.F. einerseits, § 515 ZPO andererseits) im Einklang.
Fundstellen
Haufe-Index 14479543 |
BGHZ 2022, 293 |
NJW 2021, 2436 |
JurBüro 2021, 442 |
WM 2021, 1091 |
ZIP 2021, 1728 |
JZ 2021, 381 |
MDR 2021, 828 |
MDR 2021, 918 |
NJ 2021, 362 |
Rpfleger 2021, 2 |
Rpfleger 2021, 600 |
VersR 2021, 1322 |
ZInsO 2021, 2230 |
ErbR 2021, 729 |