Leitsatz (amtlich)
›Erklärt ein Anwalt, dem die Geschäftsstelle des Gerichts ein Urteil zum Zwecke der Zustellung übersandt hat, auf die Frage der Geschäftsstelle nach dem Verbleib des Empfangsbekenntnisses schriftlich, daß er das Urteil an einem bestimmten Tag erhalten hat, dann kann diese Erklärung nach den Umständen und insbesondere dem Zusammenhang von Frage und Antwort dahin zu verstehen sein, daß er die Übersendung des Urteils als Zustellung akzeptiert.‹
Verfahrensgang
OLG München (Aktenzeichen 10 U 2268/92) |
Tatbestand
Der Kläger erlitt schwere Kopfverletzungen, als er am 8. März 1986 als Fußgänger beim Überqueren einer Straße von dem Erstbeklagten mit seinem bei dem zweitbeklagten Versicherer haftpflichtversicherten Pkw angefahren wurde. Er nimmt unter Einräumung eines Mitverschuldens von 50 % die Beklagten aus diesem Unfall auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat seiner Klage durch Urteil vom 16. Januar 1992 zum Teil stattgegeben. Die Geschäftsstelle des Landgerichts hat am selben Tag auf der Urschrift des Urteils die Urteilszustellung an die Parteien nach § 212 a ZPO verfügt. Ein Empfangsbekenntnis des Prozeßbevollmächtigten des Erstbeklagten, Rechtsanwalt B., ist nicht zu den Akten gelangt. Als die Geschäftsstelle am 11. Februar 1992 bei Rechtsanwalt B. die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses anmahnte, erklärte der Anwalt in einem an das Landgericht gerichteten und mit seiner Unterschrift versehenen Schriftsatz vom 12. Februar 1992 unter Angabe der Sache und des Aktenzeichens:
"... In obiger Sache teile ich mit, das Urteil des Landgerichts München I vom 16.01.1992 am 20.01.1992 erhalten zu haben."
Die Beklagten haben gegen das Urteil des Landgerichts Berufung, der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt. Die Berufungsschrift des Erstbeklagten ist am 7. Juli 1992 bei Gericht eingegangen. In der gleichzeitig vorgelegten Berufungsbegründung hat Rechtsanwalt B. geltend gemacht, die Berufungsfrist sei gewahrt, weil ihm das landgerichtliche Urteil noch nicht zugestellt worden sei; das Urteil sei ihm am 20. Januar 1992 ohne ein Empfangsbekenntnis zugegangen und er habe auf die Anfrage des Landgerichts mit Schriftsatz vom 12. Februar 1992 lediglich mitgeteilt, daß er das Urteil am 20. Januar 1992 erhalten habe, nicht aber, daß es an diesem Tag zugestellt worden sei.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Erstbeklagten als unzulässig verworfen.
Der Erstbeklagte hat gegen die Verwerfung seiner Berufung Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Erstbeklagte die Berufungsfrist versäumt (§ 516 ZPO). Selbst wenn - so führt das Berufungsgericht aus - am 20. Januar 1992 eine wirksame Zustellung nicht erfolgt sei, sei das landgerichtliche Urteil dem Prozeßbevollmächtigten des Erstbeklagten spätestens am 12. Februar 1992 gemäß § 212 a ZPO zugestellt worden. Der für die Rechtswirksamkeit der Zustellung erforderliche Wille der Geschäftsstelle, dem Prozeßbevollmächtigten das Urteil zuzustellen, ergebe sich aus dem Vermerk auf der Urschrift des Urteils; dieser Wille sei dem Prozeßbevollmächtigten durch die Nachfrage der Geschäftsstelle nach dem Empfangsbekenntnis auch bekannt geworden. Ebenso sei davon auszugehen, daß der Anwalt den Willen gehabt habe, das in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzusehen. Er habe in Kenntnis des Zustellungswillens der Geschäftsstelle mit seinem Schreiben vom 12. Februar 1992 bestätigt, daß ihm das Urteil zum Verbleib übermittelt worden sei; diese Erklärung müsse der Erstbeklagte so, wie sie der üblichen Handhabung nach verstanden werden müsse, gegen sich gelten lassen. Die Ausstellung eines mit Datum und Unterschrift versehenen schriftlichen Empfangsbekenntnisses des Anwalts, an den die Zustellung erfolgen solle, reiche für die Rechtswirksamkeit der Zustellung auch dann aus, wenn dabei nicht das übliche Formblatt verwendet werde. Es gehe bei der Bestätigung des empfangenden Anwalts nur um die Fixierung des Empfangs des Schriftstücks zum Gewahrsam und zum Verbleib; darauf, ob der Zustellungsempfänger diesen Tatbestand richtig würdige und hieraus die richtige rechtliche Folgerung ziehe, komme es nicht an.
II. Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
Das landgerichtliche Urteil ist Rechtsanwalt B. als dem Prozeßbevollmächtigten des Erstbeklagten, an den nach § 176 ZPO im ersten Rechtszug Zustellungen zu bewirken waren, spätestens am 12. Februar 1992 gemäß § 212 a ZPO zugestellt worden, so daß die Berufungsfrist bei Eingang der Berufung am 7. Juli 1992 längst verstrichen war (§ 516 ZPO).
Die Rechtswirksamkeit einer Zustellung nach § 212 a ZPO setzt, wovon auch die Revision ausgeht, auf seiten der Geschäftsstelle die tatsächliche Übermittlung des zuzustellenden Schriftstücks und den Willen voraus, es zuzustellen; auf seiten des Anwalts muß die Kenntnis von der Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle vorhanden sein sowie der Wille, das in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzunehmen; unabdingbar ist weiter die Ausstellung eines mit Datum und Unterschrift des Anwalts versehenen Empfangsbekenntnisses (vgl. Senatsurteile vom 22. November 1988 - VI ZR 226/87 - VersR 1989, 168 und vom 19. April 1994 - VI ZR 269/93 - [zur Veröffentlichung vorgesehen]; BGH, Beschluß vom 12. Oktober 1988 - IVb ZB 123/88 - NJW-RR 1989, 57, 58, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Auffassung der Revision im Streitfall vor.
Unstreitig hat die Geschäftsstelle des Landgerichts dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Erstbeklagten das landgerichtliche Urteil übermittelt. Daß dies mit dem Willen geschehen ist, dem Anwalt das Urteil gemäß § 212 a ZPO zuzustellen, ergibt sich aus dem Vermerk der Geschäftsstelle auf der Urschrift des Urteils; dies stellt die Revision auch nicht in Frage. Zu Recht geht das Berufungsgericht weiter davon aus, daß dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten aus der Nachfrage der Geschäftsstelle nach dem Verbleib des Empfangsbekenntnisses die Zustellungsabsicht der Geschäftsstelle bekannt geworden ist; auch dies nimmt die Revision letztlich hin. Die Revision sieht ferner zutreffend, daß dem Berufungsgericht auch in der Auffassung zu folgen ist, daß das Empfangsbekenntnis nicht auf dem üblichen gerichtlichen Vordruck abgegeben werden muß (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1994 - VI ZR 269/93 -, ferner BGH, Urteil vom 29. Oktober 1980 - IVb ZR 599/80 - NJW 1981, 462, 463). Das Schreiben vom 12. Februar 1992 erfüllt damit die Formerfordernisse eines Empfangsbekenntnisses i.S. des § 212 a ZPO.
Auch das weitere Erfordernis einer nach § 212 a ZPO wirksamen Zustellung, der Wille des Prozeßbevollmächtigten des Erstbeklagten, das in seinen Gewahrsam gelangte landgerichtliche Urteil als zugestellt anzunehmen, ist mit dem Berufungsgericht zu bejahen. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, daß die Annahme einer solchen Willensrichtung daran scheitere, daß der Anwalt in seinem Schriftsatz vom 12. Februar 1992 den Begriff der Zustellung bewußt vermieden und nur mitgeteilt habe, das Urteil "erhalten" zu haben. Allerdings genügt es nicht, daß der Rechtsanwalt das zuzustellende Schriftstück zum Verbleib bei ihm entgegennimmt. Er muß es als ihm zugestellt annehmen wollen und diesen Willen schriftlich bekunden. Auch ist es richtig, daß der Bundesgerichtshof im Urteil vom 29. Oktober 1980 - IVb ZR 599/80 (aaO.) - daraus, daß der Rechtsanwalt bei der nachträglichen eigenen Formulierung eines Empfangsbekenntnisses den Begriff der Zustellung verwandt hatte, geschlossen hat, daß dem Anwalt die Mitwirkung am Zustellungsvorgang bewußt gewesen ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Annahme des hier zur Erörterung stehenden anwaltlichen Willens stets nur dann gerechtfertigt ist, wenn bestimmte Rechtsbegriffe ("zugestellt" oder "Zustellung") gebraucht werden; die Verwendung solcher Begriffe ist weder vom Wortlaut noch vom Sinn des § 212 a ZPO gefordert (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1969 - III ZR 178/67 - NJW 1969, 1298, 1299). Hier ist mit dem Berufungsgericht aus dem Zusammenhang von Frage und Antwort zu schließen, daß Rechtsanwalt B. bei der Abfassung des Schriftsatzes vom 12. Februar 1992 den Willen gehabt hat, das in seinen Gewahrsam gelangte landgerichtliche Urteil als zugestellt anzunehmen. Als forensisch tätigem Anwalt war Rechtsanwalt B. bekannt, daß es Aufgabe der Geschäftsstelle des Landgerichts war, für die Bewirkung der Zustellung zu sorgen (§ 209 ZPO). Er wußte damit auch, daß das landgerichtliche Urteil, das er nach seiner Erklärung am 20. Januar 1992 erhalten hat, auf Veranlassung der Geschäftsstelle in seinen Gewahrsam gelangt war, und zwar zum Zwecke der Zustellung. Dieses Wissen erlangte er spätestens am 12. Februar 1992, als die Geschäftsstelle nach dem Verbleib des Empfangsbekenntnisses nachfragte. Wenn er auf diese Nachfrage, mit der sich die Geschäftsstelle offensichtlich der erfolgten Zustellung des landgerichtlichen Urteils vergewissern wollte, erwiderte, daß er das Urteil erhalten habe, dann konnte diese Auskunft nur dahin verstanden werden, daß er die Übersendung als Zustellung akzeptiere. Einen etwa entgegenstehenden Willen hätte Rechtsanwalt B., weil er zu seinem gegenüber der Geschäftsstelle gezeigten Verhalten in Widerspruch gestanden hätte, deutlich erklären müssen.
Aus dem Beschluß des (damaligen) IVb-Senats des Bundesgerichtshofs vom 12. Oktober 1988 - IVb ZB 123/88 (aaO.), auf den sich die Revision beruft, ergibt sich nichts anderes. In jenem Fall zeigte der Anwalt dadurch, daß er entgegen der gerichtlichen Aufforderung den ihm erneut übersandten Vordruck des Empfangsbekenntnisses nicht unterschrieben an das Gericht zurücksandte, eine Verweigerungshaltung, die deutlich werden ließ, daß er am Zustellungsvorgang nicht mitwirken wollte. Wenn der Anwalt in diesem Zusammenhang in einem an das Gericht gerichteten Schreiben lediglich mitteilte, daß das Urteil "eingegangen" sei, so sprach dies in der Tat eher dafür, daß er nur den tatsächlichen Zugang des Schriftstücks einräumen wollte. Der entscheidende Unterschied zwischen jenem und dem vorliegenden Fall besteht darin, daß der Anwalt in jenem Fall seine erbetene Mitwirkung am Zustellungsvorgang offenkundig verweigerte, während - wie ausgeführt - nach den Umständen das Verhalten des Anwalts im vorliegenden Fall dahin verstanden werden mußte, daß er die Übersendung des landgerichtlichen Urteils als Zustellung akzeptieren wollte.
Damit kann dahinstehen, ob - wie die Revisionserwiderung geltend macht - die Berufung des Erstbeklagten schon deshalb verspätet eingelegt worden ist, weil der Erstbeklagte im ersten Rechtszug auch von den Prozeßbevollmächtigten des Zweitbeklagten vertreten worden ist, denen das landgerichtliche Urteil am 20. Januar 1992 zugestellt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2993265 |
BB 1994, 1815 |
NJW 1994, 2297 |
BRAK-Mitt 1995, 88 |
BGHR ZPO § 212a, Empfangsbereitschaft 2 |
DRsp IV(412)223Nr.4b |
MDR 1994, 718 |
VersR 1994, 959 |