Leitsatz (amtlich)
›a) Zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs eines Tankstellenhalters (vgl. Senatsurteil vom 6. August 1997 - VIII ZR 150/96).
b) Unternehmervorteile und Provisionsverluste (§ 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HGB) sind durch eine auf den Zeitpunkt der Beendigung des Handelsvertretervertrages zu stellende Prognose zu ermitteln. Die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse während des Prognosezeitraums kann in diesem Zusammenhang nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits abzusehen war (Abweichung von BGHZ 56, 242, 246; BGH, Urteile vom 28. Januar 1965 - VII ZR 120/63 - LM § 89 b HGB Nr. 24 unter A I 5 b bb und vom 31. Januar 1991 - I ZR 142/89 - WM 1991, 1513 unter III 3 a).
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger war seit 1967 Pächter einer Tankstelle der Beklagten in der Bismarckstraße in Berlin-Charlottenburg. Ihm oblag als Handelsvertreter der Verkauf und die Ablieferung von Treib- und Schmierstoffen der Beklagten zu den von dieser festgelegten Verkaufspreisen und -bedingungen. Außerdem bot er im Rahmen des Tankstellenbetriebes (BP-Shop) für eigene Rechnung Dienstleistungen an und verkaufte Waren. Die Beklagte beendete das Vertragsverhältnis zum 31. Dezember 1991 durch ordentliche Kündigung. Im vorliegenden Rechtsstreit macht der Kläger Ausgleich gemäß § 89 b HCSR geltend.
Für das Geschäft mit Treib- und Schmierstoffen erhielt er im letzten Vertragsjahr eine Provision von 260.544,57 DM netto. Im Eigengeschäft (BP-Shop) verkaufte der Kläger im letzten Vertragsjahr Waren mit einem Nettoeinkaufswert von 885.044 DM.
Auf der Grundlage einer Repräsentativbefragung der ARAL AG, nach der 62 % der Autofahrer ihren Bedarf nur an einer einzigen und weitere 22 % an zwei oder drei Tankstellen decken, hat der Kläger behauptet, von seinen Kunden seien 25 % Stammkunden gewesen, mit denen er 99 % seines Umsatz gemacht habe; entsprechend der Praxis dar ARAL AG für Berlin wolle er der Berechnung seines Ausgleichsanspruchs jedoch nur einen Stammkundenumsatzanteil von 90 % zugrunde legen. Eine Aufteilung der Provision auf werbende und verwaltende Tätigkeiten sei zwar nicht vereinbart worden und auch nicht durchführbar, es möge jedoch für verwaltende Tätigkeiten ein Abzug von 10 % vorgenommen werden. Der Abwanderungsverlust sei im ersten Jahr nach der Vertragsbeendigung lediglich mit 10 %, im zweiten bis vierten Jahr mit je 20 % und im fünften Nachvertragsjahr mit restlichen 10 % zu bemessen, so daß sich für einen fünfjährigen Prognosezeitraum ein Provisionsverlust von insgesamt 250 % ergebe.
Bei der Bemessung des Ausgleichsanspruchs seien auch die Umsätze aus dem Shop-Geschäft zu berücksichtigen. Dabei sei von einer "Quasi-Provision" von 5 % des Nettoeinkaufspreises auszugehen und der Ausgleich im übrigen wie beim Treib- und Schmierstoffgeschäft zu berechnen.
Insgesamt hat der Kläger unter Berücksichtigung der Kappungsgrenze des § 89 b Abs. 2 HGB Ausgleich in Hohe von 254.255 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 1. Januar 1992 und weiteren 3 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (18. Mai 1992) gefordert. Die Beklagte hat die Höhe des geltend gemachten Ausgleichs beanstandet und unter anderem eingewandt, der Kläger habe mindestens 75 % seiner Provision für verwaltende Tätigkeit erhalten.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 220.788,96 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 1. Januar 1992 verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufungen beider Parteien hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise geändert, die Beklagte unter Klageabweisung im übrigen zur Zahlung von 59.438,70 DM nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 1. Januar 1992 sowie von weiteren 3 % seit dem 18. Mai 1992 verurteilt und die weitergehenden Berufungen zurückgewiesen. Mit seiner dagegen gerichteten Revision verfolgt der Kläger die Klageforderung in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
A. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Unstreitig stehe dem Kläger für seine Tätigkeit als Handelsvertreter dem Grunde nach ein Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB zu. Grundlage für die Berechnung der Höhe des Anspruchs sei die letzte Jahresprovision im Treib- und Schmierstoffgeschäft von 260.544,57 DM.
Davon sei der Teil abzusetzen, den der Kläger nicht für werbende, sondern für verwaltende Tätigkeiten erhalten habe. Dieser sei gemäß § 287 Abs. 2 ZPO auf 50 % zu schätzen.
Nach den dem Rechtsverhältnis der Parteien zugrundeliegenden Tankhaus-Verträgen sei der Kläger nicht nur zu einer für den Handelsvertreter typischen Abschluß- und Vermittlungstätigkeit, sondern darüber hinaus auch zur Lagerung der Treib- und Schmierstoffe, zu deren Abgabe und zum Inkasso verpflichtet gewesen. Es sei daher davon auszugehen, daß die Provision das Äquivalent für alle geschuldeten Leistungen habe sein sollen. Jedoch lasse sich tatsächlich nicht aufklären, in welchem Verhältnis die Provisionsanteile für werbende und für verwaltende Tätigkeiten zueinander stünden. Weder das von den Parteien in den Rechtsstreit eingeführte Gutachten des Sachverständigen Dr. R. noch die vom Gericht angeordnete Begutachtung durch den Sachverständigen Professor G. hätten dafür verwertbare Ergebnisse erbracht. Damit seien die Möglichkeiten einer tatsächlichen Aufklärung der Beweisfrage erschöpft, so daß das Gericht entsprechend § 287 Abs. 2 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung festzustellen habe, welcher Anteil der Provision auf die werbende Tätigkeit des Klägers entfalle.
Für den wesentlichen Teil des Agenturgeschäfts, den Verkauf von Treib- und Schmierstoffen, fielen an verwaltenden Tätigkeiten deren Lagerung und Abgabe sowie das Inkasso an. Die Position Lagerung könne vernachlässigt werden, weil der mit ihr verbundene Aufwand geringfügig erscheine. Für die beiden anderen verwaltenden Aufgaben müsse dagegen über die gesamte Dauer der Öffnungszeiten Personal bereitgestellt werden. Die werbende Tätigkeit des Tankstellen-Handelsvertreters liege demgegenüber im wesentlichen darin, durch atmosphärische Einflüsse wie freundliche, schnelle und vertrauenerweckende Bedienung Anreize gegenüber den Kunden zu schaffen ihren Bedarf weiterhin an "seiner" Tankstelle zu decken. Wegen der qualitativen Unterschiedlichkeit der verwaltenden und der werbenden Tätigkeit, die sich wechselseitig zu einem Sinnganzen zusammenfügten, führe die Feststellung des auf beide Bereiche entfallenden zeitlichen Aufwands zu keinen sachgerechten Ergebnissen. Unter Berücksichtigung der verbleibenden Unwägbarkeiten erscheine es nach alledem angemessen, beide Bereiche mit jeweils 50 % zu veranschlagen.
Von dem Provisionsanteil für werbende Tätigkeit sei für die Ermittlung der Höhe des Ausgleichsanspruchs weiter nur derjenige Teil zu berücksichtigen, den der Kläger für Umsätze mit von ihm geworbenen Stammkunden erhalten habe. Sein Stammkundenumsatzanteil sei insgesamt gemäß § 287 ZPO auf 35 % zu schätzen, davon wiederum entfielen 67 % auf die geworbenen Stammkunden.
Rechnerisch exakte Feststellungen dazu ließen sich nicht treffen. Die Rechenoperationen mit denen der Kläger einen Stammkundenanteil von 25 % und einen Stammkundenprovisionsanteil von 99 % errechne, seien widersprüchlich und führten zudem bei Stammkundenanteilen, wie sie die ARAL-Information angebe, zu Stammkundenumsatzanteilen von mehr als 100 %. Auf 62 % Stammkunden und 38 % Laufkunden müßten vielmehr bei gleichen Tankmengen zwangsläufig auch entsprechende Umsatzanteile entfallen. Bei der Würdigung der ARAL-Information gemäß § 286 ZPO sei zu berücksichtigen, daß sich aus dem Umstand, daß 62 % der Befragten nur an einer einzigen Tankstelle tankten, noch nicht zwingend ein entsprechend hoher Stammkundenanteil an jeder Tankstelle in Deutschland ergebe. Der Stammkundenanteil hänge darüber hinaus von der Interpretation des weiteren Befragungsergebnisses ab, wonach 22 % der Autofahrer zwei oder drei Tankstellen ständig benutzten.
Die Frage brauche jedoch nicht abschließend beurteilt zu werden, weil der nur unter den dargelegten Vorbehalten verwertbaren ARAL-Befragung zwei Erhebungen gegenüber stünden, die die Beklagte selbst an der fraglichen Tankstelle im Abstand von einigen Monaten durchgeführt habe. Nach diesen Privatgutachten, die als substantiierter Parteivortrag gemäß § 286 ZPO frei zu würdigen seien, hätten sich 25 % der Befragten als "regelmäßige" oder "ziemlich regelmäßige" Kunden der zuvor vom Kläger bewirtschafteten Tankstelle bezeichnet und seien deshalb - anders als die nur "gelegentlichen" Kunden - als Stammkunden einzustufen. Die deutliche Abweichung dieses Ergebnis von dem der ARAL-Befragung sei plausibel im Hinblick auf die örtliche Lage der Tankstelle an einer Hauptverkehrsverbindung, die beträchtlichen Durchgangsverkehr nahelege, auf die Umgebung der Tankstelle, die von Büros und der Technischen Universität beherrscht werde, und auf den Umstand, daß der Kläger seit zehn Jahren keine Werkstatt mehr unterhalten habe, mit der er Stammkunden hätte an sich binden können.
Vorbehalte gegen die uneingeschränkte Zugrundelegung der Ergebnisse der Kundenbefragungen durch die Beklagte ergäben sich im wesentlichen nur daraus, daß sie erst einige Zeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses durchgeführt worden seien. Es sei naheliegend, daß es zum einen in dem dazwischen liegenden Zeitraum ebenso wie bereits in den Jahren 1990 und 1991 durch eine Erhöhung des Verkehrsaufkommens und damit des Kraftstoffumsatzes infolge der Wiedervereinigung Deutschlands zu einer Abschmelzung des Stammkundenanteils gekommen sei und daß sich zum andern ein Teil der Stammkunden des Klägers, der seinen Service als besonders gut empfunden habe, nach Beendigung seiner Tätigkeit von der Tankstelle abgewandt haben könnte. Im Hinblick auf die verbleibenden Ungewißheiten sei eine Korrektur des durch die Kundenbefragungen der Beklagten gewonnenen Ergebnisses auf 35 % geboten.
Geworben habe der Tankstellenhalter Stammkunden zwar schon dann, wenn seine Tätigkeit nur mitursächlich dafür gewesen sei, daß sich der Kunde für seine Tankstelle als Stammtankstelle entschieden habe. Dafür genüge es, daß für die Wahl des Kunden zumindest auch das Serviceangebot ausschlaggebend gewesen sei. Beruhe seine Wahl aber ausschließlich auf der Lage, der Marke, den - im Tankstellenvertrag vereinbarten - Öffnungszeiten der Tankstelle oder dem Preis, sei die Werbetätigkeit des Pächters in keiner Weise mitursächlich geworden. Ausgehend davon betrage nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (durch schriftliche Vernehmung einer Auswahl von Kunden des Klägers) der auf die geworbenen Stammkunden entfallende Umsatzanteil rund zwei Drittel.
Der danach verbleibende Provisionsanteil des letzten Vertragsjahres sei zur Bemessung des Ausgleichsanspruchs für einen Prognosezeitraum von vier Jahren anzusetzen, wobei ein jährlicher Abwanderungsverlust von 20 % zu berücksichtigen sei, so daß sich ein Provisionsverlust von insgesamt 200 % (80 % + 60 % + 40 % + 20 %) ergebe. Dieser sei mit 8 %, dem im Prognosezeitraum zu erwartenden Anlagezins, abzuzinsen.
Hinsichtlich des Eigengeschäfts (Shop-Verkauf) stehe dem Kläger ein Ausgleichsanspruch nicht zu. Es sei bereits nicht substantiiert dargelegt, daß die vertraglichen Verhältnisse im Shopgeschäft dem Handelsvertreterverhältnis so weit angenähert gewesen seien, daß eine entsprechende Anwendung des § 89 b HGB geboten sei. Insbesondere fehle es an hinreichendem Vortrag dazu, daß der Kläger als Eigenhändler in die Absatzorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen sei und dieser bei Vertragsende seinen Kundenstamm übertragen habe. Im übrigen seien auch die Bemessungsgrundlagen der sogenannten Quasiprovision (Vorteile der Beklagten, Provisionsverluste des Klägers, Stammkundenumsätze) nicht nachvollziehbar.
Insgesamt errechne sich der dem Kläger zustehende Ausgleichsanspruch daher wie folgt:
letzte Jahresprovision 260.544,57 DM
werbender Anteil 50 % 130.272,28 DM
Stammkunden insgesamt 35 % 45.595,30 DM
davon geworben 67 % 30.548,90 DM
Provisionsverluste insgesamt 200 % 61.097,80 DM
Barwert nach Abzinsung 52.139,21 DM
MWSt. 7.299,49 DM
Insgesamt 59.438,70 DM.
B. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.
I. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, daß der Kläger wegen seiner Tätigkeit als Handelsvertreter im Treib- und Schmierstoffgeschäft gemäß § 89 b HGB dem Grunde nach ausgleichsberechtigt ist und daß der Berechnung der Höhe des Anspruchs die ihm für diese Tätigkeit im letzten Vertragsjahr gezahlte Provision zugrunde zu legen ist.
1. Das Berufungsgericht ist auch im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß bei der Ermittlung der Höhe des Ausgleichsanspruchs nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung für den Tankstellenhandelsvertreter (BGH, Urteile vom 15. November 1984 - I ZR 79/82 = NJW 1985, 860 unter II 4 und vom 28. April 1988 - I ZR 66/87 = WM 1988, 1024 unter II 2) nur solche Provisionen und Provisionsanteile zugrunde zu legen sind, die der Handelsvertreter für werbende (vermittelnde, abschließende) Maßnahmen und nicht für verwaltende Tätigkeiten erhalten hat. Die Bestimmung des Anteils der für verwaltende Tätigkeit gezahlten Provision ist jedoch nicht rechtsfehlerfrei erfolgt.
a) Gemäß § 7 Nr. 4 des zwischen den Parteien geschlossenen Tankhaus-Vertrages sollten mit den Provisionen für den Verkauf von Kraft- und Schmierstoffen sowie von sonstigen Agenturwaren der Beklagten alle vom Kläger "nach diesem Vertrag und den jeweiligen BP-Richtlinien übernommenen Tätigkeiten sowie für den Betrieb des Tankhauses erforderlichen Aufwendungen abgegolten" werden. Die Provisionen waren also nicht ausschließlich als Gegenleistung für die werbende Tätigkeit bestimmt, ohne daß sich dem Vertrag jedoch entnehmen läßt, welche Provisionsanteile die Parteien zur Abgeltung der werbenden Tätigkeit und welche sie zur Abgeltung verwaltender Aufgaben vorgesehen haben. Mangels anderer Anhaltspunkte ist deshalb davon auszugehen, daß nach ihrer Vorstellung die Provisionsanteile dem tatsächlichen Verhältnis beider entsprechen sollten.
b) Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der Rechtsprechung des früher für Rechtsstreitigkeiten über die Vertragsverhältnisse der Handelsvertreter zuständigen 1. Zivilsenates des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 15. November 1984 aaO unter II 4 und vom 28. April 1988 aaO unter II 2) angenommen, die dem Kläger obliegende Lagerung und Abgabe der Treib- und Schmierstoffe sowie das Inkasso seien insgesamt der verwaltenden Tätigkeit zuzurechnen. Dieser Ansicht vermag sich der Senat für das Tankstellengeschäft - anders als z.B. für den Kraftfahrzeug-Vertragshändler - allenfalls im Hinblick auf das Inkasso anzuschließen.
Bei der Abgrenzung der verwaltenden von der werbenden Tätigkeit handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Revisionsgericht selbst zu beurteilen hat (Senatsurteil vom 5. Juni 1996 - VIII ZR 7/95 = WM 1996, 1558 unter B I 2 d). Auszugehen ist von dem Grundsatz, daß die vermittelnde oder werbende Tätigkeit des Handelsvertreters dessen wesentliche Aufgabe ist. Verwaltende Tätigkeiten sind demgegenüber solche, die "für den Begriff des Handelsvertreters nicht wesentlich sind und für die Werbung des Kundenstamms keine entscheidende Rolle spielen" (BGH, Urteile vom 15. November 1984 aaO unter II 4 und vom 28. April 1988 aaO unter II 2). Da der Ausgleichsanspruch die Schaffung eines Kundenstamms durch den Handelsvertreter abgelten soll, ist es folgerichtig, seiner Berechnung all diejenigen Provisionen und Provisionsanteile zugrunde zu legen, die der Handelsvertreter für seine auf Schaffung des Kundenstamms gerichteten Bemühungen erhält.
Dabei verbietet sich eine schematisierende Einordnung ohne Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweils betroffenen Vertriebssparte. Ein Tankstellenhalter, der keine Lagerhaltung und keine Auslieferung betreibt, kann keinen Kundenstamm schaffen. Kein Kunde würde allein die Vermittlungstätigkeit des Tankstellenhalters in Anspruch nehmen; im Vordergrund steht vielmehr die sofortige Verfügbarkeit der gewünschten Kraftstoffmenge, die nur durch Lagerhaltung und Auslieferung an der Tankstelle gewährleistet werden kann.
c) Unabhängig von der Einordnung der Lagerung und Abgabe der Treib- und Schmierstoffe als verwaltende oder als werbende Tätigkeit läßt sich nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts tatsächlich nicht weiter aufklären, in welchem Verhältnis die Provisionsanteile für verwaltende und für werbende Tätigkeiten zueinander stehen. Die Revision rügt zu Recht, daß in diesem Fall das Berufungsgericht die Anteile nicht gemäß § 287 ZPO hätte schätzen dürfen, sondern eine Beweislastentscheidung zu Lasten der Beklagten hätte treffen müssen, die für den von ihr behaupteten, gegenüber dem Vortrag des Klägers höheren Verwaltungsanteil die Darlegungs- und Beweislast trägt (BGH, Urteil vom 28. April 1988 aaO unter II 2 b; zum Vertragshändlerverhältnis: Senatsurteil vom 5. Juni 1996 - VIII ZR 141/95 = WM 1996, 1962 unter B I 2 a bb). Eine Schätzung nach § 287 ZPO kommt allenfalls dort in Betracht, wo die Beweisaufnahme zwar kein klares Ergebnis, aber doch deutliche Anhaltspunkte für die Beantwortung der Beweisfrage geliefert hat. Mit der Einräumung der Befugnis zur Schätzung nimmt das Gesetz zwar in Kauf, daß deren Ergebnis mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt; die Schätzung soll allerdings möglichst nahe an diese heranführen. Sie scheidet deshalb aus, wenn sie mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde (BGHZ 91, 243, 257; BGH, Urteil vom 16. November 1989 - I ZR 15/88 = BGHR ZPO § 287 Mindestschaden 1; Urteil vom 12. Oktober 1993 - X ZR 65/92 = NJW 1994, 663 unter II 2 c bb). Der Tatrichter darf nicht willkürlich schätzen, sondern muß für die Überzeugung, die er sich bildet, gesicherte Grundlagen haben (BGH, Urteil vom 30. Mai 1995 - X ZR 54/93 = BGHR ZPO § 287 Lizenzgebühr 1). Daran fehlt es hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts.
d) Hinreichende Schätzungsgrundlagen ergaben sich entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auch nicht aus dem Vorbringen der Beklagten. Dieses läßt vielmehr - wie die Revision zu Recht rügt - schon die erforderliche Substantiierung der Behauptung der Beklagten vermissen, der auf verwaltende Tätigkeiten entfallende Provisionsanteil betrage 75 %.
aa) Soweit die Revisionserwiderung auf eine von der Beklagten vorgelegte Übersicht verweist, in der diese die vom Kläger nach dem Tankstellenvertrag vorzunehmenden Tätigkeiten aufgeführt und sie zu einem zahlenmäßig weit überwiegenden Teil, nämlich hinsichtlich der von ihr gebildeten vier Bereiche Lagerung, Buchhaltung/Inkasso, Objekt/Sicherheit und Mitarbeiter, als verwaltende Tätigkeiten eingestuft hat, verkennt die Revisionserwiderung, daß eine nicht unerhebliche Anzahl der von der Beklagten als verwaltend angesehen Tätigkeiten zum werbenden Tätigkeitsfeld eines Tankstellenhalters gehört.
Das gilt nach dem oben (unter b) Ausgeführten zum einen für diejenigen Aufgaben, die die Lagerung und die Abgabe der Kraftstoffe betreffen. Zum anderen enthält die Aufstellung der Beklagten eine Reihe von Tätigkeiten, denen, wie etwa den im Bereich Objekt/Sicherheit aufgeführten Aufgaben "Überwachung/Pflege Tanktechnik/Preissignalisation/Beleuchtung" und "Pflege der Tankstelle allgemein" sowie der im Bereich Mitarbeiter genannten "Einstellung/Führung/Überwachung", jedenfalls auch werbende Funktion zukommt, wie dies allgemein für solche Tätigkeiten gilt, die sich vor den Augen der Kunden abspielen oder deren Ergebnisse sich dem Kunden in Gestalt des Zustands, der Ordnung und der Sauberkeit der Tankstelle darstellen. Da auch diese Tätigkeiten für die Schaffung eines Kundenstamms von Bedeutung sind, müssen sie in die Berechnung des Ausgleichsanspruchs mit einfließen. Unberücksichtigt zu bleiben haben also nur solche Tätigkeiten, die ausschließlich verwaltenden Zwecken dienen.
bb) Darüber hinaus genügt eine bloße Aufzählung der verwaltenden Tätigkeiten nicht. Zusätzlich ist eine plausible Gewichtung der verwaltenden Tätigkeiten im Verhältnis zum Umfang oder zur Bedeutung der werbenden Aufgaben des Tankstellenhalters erforderlich, die die Beklagte nicht vorgenommen hat. In ihrem von der Revisionserwiderung angeführten Sachvortrag stützt sie sich lediglich auf ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, dem das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. zugrunde liegt. Dieses hat das Berufungsgericht zu Recht schon vom Ansatz her als für die Ermittlung des auf verwaltende Tätigkeiten entfallenden Provisionsanteils ungeeignet angesehen.
Der Sachverständige hat das Tankstellengeschäft allgemein in vier von ihm als gleichwertig angesehene Funktionsbereiche Absatzweg, Preispolitik Produktgestaltung und Sortimentspolitik sowie Werbungs- und Verkaufsförderung eingeteilt und festgestellt, daß der Tankstellenhalter in den drei erstgenannten Bereiche keine Einflußmöglichkeiten habe, sondern ihm lediglich im Bereich Werbung und Verkaufsförderung Raum für eine werbende Tätigkeit verbleibe, die deshalb von vornherein mit nicht mehr als 25 % bewertet werden könne. Dabei übersieht er, daß es für den Ausgleichsanspruch nach § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB nicht um eine Bewertung des Tankstellengeschäfts allgemein, sondern um eine Bewertung speziell des Tätigkeitsfeldes des Tankstellenhalters geht, zu dem die absatzwirtschaftlichen Funktionsbereiche Absatzweg, Preispolitik sowie Produktgestaltung und Sortimentspolitik gerade nicht gehören, weil sie im wesentlichen Sache der Mineralölgesellschaften sind.
2. Das Berufungsgericht ist weiter im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 42, 244, 247; Urteil vom 29. November 1984 - I ZR 149/82 - BB 1985, 353 unter III) zur Berechnung des Ausgleichsbetrages von dem Provisionsanteil für werbende Tätigkeit wegen der besonderen Fluktuation des Kundenkreises beim Tankstellenbetrieb nur der Teil zu berücksichtigen ist, den der Tankstellenhalter für Umsätze mit Stammkunden erhalten hat, weil nur mit diesen Kunden eine Geschäftsverbindung im Sinne von § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB besteht. Die Revision rügt jedoch zu Recht, daß die Bestimmung des Stammkundenumsatzanteils im vorliegenden Fall von Rechtsfehlern beeinflußt ist. Zwar unterliegt eine Schätzung, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, nur einer beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Revisionsrechtlich überprüfbar ist es aber, ob der Tatrichter wesentliche Bemessungsfaktoren außer acht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (BGHZ 92, 84, 86 f; 102, 322, 330; BGH, Urteil vom 28. April 1992 - VI ZR 360/91 = NJW-RR 1992, 1050 unter II 2 c; Urteil vom 18. Februar 1993 - III ZR 23/92 = NJW-RR 1993, 795 unter II 2). Das ist hier der Fall.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 42, 244, 247; Urteil vom 29. November 1984 aaO) ist die "Stammkundschaft" von der übrigen "unzuverlässigen, nicht zu erfassenden Kundschaft", der nur gelegentlich abschließenden "Laufkundschaft", abzugrenzen. Sie läßt allerdings offen, wann und wodurch aus einem gelegentlichen Laufkunden ein Stammkunde wird. Beim Autokauf (Senatsurteil vom 26. Februar 1997 - VIII ZR 272/95 = NJW 1997, 1503 unter C I 1) und beim Kauf von Gabelstaplern (BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 - I ZR 142/89 = WM 1991, 1513 unter III 4) begründet schon ein Zweitkauf die Stammkundeneigenschaft; der Kunde eines Reisebüros wird dagegen nach der Rechtsprechung erst durch eine größere Zahl von Folgegeschäften zum Stammkunden (BGH, Urteil vom 28. März 1974 - VII ZR 18/73 = NJW 1974, 1242 unter I 2 und 3).
Der Senat ist der Auffassung, daß als Stammkunden alle Mehrfachkunden anzusehen sind, das heißt diejenigen Kunden, die in einem überschaubaren Zeitraum, in dem üblicherweise mit Nachbestellungen zu rechnen ist, mehr als nur einmal ein Geschäft mit dem Unternehmer abgeschlossen haben oder voraussichtlich abschließen werden (Senatsurteil vom 26. Februar 1997 aaO unter C I 1 a für das Vertragshändlerverhältnis; Semmler, Die Rechtsstellung des Tankstellenhalters zwischen Handelsvertreter und Vertragshändler, 1995, S. 160 f; Jürgen A.E. Meyer, BB 1970, 780, 781; ders., Handelsvertreterrecht, 1978, S. 237 f.; Matthies, DB 1986, 2061). Sinn und Zweck des § 89 b HGB ist es, dem Handelsvertreter einen Ausgleich für den Verlust solcher Provisionen zu verschaffen, die er zukünftig verdient hätte, wenn das Handelsvertreterverhältnis nicht beendet worden wäre. Die Höhe dieser Provisionen ist durch eine Prognose zu ermitteln, in die alle Geschäfte einzubeziehen sind, die der Unternehmer während des Prognosezeitraums voraussichtlich mit Kunden abschließen wird, die der Handelsvertreter als solche geworben hat. Welche Anzahl von Folgegeschäften auf einen einzelnen Kunden entfällt, ist dafür unerheblich.
Auch der Wortlaut des § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB, insbesondere das Tatbestandsmerkmal "erhebliche Vorteile", rechtfertigt es nicht, die Prognose auf solche Kunden zu beschränken, die mehr als nur gelegentliche Folgegeschäfte mit dem Unternehmer abschließen werden. Die Erheblichkeit des Unternehmervorteils richtet sich nach Umfang und erwarteter Beständigkeit des vermittelten Neugeschäfts, nicht nach dessen Verhältnis zum Gesamtgeschäft des Unternehmers (BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 aaO unter III 4; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., § 89 b Rdnr. 30; Hopt, HGB, 29. Aufl., § 89 b Rdnr. 15; MünchKommHGB/v.Hoyningen-Huene, § 89 b Rdnr. 80).
b) Den sich daraus ergebenden Stammkundenbegriff hat das Berufungsgericht verkannt, soweit es nur diejenigen 25 % der Kunden als Stammkunden angesehen hat, die sich bei den zwei von der Beklagten veranlaßten Befragungen an der früheren Tankstelle des Klägers im September 1992 und Februar 1993 als "regelmäßige" oder "ziemlich regelmäßige" Kunden bezeichnet hatten, und die weiteten 36 % (im September 1992) bzw. 50 % der Befragten (im Februar 1993) außer acht gelassen hat, die immerhin "gelegentlich" und damit - ebenso wie die (ziemlich) regelmäßigen Kunden - wiederholt dort zu tanken pflegten.
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt den Kundenbefragungen der Beklagten auch nicht ein so hoher Indizwert zu, daß es gerechtfertigt wäre, der Entscheidung allein deren Ergebnisse zugrunde zu legen.
aa) Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht bei der Schätzung des Stammkundenanteils die vom Kläger vorgelegte ARAL-Umfrage im Ergebnis völlig unberücksichtigt gelassen hat. Unabhängig davon, daß sich aus der ARAL-Information keine statistisch sichere Aussage für einzelne Großstädte und den Kundenkreis einer einzelnen Tankstelle ableiten läßt, kommt sie jedenfalls als Grundlage einer Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO in Betracht, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat. Im anonymen Massengeschäft einer großstädtischen Selbstbedienungstankstelle drängt es sich geradezu auf, die für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs erforderlichen Daten nach Möglichkeit durch die Verwertung vorhandenen statistischen Materials zu gewinnen, anstatt in jedem Einzelfall zeit- und kostenaufwendige Erhebungen durchzuführen und durch umfangreiche Beweisaufnahmen nachzuvollziehen, deren Aussagekraft im Vergleich zu professionell durchgeführten statistischen Untersuchungen eher zweifelhaft ist. Für andere Sparten des Handelsvertretervertriebs hat der Bundesgerichtshof bereits wiederholt die Verwendung statistischen Materials als Schätzgrundlage im Rahmen der Umsatzprognose nach § 89 b HGB gebilligt (BGHZ 34, 310, 319; 59, 125, 130 - Bausparkassenvertreter; Urteil vom 4. Juni 1975 - I ZR 130/73 = WM 1975, 931 unter II - Lottoannahmestelle; Senatsurteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 54/95 = WM 1996, 1817 unter III 2 - Versicherungsvertreter).
bb) Prozessual stehen die vom Kläger vorgetragenen Ergebnisse der ARAL-Studie den von der Beklagten vorgetragenen Ergebnissen ihrer eigenen Befragung gleichwertig gegenüber. Aus der ARAL-Information ergibt sich ein Stammkundenanteil von insgesamt 84 %, weil nach dem oben (unter a) Ausgeführten den Stammkunden alle Mehrfachkunden und damit auch diejenigen 22 % der Autofahrer zuzurechnen sind, die zwei oder drei Stammtankstellen haben. Die erhebliche Abweichung des Ergebnisses der ARAL-Studie von dem der Kundenbefragungen durch die Beklagte ist mit den vom Berufungsgericht herangezogenen Umständen allein nicht zu erklären.
Soweit das Berufungsgericht auf die örtliche Lage der Tankstelle verweist, ist zu berücksichtigen, daß der ARAL-Studie Befragungen im gesamten früheren Bundesgebiet zugrunde liegen, so daß in ihre Ergebnisse auch die Tankgewohnheiten von Kunden solcher Tankstellen eingeflossen sind, die wie diejenige des Klägers im Bereich von Durchgangsstraßen in Großstädten angesiedelt sind. Der Umstand, daß die Tankstelle nicht in einem Wohngebiet liegt, erlaubt ebenfalls keine verläßlichen Rückschlüsse auf das Stammkundenpotential. Die gegenteilige Sicht des Berufungsgerichts beruht auf der unausgesprochenen Prämisse, Kraftfahrer pflegten ihre Stammtankstelle stets in Wohnungsnähe zu suchen. Stammtankstellen können aber auch auf dem täglichen Weg zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz liegen. Die Revision weist ferner zutreffend darauf hin, daß ein erhöhtes Aufkommen an auswärtigen Fahrzeugkennzeichen, das das Berufungsgericht als Bestätigung seiner Auffassung ansieht, gerade in der Nähe von Universitäten keine Seltenheit ist.
Da die ARAL-Studie nicht die spezielle Situation in Berlin vor 1989 wiedergibt, sondern auf Befragungen im gesamten früheren Bundesgebiet beruht, kann auch nicht die Wiedervereinigung Deutschlands die Ursache dafür sein, daß die Zahl der Stammkunden an der Tankstelle des Klägers nach den Ergebnissen der Befragungen der Beklagten hinter dem von ARAL ermittelten Anteil zurückbleibt. Im übrigen macht die Revision zu Recht geltend, daß für die Annahme des Berufungsgerichts, der Fall der Mauer habe eine Abschmelzung des - vorher infolge der Insellage erhöhten - Stammkundenanteils in Berlin mit sich gebracht, eine plausible Grundlage fehlt.
Ebensowenig gibt es tatsächliche Anhaltspunkte für die Vermutung des Berufungsgerichts, ein Teil der Stammkunden des Klägers, der dessen Service als sehr gut empfunden habe, könnte sich nach Beendigung seiner Tätigkeit von der Tankstelle abgewandt haben. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob an der Rechtsprechung des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 15. November 1984 aaO unter II 3; Urteil vom 28. April 1988 aaO unter II 1 b) festzuhalten ist, nach der Umsätze mit diesen Kunden nicht zu berücksichtigen sind, wenn trotz des Wechsels des Tankstellenhalters der Service objektiv nicht schlechter ist, oder ob - wie die Revision meint - das Verhalten der Kunden gegenüber dem neuen Tankstellenhalter außer Betracht zu bleiben hat; für die letztgenannte Auffassung könnte sprechen, daß Grundlage der Ausgleichsberechnung eine im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung vorzunehmende Prognose (vgl. dazu unten B I 3 a) ist, für die nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1997 aaO unter C I 1 a aa a.E.) unterstellt werden muß, daß der ausgeschiedene Tankstellenhalter die Tankstelle für die Dauer des Prognosezeitraums weitergeführt hätte.
d) Erfolgreich ist weiter die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe unzulässigerweise den Stammkundenanteil mit dem Stammkundenumsatzanteil gleichgesetzt. Es ist davon ausgegangen, daß die Kundschaft zu 25 % aus Stammkunden besteht, hat den Stammkundenanteil wegen verbleibender Ungewißheiten auf 35 % korrigiert und diesen Prozentsatz unverändert als auf Stammkunden entfallenden Provisionsanteil in die Berechnung des Ausgleichsbetrages einfließen lassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, daß auf 35 % Stammkunden und 65 % Laufkunden bei gleichen Tankmengen pro Tankvorgang zwangsläufig gleich hohe Umsatzanteile entfallen. Dabei hat das Berufungsgericht jedoch übersehen, daß gerade, wenn man gleiche Tankmengen pro Tankvorgang unterstellt, der auf einen einzelnen Stammkunden entfallende Jahresumsatz größer sein muß als der auf einen einzelnen Laufkunden entfallende, weil der Stammkunde sich dadurch auszeichnet, daß er pro Zeiteinheit häufiger tankt als der Laufkunde.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist deshalb auch der Vortrag des Klägers zu einem Stammkundenumsatzanteil von 99 % bei einem Stammkundenanteil von nur 25 % nicht widersprüchlich, wie die Revision zu Recht geltend macht. Der Kläger hat, ausgehend von einem Kraftstoffumsatz von 6.391.713 l im letzten Vertragsjahr, der Annahme, daß Autofahrer im statistischen Durchschnitt 36 mal im Jahr jeweils 30 l tanken, und seiner Behauptung, 70 % seines Umsatzes entfielen auf Kunden mit nur einer Stammtankstelle und jeweils 10 % auf Kunden mit zwei oder drei Tankstellen, rechnerisch richtig einen Stammkundenanteil von etwa 25 % ermittelt.
Die Berechnungsweise des Klägers führt auch nicht etwa auf der Grundlage der Stammkundenzahlen der ARAL-Studie zu Umsatzanteilen von über 100 %, wie das Berufungsgericht meint. Geht man davon aus, daß die 62 % der Kunden, die nach der ARAL-Studie nur eine Stammtankstelle haben, alle 36 Tankvorgänge im Jahr an der Tankstelle des Klägers durchführen und daß die 22 % der Kunden, die zwei oder drei Stammtankstellen haben, wenigstens jedes dritte, also 12 mal im Jahr beim Kläger tanken, so ergibt sich daraus bei insgesamt 213.057 Tankvorgängen (= 6.391.713 l : 30 l) ein Stammkundenumsatzanteil von 93,4 %, selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, daß von den verbleibenden 16 % Tankkunden jeder 11 Tankfüllungen jährlich und damit deutlich mehr als ein Laufkunde an der Tankstelle des Klägers vornimmt.
e) Zu Recht beanstandet die Revision auch die Unterscheidung des Berufungsgerichts zwischen geworbenen und nicht geworbenen Stammkunden. Zwar sind gemäß § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs von den Stammkundenbeziehungen nur Geschäftsverbindungen mit solchen Kunden zu berücksichtigen, die von dem Handelsvertreter (neu) geworben worden sind. Dafür genügt aber eine bloße Mitursächlichkeit der Tätigkeit des Handelsvertreters, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 29. November 1984 aaO unter II 1 und 2) bei einer Selbstbedienungstankstelle schon dann gegeben ist, wenn der Tankstellenhalter die Tankstelle offen und die Vorrichtungen zur Abgabe von Kraftstoffen betriebsbereit hält. Diese Tätigkeit ist für das Zustandekommen einer Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmer unerläßlich, selbst wenn ein Kunde die Tankstelle zunächst allein der Lage, der Marke oder des Preises wegen aufsucht. Auf welche Motive die Entscheidung des Kunden für eine Stammtankstelle zurückgeht, ist deshalb entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts unerheblich.
3. Vergeblich wendet sich die Revision jedoch dagegen, daß das Berufungsgericht den Abwanderungsverlust mit jährlich 20 % des Ausgangsbetrages angenommen und daraus einen Gesamtprovisionsverlust von 80 % + 60 % + 40 % + 20 % = 200 % errechnet hat.
a) Soweit die Revision diese Schätzung mit der Begründung für unzulässig hält, eine Abwanderung habe tatsächlich nur in wesentlich geringerem Umfang stattgefunden, kann sie sich zwar auf die vom I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 31. Januar 1991 aaO unter III 3 a) fortgeführte Rechtsprechung des VII. Zivilsenates (Urteil vom 28. Januar 1965 - VII ZR 120/63 = LM § 89 b HGB Nr. 24 unter A I 5 b bb; BGHZ 56, 242, 246; ebenso Küstner/v. Manteuffel/Evers, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd. 2, 6. Aufl., Rdnr. 1474; MünchKomm HGB/v. Hoyningen-Huene, § 89 b Rdnr. 81) stützen, nach der bei der Prognose nach § 89 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HGB auch die nach Beendigung des Vertrages bis zur Entscheidung des Tatrichters eingetretene tatsächliche Entwicklung der Geschäftsbeziehungen zu berücksichtigen ist. Der erkennende Senat vermag sich dieser Auffassung jedoch nicht uneingeschränkt anzuschließen.
Der Ausgleichsanspruch entsteht und wird fällig mit der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses (BGH, Urteil vom 8. November 1990 - I ZR 269/88 = WM 1991, 602 unter II 5; Küstner/v. Manteuffel/Evers, aaO, Rdnr. 1434). Grundlage seiner Berechnung kann somit nur eine zu diesem Zeitpunkt zu stellende Prognose sein, die sich als richtig oder unrichtig erweisen, aber nicht durch später eintretende Umstände ändern kann. Solche können deshalb nur dann in die Prognose einfließen, wenn sie im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung bereits abzusehen sind. Von unvorhergesehenen tatsächlichen Entwicklungen kann die Höhe des bereits entstandenen Anspruchs dagegen nicht mehr beeinflußt werden. Anderenfalls müßte auch die eine oder die andere Partei Rückzahlungs- bzw. Nachzahlungsansprüche geltend machen können, falls sich die Prognose nachträglich als unzutreffend erweist. Diese Konsequenz wird indes allgemein abgelehnt (Hopt aaO, § 89 b Rdnr. 16; Küstner/v. Manteuffel/Evers aaO, Rdnr. 1482). Daß eine Abwanderungsquote von weniger als 20 % pro Jahr bereits bei Vertragsbeendigung zu erwarten gewesen sei, macht die Revision nicht geltend.
b) Soweit sie eine "lineare" Abwanderung zugrunde legen will, nach der sich für einen fünfjährigen Prognosezeitraum jährliche Provisionsverluste von 90 % + 70 % + 50 % + 30 % + 10 % = 250 % ergeben sollen, kann die Revision ebenfalls keinen Erfolg haben. Bei der im Berufungsgericht angewandten Methode handelt es sich um eine gebräuchliche schematisierte Berechnungsweise, die keinen Anspruch darauf erhebt, die tatsächliche Abwanderungsbewegung auch in zeitlicher Hinsicht mathematisch richtig zu erfassen. Für die Prognostizierung der Provisionsverluste des Tankstellenhalters genügt die Feststellung, daß jährlich der Umsatz mit Stammkunden wegen der Abwanderung eines Teils derselben voraussichtlich um 20 % geringer ausfallen wird als im Basisjahr.
4. Auch die Angriffe der Revision gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Abzinsung des Ausgleichsbetrages bleiben erfolglos. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 28. April 1988 aaO unter II 3 und vom 8. November 1990 aaO unter II 5) ist der Ausgleichsbetrag auch dann abzuzinsen, wenn er erst lange Zeit nach Fälligkeit oder gar erst nach Ablauf des Prognosezeitraums tatsächlich gezahlt wird. Der Nachteil, den der Handelsvertreter durch die verspätete Zahlung erleidet, wird durch Fälligkeits-, Prozeß- und Verzugszinsen ausgeglichen (BGH aaO).
Soweit sich die Revision gegen die Berechnungsmethode des Berufungsgerichts wendet und geltend macht, es müsse eine Progression der Abwanderungsquote zugrunde gelegt werden, was einen niedrigeren Abschlag ergebe, als bisher angenommen worden sei, übersieht sie, daß es für die Berechnung der Abzinsung keine allgemein gültige Formel gibt. Jede Berechnung eines Abzinsungsbetrages führt nur zu einem Annäherungswert, dessen Maßgeblichkeit der Tatrichter wie bei einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu beurteilen hat (BGH, Urteil vom 6. Juni 1984 - VIII ZR 65/83 = WM 1984, 1217 unter III 2 b; Urteil vom 10. Oktober 1990 - VIII ZR 296/89 = WM 1990, 2043 unter II 2). Daß das Berufungsgericht bei der Auswahl der angewandten Abzinsungsmethode das ihm bei einer Schätzung nach § 287 ZPO eingeräumte Ermessen überschritten hätte, zeigt die Revision nicht auf. Ihre Ausführungen lassen weder erkennen, daß die vom Berufungsgericht gewählte Methode für die hier vorzunehmende Berechnung generell ungeeignet wäre, noch, daß der von der Revision angestrebten Berechnungsart eine größere Genauigkeit zukäme.
II. Schließlich hat das Berufungsgericht zu Recht einen Ausgleichsanspruch des Klägers wegen der Verluste sogenannter Quasi-Provisionen aus dem Shop-Geschäft verneint. Dabei kann offenbleiben, ob eine analoge Anwendung von § 89 b HGB auf das diesem Eigengeschäft des Klägers zugrunde liegende Vertragsverhältnis der Parteien in Betracht kommt, wie die Revision meint. Denn jedenfalls hat der Kläger nicht schlüssig dargetan, daß ihm ein Ausgleichsanspruch in der von ihm geltend gemachten Höhe von 33.466,98 DM (= 29.357 DM zuzüglich 14 % MWSt.) zusteht. Angaben über den Anteil der Stammkunden im Shop, der nicht mit dem Anteil der Tankstammkunden identisch sein muß, fehlen dafür ebenso wie Angaben darüber, inwieweit der Gewinn aus dem Shop handelsvertretertypische und inwiefern er händlertypische Vergütungsbestandteile enthält, die in die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nicht einfließen dürfen, damit der Gewinn mit den Provisionen eines Handelsvertreters vergleichbar ist (Senatsurteil vom 5. Juni 1996 - VIII ZR 141/95 aaO unter B I 2 a aa).
C. Danach war die Revision zurückzuweisen, soweit das Berufungsgericht die Klage in Höhe von 33.466,98 DM (Ausgleich für Verlust von "Quasi-Provisionen" im Shop-Geschäft) abgewiesen hat. Im übrigen war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache für eine erneute Schätzung des auf Umsätze mit Stammkunden entfallenden Provisionsanteils im Treib- und Schmierstoffgeschäft an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht, weil kartellrechtliche Fragen nicht mehr im Streit sind.
Fundstellen
Haufe-Index 2993722 |
BB 1997, 2609 |
DB 1997, 2270 |
NJW 1998, 71 |
BGHR HGB § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Abwanderungsquote 1 |
BGHR HGB § 89b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Abzinsung 1 |
BGHR HGB § 89b Abs. 1 Umsatzprognose 1 |
DRsp II(210)389 |
WM 1998, 25 |
ZIP 1997, 1839 |
MDR 1997, 1136 |
VersR 1997, 1396 |