Entscheidungsstichwort (Thema)
Einigungsgebühr. Anerkenntnis. Verzicht
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für die Entstehung einer Einigungsgebühr.
Normenkette
RVG-VV Nr. 1000
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 13.07.2005; Aktenzeichen 10 S 272/05) |
AG Meppen (Entscheidung vom 05.04.2005; Aktenzeichen 18 C 1586/04) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 13.7.2005 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Klägerin verlangt von dem Beklagten eine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (künftig: RVG-VV). Der Beklagte ist die Korrespondenzversicherung des Haftpflichtversicherers des polnischen Fahrzeugs, mit dem ein polnischer Verkehrsteilnehmer am 20.7.2004 auf das Fahrzeug der Klägerin auffuhr. Den Unfallgegner trifft die alleinige Haftung. Der Beklagte beauftragte die A.Versicherung mit der Regulierung des Schadens. Die Klägerin machte am 25.8.2004 ggü. der A.Versicherung Schadensersatzansprüche i.H.v. 8.377,75 EUR geltend. Im Schreiben vom 6.10.2004 kündigte die A.Versicherung die Zahlung von 5.750,96 EUR zzgl. der angefallenen Anwaltskosten von 532,90 EUR, also von insgesamt 6.283,86 EUR, unter dem Vorbehalt der Rückforderung an. Die A.Versicherung hatte u.a. den von der Klägerin geltend gemachten Nutzungsausfallschaden gekürzt. Am 13.10.2004 übersandte sie an die Klägerin einen weiteren Scheck über 1.328,84 EUR unter Hinweis darauf, dass die angefallene Mehrwertsteuer i.H.v. 1.217,94 EUR und 111,60 EUR für weiteres Anwaltshonorar damit ausgeglichen würden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte im Schreiben vom 8.11.2004 der A.Versicherung mit, dass die Klägerin das Angebot, die Schadenspositionen mit insgesamt 7.699,75 EUR zu entschädigen, zur Erledigung der Angelegenheit ausdrücklich annehme. Zugleich stellte er eine Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 RVG-VV i.H.v. weiteren 716,88 EUR in Rechnung und bat um Ausgleich innerhalb einer Woche. Die A.Versicherung lehnte die Zahlung der Einigungsgebühr ab.
[2] Das AG hat die Klage, die die Klägerin hilfsweise mit dem Anspruch auf Nutzungsausfall für weitere 17 Tage zu je 40 EUR begründet hat, abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter. Sie wendet sich nicht mehr gegen die Abweisung des Anspruchs auf Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens.
Entscheidungsgründe
I.
[3] Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass die Einigungsgebühr, auch wenn im Gegensatz zur Vergleichsgebühr nach der BRAGO ein gegenseitiges Nachgeben nicht mehr erforderlich sei, eine vertragliche Beilegung des Streits voraussetze. Beschränke sich der Vertrag - wie hier - ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht, entstehe nach Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 1000 RVG-VV die Einigungsgebühr nicht. Der zwischen den Parteien geführte Schriftwechsel gehe inhaltlich nicht über wechselseitige Verzichts- und Anerkenntniserklärungen bezüglich der einzelnen Schadenspositionen hinaus.
II.
[4] Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
[5] 1. Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV entsteht die Einigungsgebühr, wenn der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis durch Abschluss eines Vertrages unter Mitwirkung des Rechtsanwalts beseitigt wird; es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist (vgl. BGH, Beschl. v. 28.3.2006 - VIII ZB 29/05, BGHReport 2006, 940 = NJW 2006, 1523, 1524; AnwKomm/RVG/N. Schneider, 3. Aufl., VV 1000 Rz. 47 bis 51; Goebel/Gottwald/v.Seltmann RVG Nr. 1000 RVG-VV Rz. 3). Die Einigungsgebühr soll die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig inhaltlich erweitern. Während die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben vorausgesetzt hat, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren. Durch den Wegfall der Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens soll insb. der in der Vergangenheit häufige Streit darüber vermieden werden, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (BT-Drucks. 15/1971, 147 und 204). Unter der Geltung des RVG kommt es deswegen nicht mehr auf einen Vergleich i.S.v. § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an (vgl. Hartmann Kostengesetze, 36. Aufl. Nr. 1000 RVG-VV Rz. 5 und 10; v. Eicken in Gerold/Schmitt RVG, 17. Aufl. Nr. 1000 RVG-VV Rz. 3 f.; Madert/Müller-Rabe NJW 2006, 1927, 1929 f.). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden, durch die zudem die Belastung der Gerichte gemindert wird (vgl. v. Eicken in Gerold/Schmitt, a.a.O. Rz. 1).
[6] Nach dem zweiten Halbs. des Abs. 1 der Nr. 1000 RVG-VV reicht allerdings die bloße Annahme eines einseitigen Verzichts oder ein Anerkenntnis für die Entstehung der Einigungsgebühr nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 28.3.2006 - VIII ZB 29/05, BGHReport 2006, 940 - a.a.O.; Hartmann, a.a.O., Rz. 5; v. Eicken in Gerold/Schmitt, a.a.O., Rz. 26 bis 30). Hieraus kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zwar nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Abschluss eines sich wechselseitig auf ein Anerkenntnis und einen Verzicht beschränkenden Vertrags grundsätzlich eine Einigungsgebühr nicht entsteht. Die Revision macht in diesem Zusammenhang zu Recht geltend, dass ein Vergleich, in welchem der Schuldner den Ausgleich eines Teils der vom Gläubiger geltend gemachten Forderung zusage und der Gläubiger den weitergehenden Anspruch fallen lasse, nichts anderes als eine Kombination von Anerkenntnis und Verzicht sei. Die Einigungsgebühr gelangt vielmehr nur dann nicht zur Entstehung, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (vgl. BGH, Beschl. v. 28.3.2006 - VIII ZB 29/05, BGHReport 2006, 940 - a.a.O.; Goebel/Gottwald/v.Seltmann, a.a.O.).
[7] 2. Die Auffassung des Berufungsgerichts wirkt sich jedoch für die Entscheidung des Streitfalls nicht aus. Der Anspruch der Klägerin ist unbegründet, weil der von den Beteiligten geführte Schriftwechsel eine Abrechnung und keine Einigung darstellt.
[8] a) Der erkennende Senat kann den Inhalt der in ihrem Wortlaut unstreitigen Schreiben der A.Versicherung vom 6. und 13.10.2004 und des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 8.11.2004 durch eigene Auslegung feststellen. Zwar ist die freie Würdigung der Erklärungen nach den §§ 133, 157 BGB zunächst Sache des Tatrichters. Da aber das Berufungsgericht die Vereinbarung lediglich unter dem Gesichtspunkt eines wechselseitigen teilweisen Verzichts und teilweisen Anerkenntnisses gewürdigt hat und weitere tatsächliche Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat die Schreiben hinsichtlich ihres materiell-rechtlichen Gehalts selbst auslegen (vgl. Senat BGH v. 10.10.1989 - VI ZR 78/89, BGHZ 109, 19, 22 ff. = MDR 1990, 232 und Urt. v. 20.12.1983 - VI ZR 19/82, MDR 1984, 565 = VersR 1984, 382 m.w.N.; BGHZ 65, 107, 112). Zu den allgemein anerkannten Auslegungsregeln gehört der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (BGH, Urt. v. 31.10.1995 - XI ZR 6/95, BGHZ 131, 136, 138 = MDR 1996, 322; BGH, Urt. v. 28.10.1997 - XI ZR 260/96, BGHZ 137, 69, 72 = MDR 1998, 232; BGH, Urt. v. 26.4.1994 - XI ZR 114/93, MDR 1994, 1084 = WM 1994, 1063 m.w.N.). Diese lässt eine Einigung nicht erkennen.
[9] b) Die A.Versicherung hat in ihren Abrechnungsschreiben vom 6. und 13.10.2004 zum Ausgleich des Schadens diejenigen Beträge abgerechnet, die sie für objektiv gerechtfertigt oder doch für vertretbar erachtet hat. Ein Angebot auf eine gütliche Einigung ergibt sich daraus nicht. Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass die A.Versicherung am 13.10.2004 eine weitere Zahlung leistete. Es ist nämlich weder festgestellt noch ersichtlich, dass diese auf weiteren Bemühungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin beruhte. Bei dieser Sachlage konnte auch dessen Schreiben vom 8.11.2004 die Entstehung einer Einigungsgebühr nicht auslösen.
[10] 3. Die Revision ist deshalb mit der Kostenfolge nach § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1641440 |
BB 2006, 2779 |
BGHR 2007, 183 |
EBE/BGH 2006, 410 |
NJW-RR 2007, 359 |
JurBüro 2007, 73 |
DAR 2007, 176 |
MDR 2007, 492 |
NZV 2007, 132 |
Rpfleger 2007, 168 |
VersR 2007, 810 |
ZfS 2007, 165 |
AGS 2007, 57 |
NJW-Spezial 2007, 65 |
RVGreport 2007, 65 |
VRR 2007, 38 |
RVG prof. 2007, 37 |
RVG-Letter 2007, 5 |