Leitsatz (amtlich)
Auf den Direktor einer private company limited by shares, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, kommt § 64 Satz 1 GmbHG zur Anwendung.
Normenkette
GmbHG § 64 S. 1
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Urteil vom 17.07.2013; Aktenzeichen 2 U 815/12) |
LG Erfurt (Entscheidung vom 07.09.2012; Aktenzeichen 9 O 441/11) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des OLG Jena vom 17.7.2013 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. Ltd. (im Folgenden: Schuldnerin). Das Verfahren ist am 27.11.2007 vom AG Erfurt eröffnet worden. Die Schuldnerin ist als private company limited by shares (im Folgenden: Limited) in dem für England und Wales zuständigen Handelsregister in Cardiff eingetragen. Eine deutsche Zweigniederlassung ist in dem zunächst vom AG Erfurt, jetzt vom AG Jena geführten Handelsregister eingetragen. Die Beklagte ist Direktorin der Schuldnerin.
Rz. 2
Die Schuldnerin war überwiegend in Deutschland tätig. Ihr Unternehmensgegenstand bestand in der Montage von Lüftungsanlagen und damit verbundenen Dienstleistungen.
Rz. 3
Mit der Behauptung, die Schuldnerin sei spätestens seit dem 1.11.2006 zahlungsunfähig und die Beklagte habe in der Zeit vom 11.12.2006 bis zum 26.2.2007 Zahlungen der Schuldnerin i.H.v. 110.151,66 EUR veranlasst, hat der Kläger die Beklagte auf Ersatz dieses Betrages nebst Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten in Anspruch genommen.
Rz. 4
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Rz. 5
Der Senat hat dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Art. 49, 54 AEUV und des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren - EuInsVO - in Bezug auf § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG in der Fassung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG, inhaltsgleich mit der Neufassung) folgende Fragen vorgelegt (Beschl. v. 2.12.2014 - II ZR 119/14, ZInsO 2015, 92):
a) Betrifft eine Klage vor einem deutschen Gericht, mit der ein Direktor einer Limited, über deren Vermögen in Deutschland nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet hat, das deutsche Insolvenzrecht i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO? b) Verstößt eine Klage der vorstehenden Art gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV?
Rz. 6
Der Gerichtshof hat dazu festgestellt (ZIP 2015, 2468):
1. Art. 4 EuInsVO ist dahin auszulegen, dass in seinen Anwendungsbereich eine Klage vor einem deutschen Gericht fällt, mit der der Direktor einer Gesellschaft englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, vom Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft auf der Grundlage einer nationalen Bestimmung wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch genommen wird, die der Direktor vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aber nach dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit festgesetzt wurde, geleistet hat. 2. Die Art. 49 AEUV und 54 AEUV stehen der Anwendung einer nationalen Vorschrift wie § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. auf den Direktor einer Gesellschaft englischen oder walisischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, nicht entgegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klageforderung an den Kläger zu zahlen.
Rz. 8
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 9
Die Beklagte sei nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. zur Zahlung von 110.151,66 EUR verpflichtet. Diese Norm sei auf eine Limited, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, anwendbar. Das ergebe sich aus Art. 4 Abs. 1 EuInsVO und verstoße nicht gegen den Grundsatz der Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 49 AEUV.
Rz. 10
Die Beklagte habe in der Zeit vom 11.12.2006 bis zum 26.2.2007 Zahlungen i.H.v. insgesamt 110.151,66 EUR zu Lasten der Schuldnerin veranlasst, davon 21.083,17 EUR an sich selbst als Inhaberin des "Auftrags- und Montageservice S. K.". Den entsprechenden Vortrag des Klägers habe die Beklagte nicht substantiiert bestritten. Das hätte sie aber tun müssen, nachdem sie beim Kläger Einblick in die Geschäftsunterlagen genommen habe.
Rz. 11
Die Schuldnerin sei ab dem 1.10.2006 zahlungsunfähig. Das ergebe sich aus den vom Kläger vorgelegten Liquiditätsbilanzen zum 1.10. und 1.11.2006. Dagegen habe die Beklagte nichts Erhebliches vorgebracht. Jedenfalls habe der Kläger aufgrund von Indizien nachgewiesen, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen ab dem 1.10.2006 eingestellt habe. An der Zahlungsunfähigkeit ändere auch der Umstand nichts, dass die Schuldnerin noch Zahlungen i.H.v. 110.151,66 EUR geleistet habe.
Rz. 12
Der Anspruch sei nicht verjährt.
Rz. 13
II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Rz. 14
1. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. sind die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung der Gesellschaft - oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter - zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden sind. Zu Recht hat das Berufungsgericht diese Vorschrift auf die Beklagte als die Direktorin einer Limited angewandt.
Rz. 15
a) Der Zweck der Vorschrift besteht darin, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern und für den Fall, dass der Geschäftsführer seiner Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (ständige Rechtsprechung, s. etwa BGH, Urt. v. 29.11.1999 - II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186; Urt. v. 14.5.2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, 1266; Urt. v. 5.5.2008 - II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rz. 10; Habersack/Foerster, ZHR 178 [2014], 387, 390 ff.). Damit wird von § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. im Regelfall nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger. Die verbotswidrigen Zahlungen dienen in der Regel der Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führen bei dieser nur zur Verkürzung der Bilanzsumme, nicht aber zu einem Vermögensschaden. Verringert wird nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt (BGH, Urt. v. 20.9.2010 - II ZR 78/09, ZIP 2010, 1988 Rz. 14 - Doberlug; Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957, 959; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 64 Rz. 4). Die Haftung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. setzt im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Es ist dann Sache des Insolvenzverwalters, den Anspruch geltend zu machen.
Rz. 16
Dieser Gesetzeszweck trifft auf beide Gesellschaftsformen zu. Sowohl in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung als auch in der Limited haften die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden. In beiden Gesellschaftsformen werden die Geschäfte von einer dafür verantwortlichen, nicht notwendig auch als Gesellschafter beteiligten Person geführt. Bei beiden Gesellschaftsformen besteht die Gefahr, dass der Geschäftsführer oder der Direktor nach Insolvenzreife Zahlungen zu Lasten der späteren Insolvenzgläubiger leistet und damit die Insolvenzmasse verkürzt. Diese Umstände rechtfertigen es, den Geschäftsführer deutschen Rechts und den Direktor englischen oder walisischen Rechts in Bezug auf die Haftung bei derartigen Zahlungen gleichzubehandeln (zustimmend Servatius, DB 2015, 1087 ff.; Schall, ZIP 2016, 289 ff.; Mankowski, NZG 2016, 281 ff.; von Wilcken, DB 2016, 225 f.; Weller/Hübner, NJW 2016, 225; Schulz, EWiR 2016, 67).
Rz. 17
b) Diese Rechtsanwendung steht nicht in Widerspruch zum Unionsrecht.
Rz. 18
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat vielmehr festgestellt, dass § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. auch auf Direktoren einer Limited anwendbar sei, über deren Vermögen im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Rz. 19
2. Die übrigen Voraussetzungen einer Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. sind erfüllt.
Rz. 20
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte die streitigen Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen zu einer Zeit veranlasst hat, zu der die Schuldnerin schon zahlungsunfähig und damit insolvenzreif war. Es hat dagegen nicht festgestellt, dass die Zahlungen ausnahmsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S.d. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. vereinbar waren oder aus sonstigen Gründen nicht zu einer Haftung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. geführt haben. Das Verschulden des Geschäftsführers wird bei dieser Sachlage vermutet (vgl. BGH, Urt. v. 19.6.2012 - II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rz. 10). Dagegen wehrt sich die Revision nicht. Auch sonst sind insoweit keine Rechtsfehler zu erkennen.
Rz. 21
Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist beträgt nach § 43 Abs. 4 GmbHG i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a.F. fünf Jahre. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Normen kommt entgegen der Auffassung der Revision eine analoge Anwendung der drei- bzw. zehnjährigen Verjährung nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 195, 199 BGB nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Verjährung durch die Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs gehemmt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 9258920 |
BB 2016, 1041 |
BB 2016, 961 |
DB 2016, 949 |
DStR 2016, 1120 |