Entscheidungsstichwort (Thema)
Tod eines Reisenden
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Schadensersatz wegen des Todes eines Reisenden bei der Beförderung auf See oder auf Binnengewässern umfaßt auch die Beerdigungskosten.
Normenkette
HGB § 644; BinnSchG § 77; BGB § 844 Abs. 1
Tatbestand
Der verstorbene Ehemann der Klägerin nahm am 10. Juli 1992 auf Einladung der Streithelferin zu 1 (künftig: Streithelferin) an einer Schiffsfahrt mit PMS "P." teil. Eigner des Schiffs war der Beklagte. Die Streithelferin hatte es für eine Rundfahrt mit Geschäftsfreunden gechartert, wobei streitig ist, ob dies mit oder ohne Besatzung erfolgte. Gesteuert wurde PMS "P." von dem Schiffsführer M., der bei der Streithelferin, einer Schiffsmaklerin, im Umschlagsbereich beschäftigt war und ausnahmsweise mit der Schiffsführung betraut wurde, weil an diesem Tage kein anderer Schiffer zur Verfügung stand. Bei einer Talfahrt auf dem Rhein kam es zu einer Kollision mit dem ebenfalls zu Tal fahrenden TMS "D.", bei der PMS "P." sank und der Ehemann der Klägerin ums Leben kam. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Bestattungskosten sowie einen Schmerzensgeldanspruch ihres Ehemannes geltend gemacht; sie hat ferner die Feststellung begehrt, daß der Beklagte auch zum Ersatz weiterer und künftiger unfallbedingter Schäden verpflichtet sei. Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Zahlungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die verlangte Feststellung getroffen, das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich seine - zugelassene - Revision.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Urteil auszugsweise in ZfB 1996, 44 veröffentlicht ist, findet das Klagebegehren seine Grundlage in den §§ 3, 4 a, 77 BinSchG i.V.m. §§ 664, 485 HGB. Schiffsführer M. sei jedenfalls im Verhältnis zu Dritten als eine Person der Schiffsbesatzung anzusehen (§ 3 BinSchG). Die Vorschrift sei hier zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil zwischen dem Schiffsführer und dem Beklagten kein Dienstverhältnis bestanden habe, sie gelte jedoch wegen der Gleichheit der Interessenlage entsprechend. Andernfalls könnten den geschädigten Passagieren keine durchsetzbaren Schadensersatzansprüche zustehen, da ihr Verhältnis zur Streithelferin ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis sei. Außerdem hafte der Beklagte aus § 77 BinSchG i.V.m. §§ 664, 485 HGB. Zwischen ihm und der Streithelferin sei ein Beförderungsvertrag zustande gekommen, in dessen Schutzbereich die Passagiere einbezogen worden seien. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß die Kollision durch ein schuldhaftes Verhalten des Schiffsführers M. verursacht worden sei. Er habe TMS "D." an Steuerbord überholt und dann versucht, das Tankschiff nach Backbord zu passieren.
II.
Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung zwar nicht in allen Punkten stand. Der Senat tritt dem Berufungsgericht jedoch darin bei, daß der Beklagte der Klägerin nach den §§ 77 BinSchG, 664 HGB i.V.m. § 4 a BinSchG persönlich zum Schadensersatz verpflichtet ist.
1.
Der Beklagte war zwar nicht Beförderer im Sinne des § 664 HGB, er war aber ausführender Beförderer.
a)
Beförderer ist nach Art. 1 Nr. 1 Buchst. a der Anlage zu § 664 HGB eine Person, durch oder für die ein Beförderungsvertrag geschlossen worden ist, ohne Rücksicht darauf, ob sie die Beförderung auch tatsächlich durchgeführt hat. In der hier vorliegenden Fallgestaltung hat die Streithelferin, ähnlich einem Reiseveranstalter, ihren Geschäftsfreunden eine Schiffsfahrt angeboten. Sie wurde damit zum Beförderer im Sinne des § 664 HGB. Daß sie für diese Reise keine Vergütung erhalten hat und daß die von ihr eingeladenen Gäste gegen sie keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erfüllung gehabt haben dürften, steht nicht entgegen. Der in Art. 1 Nr. 2 der Anlage zu § 664 HGB definierte Beförderungsvertrag ist allerdings im Grundsatz ein Werkvertrag; so wird es auch in den weitaus meisten Fällen liegen. Notwendig ist dies aber nicht. Das im Athener Übereinkommen von 1974, dessen Regelungen die Anlage zu § 664 HGB in das deutsche Recht eingefügt hat, verlangte Vertragsverhältnis zwischen Reisendem und Beförderer will lediglich ausschließen, daß schon die bloße Duldung oder Kenntnis von der Mitfahrt einer Person (etwa bei blinden Passagieren) zur Anwendung des Vertragswerkes führt (vgl. Herber, Das neue Haftungsrecht der Schiffahrt, 1989, S. 160). Für einen Beförderungsvertrag in diesem Sinne genügt es deswegen, daß die Beförderungsleistung auf vertraglicher Grundlage erfolgt, mag sie auch unentgeltlich oder lediglich aus Gefälligkeit übernommen sein (vgl. Herber aaO., S. 161; Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht, 3. Aufl. 1992, Anm. II C 2 vor § 664 HGB). Im Streitfall lassen sich derartige rechtsgeschäftliche Bindungen schon deshalb nicht verneinen, weil die Gäste der Streithelferin durch Annahme der Einladung zum Schiffsausflug niemals auszuschließende Risiken für Leib und Leben eingingen. Darüber hinaus läßt das Berufungsgericht außer acht, daß zwischen der Streithelferin und ihren Geschäftsfreunden oder den von ihnen vertretenen Unternehmen bereits rechtliche Beziehungen bestanden und die Einladung zur Rundreise demgemäß der Kontaktpflege und Werbung diente. Bei dieser Zielrichtung und Einbettung der von der Streithelferin veranstalteten Schiffsreise in den Gesamtkomplex der Geschäftsverbindungen liegt die Annahme nur geduldeter Mitnahme der Geschäftsfreunde ohne rechtlichen Bindungswillen seitens der Streithelferin fern.
b)
Der Beklagte, von dem die Streithelferin PMS "P." gechartert hatte, war - im Außenverhältnis ebenfalls haftender - ausführender Beförderer. Dafür reicht es hin, daß er die tatsächliche und rechtliche Verfügungsgewalt über das Schiff behielt (Prüßmann/Rabe, Art. 1 der Anl. zu § 664 HGB Anm. A 1 b). Dies wäre zwar bei der vom Beklagten behaupteten reinen Schiffsmiete (sog. "bare boat charter") nicht der Fall gewesen (vgl. Herber aaO., S. 168 f.; Schubert, Die Haftung für Reisende und ihr Gepäck auf Schiffen 1981, S. 68 f.). Das Berufungsgericht stellt aber in tatrichterlicher Würdigung ohne Rechtsfehler fest, daß der mit der Streithelferin abgeschlossenen Vertrag die Beförderung ihrer Gäste zum Gegenstand hatte. Hieraus folgt entgegen der Meinung der Revision auch, daß nicht die Streithelferin, sondern der Beklagte Schiffsführer M. die Führung von PMS "P." anvertraut hat. Dabei konnte das Berufungsgericht sich - was es in seinem den Prozeßbeteiligten bekannten Urteil vom selben Tage im Parallelverfahren 3 U 215/94 (ZfB 1996, 43) noch näher begründet hat - auf eine Reihe unstreitiger Umstände stützen; insbesondere, daß eine förmliche Übergabe an die Streithelferin unterblieben ist, eine Regelung aller bei der Übertragung vollständiger Verfügungsgewalt auf den Mieter regelungsbedürftigen Fragen wie Informationen über den aktuellen Inhalt des Schiffsattestes und die Versicherung des Schiffes unterlassen wurde und daß die Beteiligten in ihrer Vertragspraxis bis dahin stets nur eine Vercharterung von PMS "P." mit Besatzung kannten. Daß der am 10. Juli 1992 eingesetzte Schiffsführer M. zugleich - in anderen Tätigkeitsbereichen - Angestellter der Streithelferin war, fiel demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht (vgl. auch BGHZ 25, 244, 249 f.).
2.
Das Berufungsgericht hat, von der Revision unangefochten, festgestellt, daß den Schiffsführer M. an der Kollision und dem Untergang von PMS "P." ein Verschulden traf, und hat dessen Verschulden stillschweigend auch beim Anspruch aus §§ 77 BinSchG, 664 HGB dem Beklagten zugerechnet. Diese Auffassung ist frei von Rechtsirrtum. Als ausführender Beförderer haftet der Beklagte nach Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Satz 2 der Anlage zu § 664 HGB für das Verschulden seiner in Ausübung ihrer Verrichtungen handelnden Bediensteten oder Beauftragten. Der Streitfall gibt keine Veranlassung, sich mit dem Inhalt dieser - von den Fassungen der §§ 485 HGB und 607 HGB abweichenden - Begriffe im einzelnen auseinanderzusetzen (siehe dazu Herber aaO., S. 165; Prüßmann/Rabe, Art. 2 der Anl. zu § 664 HGB Anm. B 3 a). Unter den vorliegenden Umständen war Schiffsführer M., wenn nicht Bediensteter, so doch weisungsabhängiger Gehilfe des Beklagten und damit dessen Beauftragter (vgl. dazu Herber aaO., S. 165).
3.
Gegen den Umfang des von den Vorinstanzen zugebilligten Schadensersatzes wendet sich die Revision nicht. Näherer Betrachtung bedürfen auch nur die ebenfalls zuerkannten Beerdigungskosten.
§ 664 HGB und die darin in Bezug genommenen Bestimmungen über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See nach dem Athener Übereinkommen enthalten keine Regelungen über Art und Umfang des zu leistenden Schadensersatzes oder die anspruchsberechtigten Personen. Dies sollte dem jeweils anwendbaren nationalen Recht überlassen bleiben (Herber aaO., S. 166 f.; Schubert aaO., S. 66 f.). Nach deutschem Recht maßgebend sind somit in erster Linie die §§ 249 ff. BGB. Regelmäßig kann hiernach nur der selbst in seinen Rechten oder Rechtsgütern Verletzte Schadensersatz verlangen. Eine Ausnahme bilden u. a. die Beerdigungskosten; sie hat der zum Schadensersatz Verpflichtete gemäß § 844 Abs. 1 BGB demjenigen zu erstatten, der die Kosten der Beerdigung tragen muß. Die Vorschrift gilt allerdings nicht allgemein, sondern - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Verweisungen (§§ 618 Abs. 3 BGB, 62 Abs. 3 HGB) oder inhaltsgleichen Bestimmungen anderer Gesetze (§§ 5 Abs. 1 Satz 2 HPflG, 10 Abs. 1 Satz 2 StVG, 35 Abs. 1 Satz 2 LuftVG, 28 Abs. 1 Satz 2 AtomG, 7 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG, 86 Abs. 1 Satz 2 ArzneimittelG) - grundsätzlich nur für Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach den §§ 823 ff. BGB, zu denen § 664 HGB schon wegen seiner systematischen Stellung nicht gehört. Das ins deutsche Recht übernommene Athener Übereinkommen unterscheidet aber nicht zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen, es regelt vielmehr die Haftung des Beförderers oder ausführenden Beförderers gegenüber Reisenden selbständig und dem Grunde nach auch abschließend (Art. 2 f., 11 der Anlage zu § 664 HGB). Auf die spezifischen Haftungsvoraussetzungen des nationalen Rechts kann es deshalb bei der Ausfüllung von Lücken, die das Athener Übereinkommen (nur) zum Haftungsumfang läßt, nicht ankommen. Entscheidend ist allein, ob das deutsche Recht in vergleichbaren Fällen auch einen Anspruch auf Ersatz der Beerdigungskosten gewährt. Diese Frage ist zu bejahen. Entsprechendes gilt, wie der Senat im Urteil vom heutigen Tage in der Parallelsache II ZR 266/95 weiter ausgeführt hat, für das von der Klägerin ebenfalls verlangte Schmerzensgeld (§ 847 Abs. 1 BGB) sowie für etwaige Ansprüche der Klägerin wegen entgangenen Unterhalts (§ 844 Abs. 2 BGB).
Fundstellen