BGH: Anspruch frühestmöglichen Ersatzflug bei Flugannullierung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer Grundsatzentscheidung mit der Frage befasst, welche Pflichten eine Fluggesellschaft im Falle der Annullierung eines Fluges wegen eines außergewöhnlichen Ereignisses im Hinblick auf die Ersatzbeförderung treffen.

In dem vom BGH entschiedenen Fall klagte die Klägerin aus abgetretenem Recht auf Ausgleichszahlungen für Fluggäste. Der Flug von Reykjavik nach München war Anfang 2020 wegen einer Blizzardwarnung annulliert worden. Erst 3 Tage später erreichten die Passagiere mit einem Ersatzflug ihr Ziel. Die Klägerin forderte Ausgleichszahlungen nach der EU-Fluggastrechte-VO in Höhe von 800 EUR pro Fluggast. Nach ihrer Auffassung hatte sich die Ersatzbeförderung unnötig verzögert. Eine Ersatzbeförderungsmöglichkeit habe spätestens am 2. Tag nach dem Flugausfall bestanden.

Pflichten der Airlines bei Flugannullierung

Der BGH stellte in seiner Entscheidung zunächst klar, dass die Wetterbedingungen als außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der EU-FluggastrechteVO einzustufen waren. In einem solchen Fall habe das Luftfahrtunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um die negativen Folgen für die Fluggäste möglichst gering zu halten (BGH, Urteil v.10.11.22, X ZR 97/21).

Airline muss Ersatzflug anbieten

In diesen Fällen müsse das Luftfahrtunternehmen eine anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anbieten. Ausgenommen ist der Fall, dass die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für das Luftfahrtunternehmen zum maßgeblichen Zeitpunkt angesichts seiner Kapazitäten ein nicht tragbares Opfer darstellt (EuGH, Urteil v. 11.6.2020, C-74/19). Das Luftfahrtunternehmen muss gegebenenfalls nachweisen, dass es nicht in der Lage war, die betroffenen Fluggäste mit zumutbaren Maßnahmen so rasch wie möglich anderweitig zu befördern (EuGH, Beschluss v. 14.1.2021, C-264/20).

Ersatzflugregel gilt auch bei über 3 Stunden Verspätung

Die Vorinstanz hatte die Klage unter anderem mit dem Argument abgewiesen, als zumutbare Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-VO komme nur eine Ersatzbeförderung in Betracht, mit der die Verspätung am Endziel auf weniger als 3 Stunden begrenzt werden könne. Dieser Auslegung erteilte der BGH eine klare Absage. Auch wenn mit dem nächstmöglichen Ersatzflug eine Verspätung von mehr als 3 Stunden nicht mehr zu vermeiden sei, sei die Airline dennoch gehalten, dem betroffenen Fluggast den nächstmöglichen Ersatzflug anzubieten.

EU-Fluggastrechte-VO garantiert schnellstmöglichen Ersatzflug

Dieses Ergebnis leitet der BGH aus dem Sinn und Zweck des Art. 5 der EU-Fluggastrechte-VO ab. Danach ist das Luftfahrtunternehmen verpflichtet, bei Annullierung eine zumutbare und zufrieden stellende anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzubieten. Diese Verpflichtung könne nicht dadurch entfallen, dass eine Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden auch mit dem nächstmöglichen Flug nicht mehr vermeidbar sei. Eine solche Grenze sei willkürlich und von der EU-Fluggastrechte-VO nicht gedeckt.

Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Airline

Aus dieser Argumentation folgt nach Ansicht des BGH, dass eine Fluggesellschaft nur dann von der Zahlung einer Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Fluggastrechte-VO befreit ist, wenn sie ihre Obliegenheit zur Beschaffung eines Ersatzfluges gegenüber den Fluggästen erfüllt hat. Die Fluggesellschaft müsse daher im gerichtlichen Verfahren näher darlegen, welche Möglichkeiten der Ersatzbeförderung bestanden und welche Maßnahmen sie ergriffen habe.

Vorinstanz muss erneut entscheiden

Der konkrete Rechtsstreit war noch nicht entscheidungsreif. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ließ sich nicht entnehmen, ob es dem beklagten Luftfahrtunternehmen möglich war, durch zumutbare Maßnahmen eine frühere Ankunft der Fluggäste am vereinbarten Zielort sicherzustellen. Die entsprechenden Feststellungen muss die Vorinstanz deshalb noch treffen und dann erneut in der Sache entscheiden.

(BGH, Urteil v. 10.10.2023, X ZR 123/22)

Hintergrund:

Im Fall von Flugannullierungen und Verspätungen hat der BGH bereits mehrfach zugunsten der Fluggastrechte entschieden. Erst im Juni hatte der BGH den Anspruch eines Fluggastes auf eine Ausgleichszahlung nach der EU-Fluggastrechte-VO auch für den Fall bejaht, dass eine Verspätung erst bei einem späteren, aber von Anfang an mitgebuchten Anschlussflug außerhalb der EU auftritt. Dies gilt nach der Entscheidung des BGH selbst dann, wenn der Anschlussflug von einer anderen Airline durchgeführt wird (BGH, Urteil v. 16.6.2023, X ZR 15/20).