Keine Entschädigung wegen Verspätung bei Insolvenz der Fluggesellschaft
Dies hat das OLG Frankfurt in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil entschieden. Das OLG verweigert den von der Insolvenz ihrer Fluggesellschaft betroffenen Fluggästen jegliche Entschädigungsansprüche nach der EU-Fluggastrechte-VO. Ob es bei dieser Rechtsauslegung bleibt, wird aber möglicherweise noch der BGH zu entscheiden haben.
Fluggastrechte bei europäischen Flügen
Die EU-Fluggastrechteverordnung regelt EU-weit dezidiert die Ansprüche der Fluggäste im Falle nicht oder nicht vertragsgerecht durchgeführter Flüge. Im Fall einer Flugannullierung, einer Überbuchung oder einer Verspätung der Ankunft am Zielort ab 3 Stunden haben Reisende Ansprüche auf Ausgleichszahlung. Im Fall einer Flugannullierung muss die Airline den bereits gezahlten Flugpreis erstatten. Kommt die Fluggesellschaft dem nicht nach, hat der Reisende das Recht, selbst einen Ersatzflug auf Kosten der Airline zu buchen. Die durch die auftretenden Verzögerungen entstehenden Zusatzkosten für Übernachtungen und Mahlzeiten hat die Airline zu ersetzen.
Entschädigungsansprüche bei Verspätungen
Die Annullierung von Flügen sowie Verspätungen ab 3 Stunden am Zielort lösen einen Anspruch auf eine pauschale Entschädigung nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung aus, die sich nach der Länge des Fluges bemisst. Die Entschädigung beträgt
- bei einer Kurzstrecke bis 1.500 km 250 Euro,
- bei einer Mittelstrecke von 1.500-3.500 km 400 Euro,
- bei einer Langstrecke ab 3.500 km 600 Euro.
Die Airlines sind zur Halbierung dieser Entschädigungssummen berechtigt, wenn sie innerhalb festgelegter Zeitfenster einen zumutbaren Alternativflug anbieten.
Keine Entschädigungsansprüche bei Insolvenz der Fluggesellschaft
Nach der jetzigen Entscheidung des OLG Frankfurt kommen all diese Rechte nicht zum Tragen, wenn die Fluggesellschaft nach Zahlung des Flugpreises und vor Durchführung des Fluges insolvent wird. Im entschiedenen Fall hatte der Kläger im April 2019 eine Flugreise auf die Seychellen für Januar 2020 gebucht. Im Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Fluggesellschaft eröffnet.
Beförderung der Fluggäste aus Kulanzgründen
Die Fluggesellschaft entschied mit Zustimmung des Insolvenzverwalters, Passagiere, die vor der Insolvenzantragsstellung ihre Tickets bereits bezahlt hatten, trotz Insolvenz noch zum Flugziel zu befördern. Mit dieser Beförderung aus „Kulanz“ wollte die Fluggesellschaft zeigen, dass sie ihre Flugkunden trotz Insolvenz nicht im Stich lässt und damit ihren guten Ruf für eine mögliche Nachfolgegesellschaft wahren.
Verspäteter Hin- und Rückflug
Der Hinflug des Klägers auf die Seychellen wurde aufgrund eines technischen Defekts des Flugzeugs einen Tag später als geplant durchgeführt. Der Rückflug musste wegen der Corona-Pandemie mehrfach umgebucht werden. Der Kläger buchte schließlich selbst einen Rückflug bei einer anderen Gesellschaft. Die in diesem Zusammenhang entstandenen beachtlichen Hotelkosten in Höhe von ca. 4.000 Euro sowie die Hälfte der Kosten des Rückflugs verlangte er von der insolventen Gesellschaft ersetzt.
Beförderungsanspruch wurde zur Insolvenzforderung
Die Klage scheiterte über 2 Instanzen. Nach den Entscheidungen der Gerichte war der ursprüngliche Beförderungsanspruch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer einfachen Forderung gegen die Insolvenzmasse geworden. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Durchführung des Fluges habe nach Insolvenzeröffnung nicht mehr bestanden. Die von der Fluggesellschaft dennoch gewährte Beförderung sei freiwillig im Kulanzwege aus Gründen der Rufwahrung erfolgt.
Keine Fluggastrechte auf Entschädigung bei kostenfreier Beförderung
Diese Erwägungen führten das OLG zu der Schlussfolgerung, dass Entschädigungsansprüche des Klägers nach der EU- Fluggastrechte-VO nicht mehr bestanden. Gemäß Art. 3 Abs. 3 EU-Fluggastrechte-VO gilt die Fluggastrechteverordnung u.a. nicht für solche Fluggäste, die kostenlos reisen. Den im Wege der Kulanz ohne rechtliche Verpflichtung der Airline durchgeführten Flug bewertete der Senat als einen solchen kostenlosen Flug. Der ursprünglich für den gebuchten Flug gezahlte Flugpreis sei mit Eröffnung der Insolvenz in die Insolvenzmasse geflossen und rechtlich nicht als Gegenleistung für den späteren Kulanzflug einzustufen. Im Ergebnis sei die durchgeführte Beförderung damit kostenlos erfolgt, so dass die EU-Fluggastrechte-VO auf diesen Flug keine Anwendung finde.
Der BGH könnte das letzte Wort haben
Ob diese Entscheidung für künftige Fälle maßgeblich bleibt, muss abgewartet werden. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit hat das OLG die Revision zum BGH zugelassen. Dieser wird in dieser Frage möglicherweise noch das letzte Wort haben.
(OLG Frankfurt, Urteil v. 20.7.2022, 13 U 280/21)
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