Leitsatz (amtlich)
a) Muß die aufgrund eines privatrechtlichen Gestattungsvertrages in einem fremden Grundstück verlegte Fernwasserleitung wegen des Neubaus einer Bundesfernstraße verändert werden, so kann dies einen nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilenden Entschädigungsanspruch auslösen.
b) Eine vom Schutz des Art. 14 GG umfaßte, nur gegen Entschädigung entziehbare Rechtsposition liegt nicht vor, wenn die Leitung aufgrund eines lediglich obligatorischen Nutzungsrechts betrieben wird, das als Leihe oder der Leihe ähnlich anzusehen ist und von dem Vertragspartner durch Kündigung oder in anderer Weise beendet werden kann.
Normenkette
FlurbG § 88 Nrn. 5-7; BGB § 605 Nr. 1; GG Art. 14
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.12.1992) |
LG Marburg (Urteil vom 15.11.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Dezember 1992 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Marburg vom 15. November 1990 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin beanspruchte für den Neubau einer Bundesstraße ein Grundstück, in dem der Rechtsvorgänger des Beklagten (im folgenden nur: der Beklagte) eine Fernwasserleitung unterhielt. Mit dem Bau dieser Leitung hatte sich der Grundeigentümer am 4. September 1964 schriftlich einverstanden erklärt.
Dem Straßenbauvorhaben lag ein Planfeststellungsbeschluß vom 31. Juli 1978 zugrunde. Am 2. April 1980 wurde die Flurbereinigung angeordnet. Der Grundeigentümer erteilte der Klägerin mit Vereinbarung vom 30. Mai 1980 die Erlaubnis, die Straße über sein Grundstück zu bauen.
Die Parteien streiten darüber, wer von ihnen die Kosten der straßenbaubedingten Änderung (insbesondere Schutzverrohrung) der Fernwasserleitung zu tragen hat, die der Beklagte auf Drängen der Klägerin im Herbst 1980 mit einem Kostenaufwand von 218.483,12 DM durchführen ließ.
Eine Zahlungsklage des Beklagten gegen die Klägerin hat der erkennende Senat am 12. Juli 1984 wegen Fehlens einer enteignungsrechtlichen Sachurteilsvoraussetzung abgewiesen (§ 88 Nr. 6 Satz 2 FlurbG; III ZR 73/83 = BGHWarn 1984 Nr. 239 = LM FlurbereinigungsG Nr. 12 = RdL 1984, 241).
Nach Festsetzung der Geldentschädigung in Höhe von 218.483,12 DM nebst Zinsen durch die Flurbereinigungsbehörde begehrt die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit die Feststellung, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dem Beklagten habe eine als Eigentum im enteignungsrechtlichen Sinne geschützte Rechtsposition nicht zugestanden.
Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, der der Beklagte entgegentritt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts, das der Feststellungsklage der Klägerin im Ergebnis zu Recht stattgegeben hat.
I.
Die Klage ist zulässig.
1. Für die Klage ist der Zivilrechtsweg gegeben (§ 13 GVG).
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin die von der Flurbereinigungsbehörde nach § 88 Nr. 5 FlurbG festgesetzte Geldentschädigung zu leisten hat. Die Klägerin begehrt die Feststellung, zur Zahlung nicht verpflichtet zu sein.
Für eine solche Klage eröffnet § 88 Nr. 7 Satz 1 FlurbG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat und auch im Revisionsrechtszug von Amts wegen zu prüfen ist. § 17 a GVG n.F. ist nicht anwendbar, weil die Vorschrift bei Abschluß des ersten Rechtszuges noch nicht in Kraft getreten war (vgl. Senatsurteile BGHZ 114, 1 und 121, 367). Die Parteien erheben insoweit im Revisionsrechtszug auch keine Einwendungen.
2. Der Rechtsstreit ist ungeachtet der in § 88 Nr. 6 Satz 3 FlurbG getroffenen Regelung, daß die Geldentschädigungen zu Händen der Teilnehmergemeinschaft zu zahlen sind, zwischen der Klägerin als dem Träger des Unternehmens und dem Beklagten als betroffenem Beteiligten (§ 10 Nr. 2 d FlurbG) zu führen (vgl. Seehusen/Schwede FlurbG 6. Aufl. § 88 Rn. 36, 44, 45).
Die nach § 88 Nr. 6 Satz 2 FlurbG als Sachurteilsvoraussetzung zwingend vorgeschriebene vorgängige Entscheidung der Flurbereinigungsbehörde, deren Fehlen im Vorprozeß zur Abweisung der von dem Beklagten erhobenen Zahlungsklage geführt hat (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 1984 = a.a.O.), liegt jetzt vor.
Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsirrtum angenommen, daß es eines (weiteren) Vorverfahrens, insbesondere eines Widerspruchs gegen die Festsetzung der Flurbereinigungsbehörde, nicht bedurfte (vgl. Seehusen/Schwede a.a.O. Rn. 46).
II.
Die Klage ist begründet.
Dem Beklagten steht entgegen der Annahme des Berufungsgerichts eine Geldentschädigung nach § 88 Nr. 5 und Nr. 6 Satz 1 FlurbG für die ihm durch die straßenbaubedingte Änderung der Fernwasserleitung entstandenen Nachteile nicht zu.
1. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts trifft zu.
a) Zur Durchführung des straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses vom 31. Juli 1978 (§ 17 FStrG) ist hier die sog. Unternehmensflurbereinigung angeordnet worden (§ 87 FlurbG). Geldentschädigungen für Nachteile, die Beteiligten entstehen (§ 88 Nr. 5 FlurbG), richten sich nach dem für das Unternehmen geltenden Gesetz (§ 88 Nr. 6 Satz 1 FlurbG). Das ist stets ein Enteignungsgesetz (§ 87 FlurbG); hier ist es nach § 19 Abs. 5 FStrG das Hessische Enteignungsgesetz (HEG) vom 4. April 1973 (GVBl. I S. 107).
b) Eine förmliche Enteignung hat zwar nicht stattgefunden. Wie der Senat im Vorprozeß (Urteil vom 12. Juli 1984 = a.a.O.) bereits ausgeführt und das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, haben sich die Parteien aber dahin geeinigt, daß der Beklagte sich zur Abwendung enteignender Maßnahmen bereit fand, die Leitung entsprechend den Erfordernissen des Straßenbaus zu ändern, während die Entschädigungsfrage, d.h. die Frage, wer die Kosten der Änderung zu tragen habe, zunächst offen blieb und nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen im Rechtsweg entschieden werden sollte. Nach § 19 Abs. 2 a FStrG (vgl. auch § 28 HEG) kann in einem solchen Fall das Entschädigungsverfahren unmittelbar durchgeführt werden.
c) Die zwischen den Parteien streitige Frage der Kostentragungspflicht beantwortet sich danach, wie das Berufungsgericht weiter zutreffend angenommen hat, ob die Klägerin – wenn der Beklagte sich mit einer dem Planfeststellungsbeschluß entsprechenden Änderung der Leitung nicht einverstanden erklärt hätte – dieses Ziel nur unter Übernahme der Kosten oder gegen Entschädigung hätte durchsetzen können (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 1993 – III ZR 146/92 = NJW 1993, 3131, zur Veröffentlichung in BGHZ 123, 166 vorgesehen, m.w.N.).
2. Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß dem Beklagten ein vertraglich begründeter Kostenübernahmeanspruch nicht zusteht.
a) Ein zwischen den Parteien geschlossener Gestattungsvertrag mit Folgekostenregelung, aus dem sich ein solcher Anspruch ergeben könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. allgemein zur Erstattung sog. Folgekosten Kodal/Krämer Straßenrecht 4. Aufl. S. 641 ff. Rn. 32 ff. m.w.N. sowie die Rspr.Nachw. in dem Senatsurteil vom 8. Juli 1993 = a.a.O.).
b) Ein vertraglicher Kostenübernahmeanspruch des Beklagten gegen die Klägerin ergibt sich auch nicht aufgrund der Erklärung des Grundeigentümers vom 4. September 1964, mit dem Bau der Leitung durch das Grundstück einverstanden zu sein.
Das Berufungsgericht hat diese Erklärung nicht nur als rechtlich unverbindliche Gestattung angesehen, sondern einen von beiden Beteiligten mit Rechtsbindungswillen geschlossenen Vertrag über die Nutzung des Grundstücks angenommen. Es hat dies mit der Bedeutung begründet, die der Verlegung der Leitung und deren Verbleib in dem Grundstück – für den Eigentümer erkennbar – zukam. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Eine Regelung darüber, welche Vertragspartei im Falle einer notwendig werdenden Veränderung der Leitung die Kosten hierfür zu tragen hat, ist in dem Vertrag nicht enthalten. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt insoweit nicht in Betracht, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat. Die straßenbaubedingte Änderung der Leitung ist durch die Klägerin veranlaßt worden, die nicht Partei des 1964 geschlossenen Vertrages ist. Es handelt sich daher bei den Kosten der Leitungsänderung um sog. drittveranlaßte Folgekosten, für deren vertragliche Regelung normalerweise kein Anlaß besteht. In Ermangelung einer Vertragslücke ist in solchen Fällen für eine ergänzende Vertragsauslegung (zugunsten Dritter, hier der Klägerin) kein Raum (vgl. BGH Urteil vom 25. September 1981 – V ZR 105/80 = BGHWarn 1981 Nr. 249 = WM 1981, 1222, 1223; Senatsurteil vom 3. Oktober 1985 – III ZR 103/84 = BGHWarn 1985 Nr. 263 = NVwZ 1986, 689; Senatsbeschluß vom 18. Dezember 1986 – III ZR 84/85 = RdE 1987, 137 = BGHR BGB § 598 Konzessionsvertrag 1 und GG vor Art. 1/enteignender Eingriff – Straßenbau 2).
3. Auf das sog. Veranlassungsprinzip, nach dem derjenige, der eine Anlage aus Gründen in seiner Sphäre ändert oder ändern läßt, die Kosten zu ersetzen hat, die anderen aus Anlaß der Änderung entstehen, kann der Beklagte sich nicht berufen. Das Veranlassungsprinzip ist als allgemeine Rechtsgrundlage für eine Kostenerstattung nicht anerkannt. Es gilt nur, soweit es in der jeweiligen gesetzlichen Regelung konkret zum Ausdruck gebracht ist (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 1993 = a.a.O. m.w.N.; s.a. Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Verkehr und den Verbänden der Versorgungswirtschaft über die Regelung der Mitbenutzungsverhältnisse zwischen Bundesfernstraßen und Leitungen der öffentlichen Versorgung, VkBl. 1975, 69).
4. Ein Kostenerstattungsanspruch des Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 1023 BGB oder aus einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift.
Die von dem Beklagten verlegte Fernwasserleitung ist nicht durch eine Dienstbarkeit (§§ 1018, 1090 BGB) dinglich gesichert. Eine dem Inhaber eines dinglichen Rechts ähnliche Rechtsposition hat der Beklagte durch den – nur obligatorischen – Vertrag vom 4. September 1964 nicht erlangt. Daran ändert eine Befugnis nichts, unter Umständen eine Enteignung zur Erzwingung eines Leitungsrechts zu beantragen (vgl. § 84 a des Hessischen Wassergesetzes – HWG – und Senatsurteile vom 4. Oktober 1979 – III ZR 28/78 = BGHWarn 1979 Nr. 241 = WM 1980, 118, 120 m.w.N.; BGHZ 117, 236, 239 und vom 8. Juli 1993 = a.a.O. S. 3133). Auch das den öffentlichen Versorgungsunternehmen nach § 42 Abs. 2 Satz 3 HEG eingeräumte Recht, als Ersatz für ein im Enteignungsfall erlöschendes Grundstücksbenutzungsrecht die Begründung eines Rechtes gleicher Art verlangen zu können, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Ein nur obligatorisches Recht – wie es hier in Rede steht – kann dadurch nicht zu einem einer Dienstbarkeit nahekommenden dinglichen Recht erstarken.
5. Das Berufungsgericht hat einen Entschädigungsanspruch des Beklagten aus enteignungsrechtlichen Gesichtspunkten bejaht, weil die Klägerin in eine als Eigentum (Art. 14 GG) geschützte Rechtsposition des Beklagten eingegriffen habe.
Das hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Für die Frage, ob die Klägerin die von der Flurbereinigungsbehörde nach § 88 Nr. 5 und 6 FlurbG festgesetzte Geldentschädigung zu leisten verpflichtet ist, kommt es darauf an, in welchem Maß das dem Beklagten zustehende Nutzungsrecht, soweit es vom Eigentumsschutz des Art. 14 GG umfaßt wird, durch die straßenbaubedingte Änderung der Fernwasserleitung beeinträchtigt worden ist. Hiervon ist das Berufungsgericht ausgegangen.
b) Das Nutzungsrecht des Beklagten beruht auf der privatschriftlichen Erklärung des Grundeigentümers vom 4. September 1964, mit dem Bau der Fernwasserleitung durch das Grundstück einverstanden zu sein. Das Berufungsgericht hat darin, wie ausgeführt, rechtsfehlerfrei nicht nur eine rechtlich unverbindliche Gestattung gesehen, sondern einen von beiden Beteiligten mit Rechtsbindungswillen geschlossenen Vertrag über die Nutzung des Grundstücks.
Für die Einräumung dieses – schuldrechtlichen – Nutzungsrechts hatte der Beklagte kein Entgelt zu zahlen. Er mußte zwar etwa entstehende Flurschäden vergüten, schuldete aber für die Überlassung des durch die Leitung beanspruchten Grund und Bodens keine Entschädigung. Das zwischen den Beteiligten bestehende, dem Beklagten die unentgeltliche Nutzung ermöglichende Rechtsverhältnis ist deshalb mit dem Berufungsgericht als Leihe oder der Leihe ähnlich zu qualifizieren (§§ 598 ff. BGB; vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1979 = a.a.O.). Dem steht nicht entgegen, daß die Beteiligten hier eine ersichtlich langfristige Bindung eingegangen sind. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß auch langfristige Leihverträge möglich sind (vgl. BGHZ 82, 354, 359 m.w.N., insbesondere RG HRR 1933 Nr. 1000 und WarnRspr 1934 Nr. 152).
c) Auch ein solches obligatorisches, dinglich nicht gesichertes Nutzungsrecht genießt grundsätzlich den Schutz des Art. 14 GG. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG nicht nur das Sacheigentum oder die einem dinglichen Recht ähnlichen Rechtspositionen umfaßt, sondern jede wohlerworbene vermögenswerte Rechtsstellung, die eines Schutzes wie das Sacheigentum fähig und bedürftig ist, gleichgültig, ob sie auf öffentlichem oder privatem Recht beruht. Dazu zählt auch das vertraglich begründete obligatorische Recht, ein Grundstück zur Verlegung von Leitungen mitzubenutzen (vgl. Krohn/Löwisch Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung 3. Aufl. Rn. 176 m.w.N.).
Art. 14 GG schützt allerdings nur konkrete subjektive Rechtspositionen, die einem Rechtsträger bereits zustehen, nicht dagegen die Chancen und Aussichten, auf deren Verwirklichung ein rechtlich gesicherter Anspruch nicht besteht. Bei dem vorzeitigen Entzug eines – auch langfristigen – obligatorischen Nutzungsrechts bestimmt sich die Enteignungsentschädigung daher nur danach, welche vertragliche Rechtsposition der Nutzungsberechtigte im Einzelfall gegenüber seinem Vertragspartner innehatte und was er von seinem Recht hat abgeben müssen. Ist seine Rechtsstellung dadurch begrenzt, daß das Vertragsverhältnis von dem Vertragspartner durch Kündigung oder in anderer Weise beendet werden kann, so besteht auch bei tatsächlicher, rechtlich aber nicht gesicherter Übereinstimmung der Vertragsparteien über die langfristige Fortsetzung des Vertragsverhältnisses enteignungsrechtlich allenfalls eine tatsächliche Erwartung auf die Nichtbeendigung des Vertragsverhältnisses. Der Wegfall einer solchen rechtlich nicht gesicherten Erwartung auf Fortbestand eines Vertragsverhältnisses begründet keinen Anspruch auf Entschädigung nach Art. 14 GG. Zu einer eigentumsähnlichen Rechtsposition kann sich ein solches Nutzungsrecht ohne rechtliche Absicherung grundsätzlich auch bei langer Dauer nicht verdichten (vgl. Senatsurteile BGHZ 117, 236, 237 und vom 8. Juli 1993 = a.a.O. S. 3131 m.w.N.).
d) Der Beklagte hatte keine rechtlich gesicherte Erwartung, daß sein Nutzungsrecht an dem Grundstück unverändert fortbestehen werde.
aa) Das Rechtsverhältnis, das den Beklagten zur Nutzung des Grundstücks für den Betrieb der Fernwasserleitung berechtigte, ist – wie ausgeführt – als Leihe oder der Leihe ähnlich anzusehen. Anwendbar sind deshalb, soweit der Vertrag nichts anderes bestimmt, die §§ 598 ff. BGB.
bb) Eine für die Leihe bestimmte Zeit enthält der Vertrag nicht. § 604 Abs. 1 BGB ist deshalb nicht anwendbar.
Gleichwohl ist dem Beklagten nicht ein bedingungsloses, zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht eingeräumt worden. Es handelt sich vielmehr um ein Nutzungsrecht, für das eine Zeit nicht bestimmt ist. Nach § 604 Abs. 2 Satz 1 BGB hat der Beklagte in einem solchen Fall das (geliehene) Grundstück zurückzugeben, nachdem er den sich aus dem Zweck des Vertrages (der Leihe) ergebenden Gebrauch gemacht hat. Zweck dieses Vertrages war es, dem Beklagten die Verlegung und Unterhaltung der Fernwasserleitung in dem Grundstück zu ermöglichen. Mit dem Berufungsgericht ist dem Vertrag zu entnehmen, daß der Beklagte das für die Leitung in Anspruch genommene Grundstück grundsätzlich so lange sollte nutzen dürfen, wie er seiner Aufgabe, die Wasserversorgung des mittelhessischen Raumes sicherzustellen, nachkam und die Fernwasserleitung betrieb, d.h. das in Anspruch genommene Grundstück benötigte. Nach § 604 Abs. 2 Satz 1 BGB war er zur Rückgabe des Grundstücks erst nach Erreichung dieses Zwecks verpflichtet.
Das vertraglich eingeräumte Leitungsrecht beruhte mithin auf einer Rechtsposition, die nicht dadurch begrenzt war, daß der Verleiher das Grundstück nach § 604 Abs. 3 BGB jederzeit zurückfordern konnte.
cc) Indes steht dem Verleiher nach § 605 Nr. 1 BGB ein Kündigungsrecht zu, wenn er infolge eines nicht vorhergesehenen Umstands der verliehenen Sache bedarf. Es handelt sich dabei um eine besondere Ausprägung des für alle Dauerschuldverhältnisse bestehenden Rechts der Kündigung aus wichtigem Grund (vgl. MünchKomm/Kollhosser BGB 2. Aufl. § 605 Rn. 1; Staudinger/Reuter BGB 12. Aufl. § 605 Rn. 1).
Eine Kündigung nach § 605 Nr. 1 BGB setzt ein wirkliches, nicht notwendigerweise ein dringendes Bedürfnis des Verleihers voraus. Dabei sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Auf die Belange des Entleihers ist zwar in billiger Weise Rücksicht zu nehmen, zumal dann, wenn sich der Entleiher auf eine lange Dauer des Leihverhältnisses eingerichtet hat. Der Verleiher muß seine Interessen denen des Entleihers aber nicht unterordnen (vgl. Erman/Werner BGB 9. Aufl. § 605 Rn. 2). Eine darüber hinausgehende Beschränkung des Kündigungsrechts nach § 242 BGB findet nicht statt. Der Verleiher ist auch weder verpflichtet, dem Entleiher die Kosten der Rückgabe zu erstatten, noch muß er wegen der Kündigung Schadensersatz leisten. Der Entzug der Leihsache wegen einer Kündigung nach § 605 BGB gehört zu den immanenten Risiken einer (nur) leihweise erlangten Gebrauchsmöglichkeit (allg. M.; vgl. Staudinger/Reuter a.a.O. § 605 Rn. 1–3; MünchKomm/Kollhosser a.a.O. § 605 Rn. 3–5; BGB-RGRK/Gelhaar 12. Aufl. § 605 Rn. 2; jeweils m.w.N.).
Die Rechtsstellung des Entleihers ist hiernach dadurch gekennzeichnet, daß sie unter dem Vorbehalt eines Kündigungsrechts des Verleihers steht. Dieses Kündigungsrecht, das immanenter Vertragsbestandteil ist, ist zwar an unvorhergesehenen Eigenbedarf geknüpft. Weitergehende und insbesondere auch strenge Anforderungen werden aber nicht gestellt. Insgesamt stand dem Beklagten aufgrund des Vertrages vom 4. September 1964 kein rechtlich gesicherter Anspruch auf ungehinderte Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu, sondern allenfalls die tatsächliche Erwartung, das in Anspruch genommene Grundstück weiterhin und langfristig unverändert zum Betrieb der Fernwasserleitung nutzen zu können. Die Entziehung oder Beeinträchtigung einer solchen Rechtsstellung begründet keinen Anspruch auf Entschädigung nach Art. 14 GG.
dd) Hinzu kommt, daß auf Leihverhältnisse § 571 BGB keine Anwendung findet (vgl. BGH Urteil vom 8. Januar 1964 – V ZR 93/63 = BGHWarn 1964 Nr. 27 = NJW 1964, 765, 766 m.w.N.). Im Falle der Grundstücksveräußerung endet daher ein durch Leihe begründetes (nur schuldrechtliches) Nutzungsrecht. Eine Befugnis zur Erzwingung eines Leitungsrechts im Enteignungswege (vgl. § 84 a HWG; auch § 11 EnWG) ändert daran ebensowenig etwas wie der den öffentlichen Versorgungsunternehmen in § 42 Abs. 2 Satz 3 HEG eingeräumte Anspruch auf Ersatzrechtsbestellung (vgl. oben unter II 4). Auch darin zeigt sich die Schwäche der Rechtsstellung des Beklagten. Ihm steht gegenüber derartigen Verfügungen, die der Eigentümer kraft seiner Dispositionsbefugnis trifft, ein Abwehrrecht, das eine eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition begründen könnte (vgl. Krohn, Die Bedeutung der Rechtsposition in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Enteignungsentschädigung, in: Festschrift für Willi Geiger 1989 S. 417 ff.), aufgrund des Leihverhältnisses nicht zu.
ee) Ob und inwieweit die Rechtsstellung des Beklagten zusätzlich auch noch dadurch geschwächt war, daß § 567 BGB, der für die Miete nach Ablauf von 30 Jahren ein Kündigungsrecht vorsieht, bei allen Rechtsverhältnissen entsprechend anzuwenden ist, die auf die Gewährung eines schuldrechtlichen Gebrauchs- oder Nutzungsrechts gerichtet sind, also auch bei der Leihe, kann hiernach offenbleiben (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 117, 236, 238 m.w.N.; auch Senatsurteile BGHZ 121, 73, 86 und vom 8. Juli 1993 = a.a.O.).
In Ermangelung – wie ausgeführt – einer enteignungsrechtlich erheblichen Rechtsposition steht dem Beklagten eine Geldentschädigung für die Nachteile, die ihm durch die straßenbaubedingte Änderung der Fernwasserleitung entstanden sind, nicht zu.
Soweit sich aus früheren Entscheidungen des Senats (insbesondere vom 14. Oktober 1979, vom 3. Oktober 1985 und vom 18. Dezember 1986 = jeweils a.a.O.) etwas anderes herleiten ließe, wird daran nicht festgehalten.
ff) Im Streitfall ist die latente, der Rechtsstellung des Entleihers kraft Gesetzes innewohnende Schwäche mit der Durchführung der Unternehmensflurbereinigung offenbar geworden. Die Klägerin und der Grundstückseigentümer haben die Vereinbarung vom 30. Mai 1980 im Vorgriff auf die endgültige flurbereinigungsrechtliche Regelung getroffen, zu deren Zielen es gehörte, der Klägerin das Eigentum an dem Trassengrundstück zu verschaffen. Damit haben sich zu Lasten des Beklagten diejenigen Risiken verwirklicht, die für den Entleiher im Kündigungsrecht des Verleihers gemäß § 605 Nr. 1 BGB und in der Veräußerungsmöglichkeit von vornherein angelegt sind. Das Interesse des Beklagten am unveränderten Verbleib der Leitung in dem Grundstück und an deren unveränderter Benutzung genießt demgegenüber keinen eigentumsrechtlichen Schutz.
III.
Das angefochtene Urteil ist nach allem aufzuheben, die Berufung des Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 Abs. 2 ZPO.
Unterschriften
Rinne, Engelhardt, Werp, Deppert, Streck
Fundstellen
Haufe-Index 1675286 |
BGHZ |
BGHZ, 293 |
NJW 1994, 3156 |
BGHR |
NVwZ 1995, 198 |
Nachschlagewerk BGH |
JZ 1995, 156 |