Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung, die gegen schuldrechtliche Abrede der Gesellschafter verstößt. Auslegung einer Gesellschaftssatzung. Schuldrechtliche Verpflichtung der Gesellschafter als Regelung der Gesellschaft
Leitsatz (amtlich)
Der Mehrheitsbeschluß der Gesellschafterversammlung, sich an einem fremden Unternehmen zu beteiligen, kann – obgleich von der Satzung gedeckt – anfechtbar sein, wenn sich alle Gesellschafter untereinander schuldrechtlich verpflichtet haben, eine solche Geschäftstätigkeit der GmbH zu unterlassen.
Orientierungssatz
1. Eine Gesellschaftssatzung ist nach objektiven Gesichtspunkten aus sich heraus einheitlich auszulegen; dabei haben Umstände auszuscheiden, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und nicht allgemein erkennbar sind, wozu die Entstehungsgeschichte der Satzung, die Vorentwürfe und die Vorstellungen oder Zußerungen von Personen, die an der Abfassung des Gesellschaftsvertrages mitgewirkt haben, gehören.
2. Haben alle Gesellschafter eine die Gesellschaft betreffende Angelegenheit unter sich einverständlich geregelt, so ist diese Regelung – auch ohne Bestandteil der Satzung zu sein – zumindest solange zugleich als eine solche der Gesellschaft zu behandeln, als dieser nur die aus der Abrede Verpflichteten angehören.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Feriensenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 25. September 1981 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin ist zu 15,625 % an der verklagten K.-Vertriebs-GmbH und zu 24,75 % an der K.-Gesellschaft Dr. C. E. & Co. OHG beteiligt. Zweck dieser offenen Handelsgesellschaft ist „die Herstellung und der Vertrieb von gekerbten Metallstiften und -nägeln sowie ähnlichen Maschinenelementen.” Gegenstand des Unternehmens der Beklagten war nach § 2 des am 9. Februar 1946 geschlossenen Gesellschaftsvertrages „der Vertrieb von Maschinenelementen, Werkzeugen aller Art, insbesondere Kerbstiften, Kerbnägeln und gekerbten Spezialteilen aus Eisen und Metall”; nach der am 28. Juni 1950 geänderten Fassung des § 2 besteht er „in der Herstellung und dem Vertrieb von Maschinenelementen, insbesondere von Inserts aus Stoffen aller Art, sowie von Werkzeugen aller Art”. Zur Erreichung dieses Zwecks darf sich die Beklagte an „gleichartigen oder ähnlichen Unternehmen” beteiligen.
Am 20. November 1979 beschloß die Gesellschafterversammlung der Beklagten mit 440 gegen 300 Stimmen der Klägerin und ihres Bruders den Kauf eines 50 %igen Anteils an der Firma U. F. Ltd., W./England, zum Preise von 296 948. Dieses Unternehmen fertigt und vertreibt – nach Darstellung der Beklagten zu 20 % seines Gesamtumsatzes – ebenfalls Kerbstifte und Kerbnägel.
Die Klägerin hat den Gesellschafterbeschluß mit der Begründung angefochten, er verstoße gegen den Gesellschaftszweck der Beklagten; diese dürfe selbst keine Kerbstifte und Kerbnägel herstellen und vertreiben und sich deshalb auch an keinem Unternehmen beteiligen, das dergleichen tue. Das Landgericht hat der Anfechtungsklage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Das Berufungsgericht ist dem Vortrag der Klägerin gefolgt und hat den Gesellschafterbeschluß vom 20. November 1979 für nichtig erklärt, weil er gegen den satzungsgemäßen Gesellschaftszweck der Beklagten verstoße. Die Beklagte beanstandet mit Recht, daß das Berufungsgericht bei Beantwortung der Frage nach dem Gesellschaftszweck Auslegungsgrundsätze verletzt hat.
a) Satzungsbestimmungen, die den Gesellschaftszweck regeln, sind nicht allein für die augenblicklichen, sondern auch für die künftigen Gesellschafter von unmittelbarer rechtlicher Bedeutung und deshalb dem körperschaftlichen Bereich der Satzung zuzurechnen. Diese ist daher insoweit nach objektiven Gesichtspunkten aus sich heraus einheitlich auszulegen; im Unterschied zu Individualverträgen haben Umstände auszuscheiden, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und nicht allgemein erkennbar sind. Das gilt insbesondere für die Entstehungsgeschichte der Satzung, für Vorentwürfe und die Vorstellungen oder Zußerungen von Personen, die an der Abfassung des Gesellschaftsvertrages mitgewirkt haben (BGHZ 14, 25, 36 f; SenUrt. v. 24.1.1974 – II ZR 65/72, LM GmbHG § 47 Nr. 21). Das Berufungsgericht hat, wie das Revisionsgericht frei nachprüfen kann, gegen diese Grundsätze verstoßen.
b) Es hat zunächst auf den Wortlaut der Satzung abgestellt und zutreffend ausgeführt, daß er objektiv auch den Erwerb einer Beteiligung an einem Unternehmen deckt, das Kerbstifte und -nägel herstellt und vertreibt. Denn Maschinenelemente, die die Beklagte laut Satzung herstellen und vertreiben darf, sind auch Kerbstifte und -nägel. Die ausdrücklich genannten Inserts sind „insbesondere”, mithin nicht ausschließlich herzustellen und zu vertreiben.
Aus sich heraus ergibt die Satzung also keinen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen den Gesellschaftszweck. Allgemein erkennbar, weil aus dem Handelsregister und den Handelsregister-Akten ohne weiteres ersichtlich, und deshalb für die Auslegung verwertbar wäre die Tatsache, daß die Beklagte ursprünglich „insbesondere Kerbstifte, Kerbnägel und gekerbte Spezialteile” vertrieb und seit der am 28. Juni 1950 erfolgten Znderung der Satzung „insbesondere Inserts” herstellt und vertreibt. Diese Znderung besagt aber nicht mehr, als daß das Produkt gewechselt hat, auf das die geschäftlichen Aktivitäten der Beklagten in erster Linie ausgerichtet sind. Dagegen läßt sich ihr nicht entnehmen, daß die Beklagte keine gekerbten Maschinenelemente mehr herstellen und vertreiben darf.
Mit diesem objektiven Befund hätte das Berufungsgericht seine Auslegung abschließen müssen. Die von ihm zusätzlich herangezogene Entstehungsgeschichte der Satzung, der wirkliche und mutmaßliche Wille der inzwischen verstorbenen Gründergesellschafter und die spätere Unternehmenspraxis hatten bei der Auslegung außer Betracht zu bleiben.
2. Mit einem Stimmrechtsmißbrauch (§ 243 Abs. 2 AktG) oder einer Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht läßt sich die Anfechtung ebenfalls nicht begründen. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die englische Gesellschaft mit Hilfe der Beklagten ihre Produktion erweitert und dann mit der offenen Handelsgesellschaft konkurriert oder ob die Beteiligung eine solche Konkurrenz gerade verhindert. Im ungünstigsten Falle würde dadurch allein die offene Handelsgesellschaft benachteiligt. Daß der Erwerb der Beteiligung auch die Beklagte schädigt, anstatt ihre Interessen zu fördern, hat die Klägerin nicht behauptet. Die Verletzung der Treuepflicht läßt sich allein vom Gesellschaftsverhältnis der Beklagten her beurteilen und nicht aufgrund von Bindungen, die die Gesellschafter in anderen Gesellschaften eingegangen sind.
3. Allerdings könnte eine solche Bindung aus anderen Gründen die Anfechtbarkeit des Beschlusses begründen. Die Gesellschafter können sich jederzeit außerhalb der Satzung ihren Mitgesellschaftern schuldrechtlich verpflichten, in der Gesellschafterversammlung in bestimmter Weise abzustimmen. Deshalb bestehen rechtlich auch keine Bedenken gegen ein Übereinkommen aller Gesellschafter, mit der GmbH in einem bestimmten, von deren satzungsmäßigem Zweck gedeckten Geschäftszweig nicht tätig zu werden. Verletzt ein Gesellschafter ein solches mit einem Mitgesellschafter getroffenes Abkommen, indem er abredewidrig abstimmt, so ist zwar der auf diese Weise zustandegekommene Beschluß grundsätzlich nicht anfechtbar, vielmehr der Streit um die Rechtsfolgen des Verstoßes unter den an der Bindung Beteiligten und nicht mit der Gesellschaft auszutragen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Beschluß gegen eine von allen Gesellschaftern eingegangene Bindung verstößt. Haben alle Gesellschafter eine die Gesellschaft betreffende Angelegenheit unter sich einverständlich geregelt, so ist diese Regelung – auch ohne Bestandteil der Satzung zu sein – zumindest solange zugleich als eine solche der Gesellschaft zu behandeln, als dieser nur die aus der Abrede Verpflichteten angehören. In diesem Falle besteht kein Grund, die vertragswidrig überstimmten Gesellschafter auf den umständlichen Weg einer Klage gegen die Mitgesellschafter zu verweisen, um durch deren Verurteilung zu einer gegenteiligen Stimmabgabe den Beschluß aus der Welt zu schaffen. Die überstimmten Gesellschafter können den Beschluß vielmehr durch Klage gegen die Gesellschaft anfechten.
Die Verpflichtung aller Gesellschafter, von einer Beteiligung der GmbH an einem Konkurrenzunternehmen der offenen Handelsgesellschaft abzusehen, könnte sich nach dem bisherigen Sachvortrag der Parteien ergeben
- a) aus einem schon von den Gründern bei „Ausgliederung” der GmbH ausdrücklich oder schlüssig geschlossenen Vertrage, in den die heutigen Gesellschafter als Erben eingetreten sein könnten, oder
- b) aus der Treuepflicht der – in beiden Gesellschaften identischen – Gesellschafter gegenüber der offenen Handelsgesellschaft, wenn sich – insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der beiden Gesellschaften – feststellen läßt, daß bei einer Konkurrenz der Treuepflichten gegenüber der GmbH und der offenen Handelsgesellschaft die gegenüber der offenen Handelsgesellschaft den Vorrang haben soll.
4. Damit die Parteien Gelegenheit erhalten, unter Berücksichtigung der vorstehend aufgezeigten Gesichtspunkte ihren Vortrag zu ergänzen, und das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen treffen kann, wird die Sache zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 649034 |
NJW 1983, 1910 |
ZIP 1983, 297 |