Abberufung eines Geschäftsführers trotz entgegenstehender Stimmbindungsvereinbarung
Sachverhalt
Der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt betraf die Abberufung des in Ungnade gefallenen Geschäftsführers der Hannover 96 Management GmbH („GmbH“). Die Satzung der GmbH sah ausdrücklich vor, dass die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers nicht bei der Gesellschafterversammlung, sondern bei einem fakultativ errichteten Aufsichtsrat liegt. Darüber hinaus verpflichtete sich der alleinige Gesellschafter der GmbH gegenüber einer Drittgesellschaft im Rahmen eines Stimmbindungsvertrages, die Satzung nicht bzw. nicht ohne deren vorherige schriftliche Zustimmung zu ändern. Dies gilt nach der Vereinbarung insbesondere für den Passus, der die Funktion und Besetzung des Aufsichtsrats regelt.
Hierüber setzte sich der alleinige Gesellschafter hinweg und fasste den – explizit satzungsdurchbrechenden – Beschluss, den Geschäftsführer der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung abzuberufen. Das LG Hannover gab dem Antrag des Geschäftsführers im einstweiligen Verfügungsverfahren statt, die Geschäftsführertätigkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortführen zu dürfen. Das OLG Celle schloss sich der Ansicht des LG Hannover an und erachtete den Abberufungsbeschluss der Gesellschafterversammlung für nichtig. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit ihrer Revision beim BGH.
Urteil des BGH vom 16.07.2024 – II ZR 71/23
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der BGH erachtet den Abberufungsbeschluss des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten für wirksam.
Entgegen der Ansicht des OLG Celle sei der Abberufungsbeschluss nicht mit dem Wesen der GmbH unvereinbar und damit nicht analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig. In Abgrenzung zu einer Verletzung des Gesetzes oder der Satzung, derentwegen ein Beschluss der Gesellschafterversammlung angefochten werden kann, könne nur eine Verletzung tragender Strukturprinzipien des GmbH-Rechts eine Unvereinbarkeit des Beschlusses mit dem Wesen der GmbH begründen. Das Wesen der GmbH ergebe sich nicht aus den individuellen Satzungsregelungen der jeweils in Rede stehenden Gesellschaft, weil das Wesen der GmbH durch das GmbHG und die abstrakt-generellen Strukturmerkmale des GmbH-Rechts bestimmt werde und damit nicht zur Disposition der Gesellschafter stehe. Zu diesen abstrakt-generellen Strukturmerkmalen gehöre zwar auch die Satzungsautonomie, die aber nicht mit den in Ausübung dieser Autonomie getroffenen konkreten Satzungsregelungen verwechselt werden dürfe. Satzungsbestimmungen, die dem fakultativen Aufsichtsrat der Gesellschaft die Kompetenz zur Abberufung des Geschäftsführers zuweisen, stellen nach Auffassung des BGH daher keine tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts dar, da die Kompetenz zur Abberufung von Gesetzes wegen der Gesellschafterversammlung vorbehalten ist (§§ 45 Abs. 2, 46 Nr. 5 GmbHG).
Auch die Missachtung der Regelungen des Stimmbindungsvertrages rechtfertige nicht die Annahme, dass der Abberufungsbeschluss mit dem Wesen der GmbH nicht zu vereinbaren sei. Die Beachtung von derartigen Stimmbindungsverträgen gehöre nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts. Zwar könnten sich Gesellschafter einer GmbH jederzeit zu einer bestimmten Stimmabgabe verpflichten, doch binde diese Vereinbarung aufgrund der Unterscheidung zwischen der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene grundsätzlich nur den Vertragspartner, sodass die Folgen eines Verstoßes nicht mit der Gesellschaft auszutragen seien.
Der BGH nimmt weiter an, dass der Abberufungsbeschluss nicht aufgrund eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist. Hierfür sei erforderlich, dass der Beschluss „für sich allein betrachtet“ gegen die guten Sitten verstoße. Beschlüsse, bei denen nicht der eigentliche Beschlussinhalt, sondern „nur“ Beweggrund oder Zweck gegen die guten Sitten verstoßen, oder bei denen die Sittenwidrigkeit in der Art des Zustandekommens liege, seien lediglich anfechtbar.
Eine Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses wegen einer sittenwidrigen Schädigung käme danach allenfalls in Betracht, wenn sich das Verhalten der Gesellschafter nicht in der Kompetenz- und Vertragspflichtverletzung erschöpft hätte, sondern darüberhinausgehende die Verwerflichkeit begründende Umstände vorlägen. Solche Umstände hatte das Berufungsgericht indes im konkreten Fall nicht festgestellt.
Fazit
Stimmbindungsverträge sind ein gängiges Mittel, um eine einheitliche Stimmabgabe aller Gesellschafter oder einer Gesellschaftergruppe sicherzustellen. Im Rahmen von Poolvereinbarungen, die besonders häufig in Familiengesellschaften vereinbart werden, verpflichten sich die Parteien, ihre Stimmrechte in bestimmter Weise auszuüben. Nach umstrittener, aber herrschender Ansicht, kann eine solche Vereinbarung auch mit Dritten abgeschlossen werden.
Verstößt ein Gesellschafter gegen eine Stimmbindungsvereinbarung, ist seine Stimme im Rahmen der Gesellschafterversammlung grundsätzlich wirksam. Die Bindungswirkung beschränkt sich auf das Vertragsverhältnis der Parteien und lässt das Außenverhältnis unberührt. Nachdem das OLG Celle diesen Grundsatz teilweise aufgeweicht hatte, betont der BGH in begrüßenswerter Klarheit, dass zwischen der schuldrechtlichen und der korporationsrechtlichen Ebene zu unterscheiden ist und sich eine vertragliche Pflichtverletzung nicht unmittelbar auf das Gesellschaftsverhältnis auswirkt. Den Vertragspartnern bleibt demnach regelmäßig nur die Möglichkeit, die schuldrechtlich vereinbarte Stimmabgabe gegenüber dem gegen die Vereinbarung verstoßenden Gesellschafter gerichtlich durchzusetzen. Ob das vertragswidrige Abstimmungsverhalten sittenwidrig und der Beschluss daher anfechtbar oder sogar nichtig, die Klage mithin gegen die Gesellschaft selbst zu richten ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls.
(BGH, Urteil v. 16.7.2024, II ZR 71/23)
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