Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschiedenen Gebührentatbestände als lediglich materiellrechtlich unterschiedliche Gesichtspunkte ein und desselben Klagegrundes
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob sich der Streitgegenstand ändert, wenn der Steuerberater eine Vergütung für die Neuerstellung der Buchführung des Mandanten verlangt, und zwar im ersten Rechtszuge „als Vorarbeiten zur Erstellung des Jahresabschlusses” gemäß § 35 Abs. 3 StBGebV und im Berufungsverfahren „als Vorarbeiten zur Erstellung der Überschußrechnung” nach § 25 Abs. 2 StBGebV.
Leitsatz (redaktionell)
Am Klagegrund ändert es nichts, daß der Anspruchsgegenstand in der – im ersten Rechtszug vorgelegten Rechnung als „Vorarbeiten zur Erstellung des Jahresabschlusses für 1994” mit Bezugnahme auf eine Zeitgebühr gemäß § 35 Abs. 3 StBGebV und in der im Berufungsverfahren überreichten Rechnung „als Vorarbeiten zur Erstellung der Überschußrechnung für 1994” unter Verweis auf eine – gleich berechnete – Zeitgebühr nach § 25 Abs. 2 StBGebV bezeichnet wird. Anspruchsgrund ist die Neuerstellung der Buchführung, den steuerbaren (Jahres-)Gewinn nur in einer Überschußrechnung statt in einer Bilanz auszuweisen. Die Bezugnahmen auf die verschiedenen Gebührentatbestände sind lediglich materiellrechtlich unterschiedliche Gesichtspunkte ein und desselben Klagegrundes. Insoweit ist es rechtlich unerheblich, wenn die Bezugnahme auf § 35 Abs. 3 StBGebV wiederholt und „hilfsweise” durch den Hinweis auf § 25 Abs. 2 StBGebV ersetzt wird.
Normenkette
ZPO §§ 263, 523; StBGebV § 35 Abs. 3, § 25 Abs. 2; ZPO § 264 Nr. 1
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Urteil vom 16.09.1998; Aktenzeichen 13 U 11/97) |
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 05.08.1997; Aktenzeichen 12 O 211/96) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 16. September 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 1. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die klagende Steuerberatungsgesellschaft verlangt von den beklagten, in einer Sozietät verbundenen Vermessungsingenieuren Gebühren und Auslagen.
Mit Schreiben vom 3. März 1995 übergaben die Beklagten der Klägerin „die Unterlagen zum Jahresabschluß 1994, der absprachegemäß erstmalig als Bilanz erstellt werden soll”. In ihrem Schreiben vom 30. Mai 1995 teilte die Klägerin den Beklagten mit, daß „sehr viele Positionen … nicht der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung entsprechen”.
Am 24. Juli 1995 erteilte die Klägerin den Beklagten eine Rechnung betreffend „Honorar für Buchführung 1994 mtl. 739,20 DM × 12 Monate” unter Bezugnahme auf § 33 Abs. 1 der Gebührenverordnung für Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften – StBGebV – vom 17. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1442) über 8.870,40 DM nebst Auslagen und Umsatzsteuer.
Den Gesamtbetrag dieser Rechnung in Höhe von 10.293,36 DM – nebst Zinsen – hatte die Klägerin zunächst eingeklagt. Während des ersten Rechtszuges hat die Klägerin ihre Forderung erhöht auf die Gesamtsumme ihrer Rechnung vom 18. April 1997 in Höhe von 11.643,75 DM – nebst Zinsen -. Darin hat die Klägerin eine Zeitgebühr von 10.125 DM – „(mindestens) 75 Std. à 135 DM” – für die „komplette Überarbeitung der von den Mandanten vorgelegten Buchführung als Vorarbeiten zur Erstellung des Jahresabschlusses für 1994” unter Bezugnahme auf § 35 Abs. 3 StBGebV – nebst Umsatzsteuer – geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die zugrunde gelegte Bestimmung die verlangte Zeitgebühr nicht rechtfertige und die Klägerin keinen besonderen Auftrag der Beklagten zur Vornahme der berechneten Tätigkeit bewiesen habe.
Mit der Berufungsbegründung hat die Klägerin ihren letzten erstinstanzlichen Zahlungsanspruch weiterverfolgt, das angefochtene Urteil beanstandet und „hilfsweise” ihre Forderung auf § 25 Abs. 2 StBGebV gestützt gemäß ihrer beigefügten Rechnung vom 2. Oktober 1997. Darin hat die Klägerin die – bereits in ihrer Rechnung vom 18. April 1997 verlangte – Zeitgebühr nebst Umsatzsteuer für die „komplette Überarbeitung der von den Mandanten vorgelegten Buchführung als Vorarbeiten zur Erstellung der Überschußrechnung für 1994” unter Bezugnahme auf § 25 Abs. 2 StBGebV begehrt. Die Beklagten haben eine Klageänderung geltend gemacht. Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat die Berufung für unzulässig gehalten und dazu ausgeführt:
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Honorar für die Neuerstellung der Buchhaltung als Vorarbeit gemäß § 35 Abs. 3 StBGebV zur Anfertigung eines Jahresabschlusses nach der im ersten Rechtszug geltend gemachten Rechnung vom 18. April 1997. Nach dem unbestrittenen erstinstanzlichen Klagevortrag und der Zeugenaussage des Mitarbeiters der Klägerin sei der Jahresabschluß 1994 nicht als Bilanz, sondern wie zuvor als Überschußrechnung zu erstellen gewesen, die nach § 25 Abs. 1 StBGebV zu vergüten sei. Aus dem – im ersten Rechtszug überreichten – Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 8. August 1995 ergebe sich, daß die Klägerin keinen Jahresabschluß gemäß § 35 StBGebV, sondern eine Überschußrechnung nach § 25 Abs. 1 StBGebV angefertigt habe. Es sei der Klägerin verwehrt, sich in ihrer Berufungsbegründung hilfsweise auf einen solchen Auftrag zu berufen und für dessen Erledigung – gemäß der der Berufungsbegründung beigefügten Rechnung vom 2. Oktober 1997 – eine Vergütung nach § 25 Abs. 2 StBGebV zu verlangen mit der Behauptung, die Parteien seien im ersten Rechtszuge irrtümlich von einem Auftrag zur Erstellung eines Jahresabschlusses gemäß § 35 StBGebV ausgegangen. Tatsächlich sei in Absprache mit den Beklagten eine Überschußrechnung nach § 25 StBGebV erstellt worden. Dies sei kein Hilfsvorbringen der Klägerin, die ihre Rechnung ausgetauscht habe. Vielmehr habe die Klägerin ihren gesamten Sachvortrag und damit den Streitgegenstand geändert. Ihr Verhalten verstoße gegen den Grundsatz der Wahrheitspflicht gemäß § 138 Abs. 1 ZPO und sei deswegen unerheblich. Damit setze sich die Klägerin in Widerspruch zu ihrem Vorbringen in der Berufungsbegründung gegen das erstinstanzliche Urteil. Da sie keinen Auftrag zur Erstellung eines Jahresabschlusses als Bilanz gehabt habe, wie sie in der Berufungsbegründung einräume, könne sie nicht gleichzeitig das Urteil des Landgerichts mit der wahrheitswidrigen Begründung anfechten, sie habe doch einen solchen Auftrag gehabt und dafür die Buchhaltung neu erstellt. Deswegen fehle ein ordnungsgemäßer Angriff gegen das erstinstanzliche Urteil.
Danach verbleibe nur das Hauptvorbringen der Klägerin in der Berufungsbegründung, sie habe den Auftrag gehabt, eine Überschußrechnung für die Beklagten anzufertigen, und habe zur Ausführung dieses Mandats Vorarbeiten erledigt, die über das übliche Maß hinausgegangen seien, so daß sie dafür eine Zeitgebühr gemäß § 25 Abs. 2 StBGebV verlangen könne. Dies sei neuer Sachvortrag, der einen bisher nicht verfolgten Anspruch zum Gegenstand habe. Damit sei der Streitgegenstand geändert worden, auch wenn die Forderung mit derjenigen des ersten Rechtszuges übereinstimme. Zwar gehe es um ein Auftragsverhältnis der Parteien wegen steuerlicher „Abschlußarbeiten”. Es handele sich aber um völlig verschiedene Aufträge, die nach unterschiedlichen Bestimmungen der StBGebV abzurechnen seien.
II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Berufung ist nur dann zulässig, wenn der Berufungskläger die Beschwer infolge des erstinstanzlichen Urteils beseitigen will. Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie den im ersten Rechtszug erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, also eine erstinstanzliche Klageabweisung gar nicht in Frage stellt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bisher nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt. Die Änderung der Klage im Berufungsverfahren (§§ 263, 523 ZPO) kann nicht allein das Ziel des Rechtsmittels sein, sondern setzt dessen Zulässigkeit voraus (BGH, Urt. v. 12. Juli 1994 - VI ZB 43/93, NJW-RR 1994, 1404; Beschl. v. 9. November 1995 - IX ZB 65/95, NJW 1996, 320; Urt. v. 14. Februar 1996 - VIII ZR 68/95, NJW-RR 1996, 765; v. 13. Juni 1996 - III ZR 40/96, NJW-RR 1996, 1276; v. 18. Juni 1996 - VI ZR 325/95, NJW-RR 1996, 1210, 1211).
2. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht eine Klageänderung angenommen. An seine Auslegung ist der Senat nicht gebunden. Er kann Prozeßerklärungen in freier Würdigung selbst auslegen. Dabei ist davon auszugehen, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Urt. v. 18. Juni 1996, aaO).
a) Nach der prozeßrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand im Zivilprozeß, der sich der Bundesgerichtshof (BGHZ 117, 1, 5 f; BGH, Urt. v. 13. Juni 1996, aaO; v. 25. Februar 1999 - III ZR 53/98, WM 1999, 704) angeschlossen hat, wird mit der Klage nicht ein bestimmter materiellrechtlicher Anspruch geltend gemacht; Gegenstand des Rechtsstreits ist vielmehr der eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger geltend gemachte Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Der Vortrag neuer Tatsachen, die eine andere Norm des materiellen Rechts erfüllen, verschafft dem neuen Verfahren nicht notwendig einen anderen Streitgegenstand. Zum Klagegrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen Betrachtungsweise aus der Sicht der Parteien zu dem Sachverhalt gehören, den der Kläger mit seinem Vortrag zur Begründung seines Begehrens der gerichtlichen Entscheidung unterbreitet.
b) Die Auslegung der Berufungsbegründung ergibt, daß die Klägerin den Streitgegenstand nicht geändert hat, indem sie zumindest mit dem ersten Teil ihrer Begründungsschrift das Urteil des Landgerichts angegriffen hat. Dazu hat die Klägerin geltend gemacht: § 35 Abs. 3 StBGebV erfasse alle Abschlußvorarbeiten, die vor einer abgestimmten Saldenbilanz anfielen. Stelle der Steuerberater – wie im vorliegenden Falle – bei Stichproben ein hohes Maß an systematischen Mängeln in den Buchungsunterlagen des Auftraggebers fest, so könne dies zu einer umfassenden Prüfung dieser Unterlagen führen. Der Steuerberater müsse diese Mängel beseitigen, um den Auftrag zur Erstellung des Jahresabschlusses durchführen zu können. Eine Korrektur in angemessener Zeit habe eine Überarbeitung der gesamten Buchführung der Beklagten erfordert. Diese sei in der billigsten Weise vorgenommen worden. Dafür sei kein besonderer Auftrag der Beklagten nötig gewesen, weil die Vorarbeiten notwendig gewesen seien, um den Abschlußauftrag ausführen zu können. Außerdem hätte das Landgericht das Ergebnis seiner Beweisaufnahme dahin würdigen müssen, daß ein solcher Zusatzauftrag erteilt worden sei.
Danach hat die Klägerin im Berufungsverfahren ihre letzte erstinstanzliche Klageforderung weiterverfolgt. Diese hat sich in beiden Vorinstanzen auf eine Vergütung für die „komplette Überarbeitung der von den Mandanten vorgelegten Buchführung” bezogen. An dem einheitlichen Lebenssachverhalt (Klagegrund) ändert es nichts, daß dieser Anspruchsgegenstand in der – im ersten Rechtszug vorgelegten – Rechnung vom 18. April 1997 als „Vorarbeiten zur Erstellung des Jahresabschlusses für 1994” mit Bezugnahme auf eine Zeitgebühr gemäß § 35 Abs. 3 StBGebV und in der – im Berufungsverfahren überreichten – Rechnung vom 2. Oktober 1997 „als Vorarbeiten zur Erstellung der Überschußrechnung für 1994” unter Verweis auf eine – gleich berechnete – Zeitgebühr nach § 25 Abs. 2 StBGebV bezeichnet worden ist. Anspruchsgrund ist die Neuerstellung der Buchführung aufgrund eines – schon nach dem erstinstanzlichen Klagevortrag – einvernehmlich geänderten Mandats, den steuerbaren (Jahres-)Gewinn nur in einer Überschußrechnung statt in einer Bilanz auszuweisen. Die Bezugnahmen auf die verschiedenen Gebührentatbestände sind lediglich materiell-rechtlich unterschiedliche Gesichtspunkte ein und desselben Klagegrundes (§§ 264 Nr. 1, 523 ZPO). Insoweit ist es rechtlich unerheblich, daß die Bezugnahme auf § 35 Abs. 3 StBGebV wiederholt und „hilfsweise” durch den Hinweis auf § 25 Abs. 2 StBGebV ersetzt worden ist.
III.
Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 564, 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO); von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird Gebrauch gemacht.
Für das weitere Berufungsverfahren wird darauf hingewiesen, daß der Klägerin eine Vergütung für die berechnete Neuerstellung der Buchführung nur dann zusteht, wenn sie dafür die Zustimmung der beklagten Auftraggeber erhalten hat (vgl. BGH, Urt. v. 19. Oktober 1995 - IX ZR 20/95, WM 1996, 73, 75 f; OLG Frankfurt Stbg 1997, 513). Der Wortlaut des § 25 Abs. 2 StBGebV steht dem Erfordernis einer Zustimmung nicht entgegen, da diese Vorschrift nur die Art der Gebühr festlegt (Eggesiecker, Honorar für Steuerberatung, 2. Aufl. - § 25 „Steugo” Rdnr. 25.570). Die Erteilung eines solchen Auftrags ist zwischen den Parteien streitig; insoweit bedarf es noch einer tatrichterlichen Aufklärung.
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.04.1999 durch Bürk Jusitzhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
DB 1999, 1315 |
DStRE 1999, 495 |
HFR 2000, 232 |
Inf 1999, 511 |
NJW-RR 2000, 1521 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1341 |
MDR 1999, 954 |