Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialleistungen. Anspruchsübergang. Sozialversicherungsverhältnis. Schadensstiftendes Ereignis. Unfallzeitpunkt. Versicherungsverhältnis. Rechtsübergang. Schadensersatz. Sozialversicherungsträger. Gesetzliche Rentenversicherung. Verjährung. Kenntnis des gesetzlichen Vertreters des Geschädigten
Leitsatz (amtlich)
a) Der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang findet bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, sofern zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis besteht.
b) Bei Sozialleistungen, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, ist für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.
c) Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, sind nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers zu übertragen.
Normenkette
SGB X § 116; BGB § 166
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 08.11.2010; Aktenzeichen 22 U 106/09) |
LG Berlin (Urteil vom 20.04.2009; Aktenzeichen 59 O 215/07) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats des KG in Berlin vom 8.11.2010 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Berlin vom 20.4.2009 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, ein Regionalträger der gesetzlichen Rentenversicherung, hat gegen die Beklagten mit der im Jahre 2007 erhobenen Feststellungsklage Ersatzansprüche aus gem. §§ 116 Abs. 1 Satz 1, 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangenem Recht der Geschädigten S. P. geltend gemacht, die als Sechsjährige bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Der Beklagte zu 2) bog am 20.12.1995 mit einem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Lkw, dessen Halterin die Beklagte zu 3) war, in B. von der B.-Straße in die K.-Straße ein. Die Geschädigte, die sich zuvor auf dem Gehweg der K.-Straße befunden hatte, lief auf die Fahrbahn und geriet dabei mit dem rechten Fuß unter den rechten hinteren Doppelreifen des Lkw. Sie erlitt eine Bruchverletzung des rechten Fußes sowie eine Luxationsfraktur der Halswirbelsäule. Fünf Minuten später traf ihre Mutter am Unfallort ein.
Rz. 2
Im Juli 1999 unterzeichneten die Erziehungsberechtigten der Geschädigten eine modifizierte "Abfindungserklärung" der Beklagten zu 1), in der es u.a. heißt:
"Gegen Zahlung eines Betrages von DM 175.000 erkläre(n) ich mich/wir uns zugleich im Namen meiner/unserer Rechtsnachfolger für alle Ansprüche (ausgenommen sind auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangene/übergehende Ansprüche) abgefunden, die mir/uns aus Anlass des oben bezeichneten Schadensfalls gegen ... zustehen. Damit sind sämtliche Ansprüche endgültig und vollständig abgegolten, und zwar unabhängig davon, ob sie schon entstanden sind oder noch entstehen werden, ob sie vorhersehbar sind und ob alle Folgeschäden in die Vorstellungen der Beteiligten einbezogen sind."
Rz. 3
Die Geschädigte war jedenfalls bis Juli 2005 nicht Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Rz. 4
Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin aus nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangenem Recht die Schäden zu ersetzen, die ihr dadurch entstehen, dass sie der Geschädigten Leistungen nach dem VI. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) erbringt. Hinsichtlich nach § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangener Ansprüche hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagten erstreben mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Klägerin hat die von ihr eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde und ihre Revision zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hält einen Schadensersatzanspruch der Geschädigten gem. §§ 7, 11, 18 StVG a.F., § 3 Nr. 1, 2 PflVG a.F. für gegeben. Es meint, bei dem Unfall habe es sich nicht um ein unabwendbares Ereignis gehandelt. Der von den Beklagten erhobene Einwand des Mitverschuldens sei nicht begründet. Eine grob fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung der Mutter der Geschädigten sei nach dem Vortrag der Beklagten nicht gegeben. Der Anspruch der Geschädigten sei nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X bereits zum Zeitpunkt des Unfalls auf die Klägerin übergegangen. Die Regressansprüche des Sozialversicherungsträgers müssten nicht nur vor Verfügungen des Geschädigten, sondern auch vor dem Eintritt der Verjährung gesichert werden. Deshalb sei die Rechtsprechung des BGH, wonach bei Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, ein Rechtsübergang auf den Leistungsträger erfolge, sobald nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls Sozialleistungen durch ihn ernsthaft in Betracht zu ziehen seien, auf den gesetzlichen Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger zu übertragen. Unerheblich sei, dass der Geschädigte damit ggf. Ansprüche an einen noch unbekannten Leistungsträger verliere, zu dem noch kein Sozialversicherungsverhältnis bestehe. Eine Leistungspflicht der Klägerin habe hier schon zum Zeitpunkt des Unfalls ernsthaft im Raum gestanden. Da wegen des sofortigen Anspruchsübergangs für den Verjährungsbeginn mithin auf die Kenntnis der Klägerin abzustellen sei, seien die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche nicht verjährt, denn Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und des Schuldners habe die zuständige Regressmitarbeiterin der Klägerin frühestens im Jahr 2004 gehabt. Demgegenüber seien nach § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerin übergegangene Ansprüche verjährt, weil hinsichtlich des Beitragsschadens ein Anspruchsübergang erst zu dem Zeitpunkt erfolge, zu dem der Geschädigte pflichtversichert werde. Für den Beginn der Verjährung sei insoweit deshalb vorliegend nicht die Kenntnis der Klägerin, sondern diejenige der Geschädigten bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter maßgeblich, die hier spätestens bei Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs im Juli 1999 vorgelegen habe.
II.
Rz. 6
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
1. Mit Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht einen Übergang des Schadensersatzanspruchs der Geschädigten auf die Klägerin gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X bereits für den Zeitpunkt des Unfalls angenommen und den übergegangenen Anspruch mit Rücksicht darauf für nicht verjährt erachtet hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfolgte ein etwaiger Anspruchsübergang frühestens im August 2005.
Rz. 8
a) Nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch auf Ersatz des Schadens auf einen Sozialversicherungsträger über, soweit dieser aufgrund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen. § 116 SGB X ist mit Wirkung vom 1.7.1983 eingeführt worden (vgl. § 120 Abs. 1 SGB X). Die Vorschrift beruht auf dem früheren § 1542 RVO, wobei der inhaltlichen Ausformung der Vorschrift durch die Rechtsprechung Rechnung getragen und Zweifelsfragen entschieden werden sollten; eine Forderung soll bereits im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses übergehen, sofern der Versicherungsträger dem Geschädigten Leistungen zu erbringen haben wird (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf vom 13.1.1981, BT-Drucks. 9/95, 27 zu § 122).
Rz. 9
b) Soweit es um einen Träger der Sozialversicherung geht, findet der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, da aufgrund des zwischen dem Geschädigten und dem Sozialversicherungsträger bestehenden Sozialversicherungsverhältnisses von vornherein eine Leistungspflicht in Betracht kommt. Es handelt sich um einen Anspruchsübergang dem Grunde nach, der den Sozialversicherungsträger vor Verfügungen des Geschädigten schützt (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1955 - VI ZR 211/54, BGHZ 19, 177, 178; v. 8.7.2003 - VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 346; v. 17.6.2008 - VI ZR 197/07, VersR 2008, 1350, 1351; v. 12.4.2011 - VI ZR 150/10, BGHZ 189, 158 Rz. 8, 23; BGH, Urt. v. 10.7.1967 - III ZR 78/66, BGHZ 48, 181, 184 ff.). Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend ein Anspruchsübergang nicht angenommen werden, denn zum Unfallzeitpunkt bestand noch kein Sozialversicherungsverhältnis zwischen der Geschädigten und der Klägerin.
Rz. 10
c) Das Berufungsgericht hat für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs demgegenüber die Grundsätze angewandt, die von der Rechtsprechung für Sozialleistungen entwickelt worden sind, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden. Bei solchen Sozialleistungen ist für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Das besondere Band des Sozialversicherungsverhältnisses, das in anderen Fällen den Boden für den Forderungsübergang schafft und es ermöglicht, an die Vorhersehbarkeit künftiger Versicherungsleistungen für einen Rechtsübergang nach § 116 SGB X nur geringe Anforderungen zu stellen, muss in diesen Fällen durch andere Umstände ersetzt werden, die auf eine Pflicht zur Erbringung von Sozialleistungen schließen lassen. Ob und wann Leistungen für den Geschädigten ernsthaft in Betracht zu ziehen sind, kann nicht allgemein, sondern nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden. Je nach der gegebenen tatsächlichen Sachlage kann sich daher der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger bereits im Unfallzeitpunkt, möglicherweise aber auch erst erheblich später vollziehen. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn die Bedrohung der Sicherung des Arbeitsplatzes durch die Behinderung des Verletzten infolge einer zunächst nicht voraussehbaren Verschlimmerung der Unfallfolgen erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120, 125 ff.; v. 27.6.2006 - VI ZR 337/04, VersR 2006, 1383, 1384 f.; v. 5.5.2009 - VI ZR 208/08, VersR 2009, 995 Rz. 6; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 116 Rz. 4a; Hauck/Noftz/Nehls, SGB X, § 116 Rz. 24 [Stand: Mai 2011]; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 30 Rz. 38).
Rz. 11
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lassen sich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers übertragen. Bei Sozialleistungen aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses setzt ein Rechtsübergang zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr voraus, dass zu diesem Zeitpunkt schon ein Versicherungsverhältnis besteht. Denn nur in einem solchen Fall ist bereits im Augenblick des Schadenseintritts die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar (vgl. BGH, Urt. v. 24.2.1983 - VI ZR 243/80, VersR 1983, 536, 537; v. 4.10.1983 - VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137; v. 14.2.1984 - VI ZR 160/82, VersR 1984, 482, 483; v. 20.9.1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120, 124 f.; BGH, Urt. v. 10.7.1967 - III ZR 78/66, BGHZ 48, 181, 188; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 116 Rz. 2 f.; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 30 Rz. 33; Himmelreich/Halm/Engelbrecht, Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Aufl., Kap. 31 Rz. 16).
Rz. 12
Ein Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger erfolgt nur dann nicht im Zeitpunkt des Schadenseintritts, wenn die Entstehung einer Leistungspflicht völlig unwahrscheinlich, also geradezu ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.1990 - VI ZR 276/89, VersR 1990, 1028, 1029; v. 20.9.1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120, 125; v. 8.7.2003 - VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 346; v. 2.12.2008 - VI ZR 312/07, VersR 2009, 230, 231; v. 12.4.2011 - VI ZR 158/10, a.a.O., Rz. 8; BGH, Urt. v. 10.7.1967 - III ZR 78/66, BGHZ 48, 181, 186).
Rz. 13
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, für den Anspruchsübergang genüge es, dass nach den Umständen die Begründung eines Sozialversicherungsverhältnisses nicht fernliegend erscheine, wird dies dahin eingeschränkt, es reiche nicht aus, dass die spätere Begründung eines "Sozialleistungsverhältnisses" (gemeint wohl: Sozialversicherungsverhältnisses) lediglich denkbar sei, ohne dass hierfür konkrete Anhaltspunkte vorlägen (KassKomm/Kater, § 116 SGB X Rz. 36 f. [Stand: April 2011]). So soll nach dieser Auffassung ein Anspruchsübergang auf den Krankenversicherungsträger nicht zum Zeitpunkt des Schadenseintritts erfolgen, wenn der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt einer privaten Krankenversicherung angehört oder wenn ein Jugendlicher vor Beendigung der Schulzeit geschädigt worden ist, seine spätere Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt aber noch offen war (KassKomm/Kater, a.a.O., Rz. 37).
Rz. 14
Dem Berufungsgericht ist zuzugeben, dass in Fällen, in denen zum Zeitpunkt des Schadenseintritts noch kein Sozialversicherungsverhältnis bestand und der Anspruchsübergang deshalb erst zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem eine Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers in Betracht kommt, dessen Rückgriff gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X daran scheitern kann, dass der Geschädigte über seinen Schadensersatzanspruch - etwa durch Abschluss eines Abfindungsvergleichs - verfügt hat oder aber der Anspruch wegen inzwischen eingetretener Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist. Es ist nicht zu verkennen, dass damit das Ziel der gesetzlichen Regelung nicht in allen Fällen erreicht wird, denn Zweck des § 116 SGB X ist es zu vermeiden, dass der Schädiger durch die dem Geschädigten zufließenden Sozialleistungen haftungsfrei gestellt oder aber der Geschädigte doppelt entschädigt (bereichert) wird (vgl. BGH, Urt. v. 8.7.2003 - VI ZR 274/02, BGHZ 155, 342, 349 m.w.N., sowie BGH, Beschl. v. 30.3.1953 - GSZ 1/53, 2/53, 3/53, BGHZ 9, 179, 184 ff., zu § 1542 RVO; KassKomm/Kater, § 116 SGB X Rz. 5 ff. [Stand: April 2011]). Bereits der Wille des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 1542 RVO war auf eine möglichst weitgehende Entlastung des öffentlichen Versicherungsträgers gerichtet. Dieser und nicht der Schädiger soll durch die vom Gesetz getroffene Regelung geschützt werden. Grundsätzlich verdient daher eine Gesetzesauslegung den Vorzug, die es ermöglicht, den verantwortlichen Schädiger heranzuziehen, und nicht den Schädiger auf Kosten des Sozialversicherungsträgers entlastet (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1955 - VI ZR 211/54, BGHZ 19, 177, 183; v. 2.12.2008 - VI ZR 312/07, VersR 2009, 230 Rz. 12).
Rz. 15
Eine solche Auslegung verbietet sich indessen in den Fällen, in denen zum Zeitpunkt des Schadenseintritts das Entstehen einer Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers bereits deshalb offen ist, weil noch kein Sozialversicherungsverhältnis besteht und auch völlig ungewiss ist, ob ein solches zu einem späteren Zeitpunkt jemals begründet werden wird. Würde es für den Rechtsübergang auf den Sozialversicherungsträger schon genügen, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls seine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, würden auch jenem Geschädigten eigene Schadensersatzansprüche genommen, der nicht Mitglied einer Sozialversicherung ist. Er verlöre mithin eigene Ansprüche, ohne im Ausgleich dafür Leistungsansprüche gegen Sozialversicherungsträger zu erlangen (vgl. Fuchs, JZ 2012, 134, 138). Ein Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger würde zudem auch die Rückgriffsmöglichkeit privater Versicherer gem. § 86 Abs. 1 VVG aushöhlen. Dem kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht entgegengehalten werden, dass die Mehrzahl der Erwerbstätigen in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Dem Geschädigten, der zum Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht Mitglied einer Sozialversicherung ist, kann sein Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger nicht mit der Erwägung abgesprochen werden, die Mehrzahl der Geschädigten sei gesetzlich versichert. Die Gründe, aus denen für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, ein Anspruchsübergang für den Zeitpunkt des Schadenseintritts hergeleitet wird, sind daher entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auf Fallgestaltungen, in denen es um Leistungen von Sozialversicherungsträgern geht, nicht übertragbar.
Rz. 16
e) Nach diesen Grundsätzen ist der Forderungsübergang auf die Klägerin nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X im Streitfall frühestens mit dem Eintritt der Geschädigten in die gesetzliche Rentenversicherung erfolgt, also auch nach dem Klägervortrag nicht vor August 2005. Bis dahin bestand kein Rentenversicherungsverhältnis zwischen der zum Zeitpunkt des Schadenseintritts erst sechs Jahre alten Geschädigten und der Klägerin. Die zukünftige Begründung eines Sozialversicherungsverhältnisses war seinerzeit allenfalls denkbar. Mithin fehlte das besondere Band, das den Boden für den Forderungsübergang schafft (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120, 125).
Rz. 17
Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, bilden Ansprüche der Geschädigten aus der Rentenversicherung ihrer Mutter kein verbindendes Element für den Forderungsübergang auf die Klägerin als Rentenversicherungsträgerin. Nach der Rechtsprechung des BGH wird der Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwar dadurch nicht berührt, dass später ein anderer Sozialversicherungsträger gleichartige Leistungen zu erbringen hat; in solchen Fällen tritt vielmehr der zweite Sozialversicherungsträger in Bezug auf die Ersatzansprüche des Geschädigten die Rechtsnachfolge des ersten an (vgl. BGH, Urt. v. 24.2.1983 - VI ZR 243/80, VersR 1983, 536, 537; v. 9.1.1990 - VI ZR 86/89, VersR 1990, 437, 439; v. 17.4.1990 - VI ZR 276/89, VersR 1990, 1028, 1029). In der Rentenversicherung besteht jedoch für Kinder kein umfassender Versicherungsschutz, wie er etwa im Krankenversicherungsrecht mit der Familienversicherung nach § 10 SGB V vorgesehen ist. Die Möglichkeit, dass der Rentenversicherungsträger Kindern von Versicherten gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI unter bestimmten Voraussetzungen Leistungen für Heilbehandlungen gewähren kann, ist damit nicht vergleichbar, denn diese Regelung knüpft an das bestehende Versicherungsverhältnis der Eltern an. Im Streitfall bilden Ansprüche der Geschädigten aus einem eigenen Rentenversicherungsverhältnis daher grundsätzlich keine Einheit mit etwaigen Ansprüchen, die zu ihren Gunsten aufgrund des Versicherungsverhältnisses ihrer Mutter bestanden haben.
Rz. 18
f) Wie die Revision mit Recht geltend macht, hat die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung Erfolg. Der Lauf der Verjährungsfrist begann spätestens im Juli 1999, so dass spätestens im Juli 2002 Verjährung eingetreten ist. Die Klägerin muss die vor dem Forderungsübergang eingetretene Verjährung gem. §§ 412, 404 BGB gegen sich gelten lassen (vgl. BGH, Urt. v. 4.10.1983 - VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137; BGH, Urt. v. 10.7.1967 - III ZR 78/66, BGHZ 48, 181, 183; Hauck/Noftz/Nehls, § 116 SGB X Rz. 25 [Stand: Mai 2011]).
Rz. 19
Der Beginn der Verjährung bestimmt sich gem. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB nach § 852 Abs. 1 BGB a.F., § 14 StVG, § 3 Nr. 3 PflVG a.F. Gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. verjährt der Schadensersatzanspruch von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Schaden i.S.d. § 852 Abs. 1 BGB a.F. als Schadenseinheit zu verstehen. Dies bedeutet, dass bereits die allgemeine Kenntnis von dem Schaden genügt, um die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen; wer sie erlangt, dem gelten auch solche Folgezustände als bekannt, die im Zeitpunkt der Erlangung jener Kenntnis nur als möglich voraussehbar waren. Der Grundsatz der Schadenseinheit beruht auf den Geboten der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Daraus folgt, dass Ausnahmen von diesem Grundsatz nur in eng begrenzten Fallkonstellationen hinnehmbar sind. Dies gilt für die Fälle, in denen sich schwere Folgezustände bei anscheinend ganz leichten Verletzungen oder vorübergehenden Gesundheitsstörungen erst später unerwartet einstellen (vgl. BGH, Urt. v. 3.6.1997 - VI ZR 71/96, VersR 1997, 1111 f. m.w.N.).
Rz. 20
Im Streitfall kommt es gem. § 166 Abs. 1 BGB auf die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter der Geschädigten an (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.1999 - VI ZR 88/98, VersR 1999, 1126, 1127; Schramm in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 166 Rz. 55). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wussten diese spätestens zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs im Juli 1999 von dem Schaden und von den Beklagten als Ersatzpflichtigen. Die von der Klägerin pauschal geltend gemachten zukünftigen Schäden waren in dieser Form bereits damals als möglich voraussehbar. Unerwartete Verletzungsfolgen stehen nicht im Raum. Der Lauf der Verjährungsfrist begann daher spätestens mit der Unterzeichnung des Abfindungsvergleichs im Juli 1999. Spätestens im Juli 2002 ist somit die dreijährige Verjährungsfrist gem. § 195 BGB, die der Frist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. entspricht, abgelaufen (vgl. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 3 EGBGB).
Rz. 21
Auch der gebotene Schutz der Sozialversicherungsträger und deren anerkanntes Interesse an effektiven Rückgriffsmöglichkeiten rechtfertigen keine andere Beurteilung. Zwar hat der Gedanke, den Belangen der Sozialversicherungsträger Rechnung zu tragen, die Rechtsprechung des BGH zum Zeitpunkt des Anspruchsübergangs auf den Sozialversicherungsträger entscheidend beeinflusst. Der Gesetzgeber hat jedoch - ausgehend von dem Grundgedanken, dass die Rechtsposition des Schuldners durch einen Forderungsübergang nicht verschlechtert werden darf - in §§ 404, 412 BGB bestimmt, dass dem Schuldner die bestehenden Gegenrechte gegenüber dem Zessionar erhalten bleiben. Davon hat der Gesetzgeber für den Forderungsübergang nach § 116 SGB X keine Ausnahme vorgesehen. Den Gerichten ist es daher verwehrt, die Gesetzesanwendung nach dem Schutzbedürfnis der Sozialversicherungsträger auszurichten, selbst wenn sie dieses Schutzbedürfnis höher bewerten wollten als den Schutz des Schuldners (vgl. BGH, Urt. v. 4.10.1983 - VI ZR 194/81, VersR 1984, 136, 137 zu § 1542 RVO). Da die Beklagten gem. § 214 BGB berechtigt sind, die Leistung zu verweigern, ist der Feststellungsantrag der Klägerin unbegründet.
Rz. 22
2. Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Da für eine abschließende Entscheidung keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG insgesamt zurückweisen.
Rz. 23
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 565, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2991526 |
NJW 2012, 3639 |
EBE/BGH 2012 |
DAR 2013, 310 |
MDR 2012, 840 |
NZS 2012, 752 |
NZV 2012, 4 |
NZV 2012, 577 |
VRS 2012, 167 |
VersR 2012, 924 |
ZfSH/SGB 2012, 601 |
GesR 2012, 475 |
NJW-Spezial 2012, 394 |
r+s 2012, 414 |