Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bildung von Rückstellungen für Altersfreizeit liegt – soweit ersichtlich – nicht vor (s. a. Prinz, StuB 2022, S. 13). Das FG Niedersachsen lehnte die Bildung einer Rückstellung für Altersfreizeit ab, da es sich weder um drohende Verluste aus einem schwebenden Geschäft noch um ungewisse Verbindlichkeiten handle (vgl. FG Niedersachsen, Urteil v. 15.10.1987, VI 59/85, DB 1988, S. 1976). Allerdings wurde die Altersfreizeit im Urteilssachverhalt zur unmittelbaren Inanspruchnahme im Rahmen des jährlichen Regenerationsurlaubs gewährt.
Im Fallbeispiel geht es hingegen darum, dass einem Mitarbeiter in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit eine bezahlte Freizeit zum vorgezogenen Eintritt in den Ruhestand gewährt wird. Im Rahmen des jährlichen Regenerationsurlaubs darf diese Freizeit gerade nicht genommen werden.
Mit dem Abschluss der tarifvertraglichen Vereinbarung hat B im Fallbeispiel einen Rechtsanspruch auf die Gewährung von Altersfreizeit. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich bereits einen Anspruch in Höhe von 19 Wochen erdient und der Arbeitgeber ist insoweit in einen Erfüllungsrückstand geraten, für den eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. HGB zu passivieren ist (dagegen entstand im Urteilssachverhalt des FG Niedersachsen kein Erfüllungsrückstand). Mit jedem weiteren Jahr der Betriebszugehörigkeit erhöht sich der Anspruch des Mitarbeiters bzw. der Erfüllungsrückstand des Arbeitgebers, sodass die Rückstellung zu jedem Abschlussstichtag entsprechend erhöht werden muss. D. h.: Die Rückstellung ist während der Beschäftigungsdauer bis zur Inanspruchnahme der Altersfreizeit ratierlich anzusammeln. Eine eventuelle Fluktuation in der Belegschaft ist bei der Bewertung der Rückstellung zu berücksichtigen (s. hierzu IDW Life 2021, S. 1123).
Das BMF erkennt jedoch einen Erfüllungsrückstand und somit die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten steuerlich regelmäßig nur dann an, wenn mit der Freistellung eine konkrete Vorleistung des Arbeitnehmers (z. B. Überstunden) ausgeglichen wird.
Aufgrund der im Fallbeispiel genannten jährlichen Vergütung von TEUR 110 entspricht ein Arbeitstag (Annahme: 220 Arbeitstage/Jahr) einem Wert von TEUR 0,5; eine Arbeitswoche (Annahme: 5 Arbeitstage/Woche) einem Wert von TEUR 2,5. Entsprechend der Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren am Jahresabschlussstichtag ist mithin im Jahresabschluss zum 31.12.2022 eine Rückstellung in Höhe von TEUR 2,5 x 20 = TEUR 50 zu passivieren. Unter Vernachlässigung der Verzinsung und der Fluktuation erhöht sich die Rückstellung bis zum 31.12.2028 auf TEUR 2,5 x 26 = TEUR 65.
Eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB 2. Alt. scheidet aus, da für Arbeitsverhältnisse grundsätzlich die Vermutung der Ausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung gilt (s. hierzu Beck'scher Bilanz-Kommentar, 13. Auflage, § 249 HGB Anm. 130 "Arbeitnehmer") und diese – bei einer absatzmarktorientierten Bewertung des Anspruchs auf die Arbeitsleistungen (IDW RS HFA 4) – nicht substanziiert widerlegt werden kann.
Literaturtipps
IDW, Die fachliche Frage – Wie sind Zusagen auf Gewährung sog. Altersfreizeit im handelsrechtlichen Jahresabschluss abzubilden?, IDW Life 2021, S. 1122 f.
Prinz, Rückstellungen für Altersfreizeit – Ein neu entdecktes "Altphänomen", StuB 2022, S. 11