Rz. 45a
Der Lagebericht als Instrument zur zielgerichteten Beeinflussung von Adressaten ist bei vielen Unternehmen noch wenig erkannt, obwohl der Gesetzgeber in den letzten Jahren diesen Teil der Rechnungslegung immer weiter ausgebaut hat. Wichtig ist hier, dass der Bericht aus der (subjektiven) Sicht der Geschäftsführung zu verfassen ist, was eigene Wertungen explizit verlangt, das Vorsichtsprinzip aufgehoben ist, d. h. Risiken und Chancen sind gleich gewichtet zu zeigen, und die Berichtsinhalte vergleichsweise frei zu gestalten sind. Dennoch ist der Lagebericht prüfungspflichtig, was aber die vielen Freiräume nur etwas einengt. Daher bietet sich dieses Instrument gerade in der Krise zur Kommunikation mit den Adressaten an, da hier etwa schwebende Gewinne betont werden können oder auch auf andere (ggf. ablenkende) Aspekte eingegangen werden kann, etwa technologische Entwicklungen oder Digitalisierungsideen.
Mit der zwar noch ausstehenden, dennoch wohl rückwirkend geltenden Erweiterung des Lageberichts um eine Nachhaltigkeitserklärung unter Beachtung der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) ab dem Geschäftsjahr 2024 für bereits nach §§ 289b bzw. 315b HGB verpflichtete Unternehmen bzw. ab 2025 für alle großen Kapital- und denen über § 264a HGB gleichgestellten Personengesellschaften und konzernrechnungslegungspflichtigen Mutterunternehmen werden sehr viele Unternehmen den Lagebericht deutlich erweitern müssen um zahlreiche wesentliche Umwelt-, Sozial- und Governanceaspekte. Dabei wurde in der bisherigen Diskussion die Frage nach der Möglichkeit einer zielorientierten Darstellung in Anlehnung an eine Rechnungslegungspolitik des Abschlusses kaum behandelt. Hier changiert der erste Reflex zwischen Gefahr des verbotenen Greenwashings auf der einen und gewissen Gestaltungsmöglichkeiten auf der anderen Seite, schließlich hat die EU zahlreiche Wahlrechte und Übergangserleichterungen festgelegt und eröffnet erhebliche Einschätzungs- und Ermessensspielräume. Allerdings ist davon auszugehen, dass die vielen Wahlrechte und Einschätzungsspielräume eher wie nach den IFRS immer vor dem Hintergrund der geforderten tatsachengemäßen Abbildung auszulegen ist. Auch diese können künftig in der Unternehmenskrise genutzt werden, da andere Aspekte als die üblichen finanziellen Größen in den Mittelpunkt der Berichterstattung gerückt werden können.
Ohne auf die Details einzugehen, können aus der bestehenden Rechnungslegung, auch wenn es keine wirklich großen Spielräume gibt, verschiedene Handlungsoptionen abgeleitet werden, die Unternehmen für die Ausgestaltung der Rechnungslegungspolitik im Rahmen der Lageberichts-/Nachhaltigkeitsberichterstattung im Krisenfall bedenken sollten:
- So ist zunächst aus der allgemeinen Rechnungslegungspolitik abgeleitet zu klären, ob das Unternehmen eine transparente oder eine verschlossene Darstellung bieten möchte.
- Auch wäre denkbar, durch die Wahl treffender Basisjahre am Anfang tiefzustapeln, um später von (scheinbar) größeren Verbesserungen bei Governance-, Umwelt- und Sozialaspkten zu profitieren.
- Eine probate Vorgehensweise ist es auch, angabepflichtige kritische Informationen, auch etwa aus den Jahresabschluss in einer Masse unkritischer Informationen im Lagebericht zu verstecken.
- Eine Strategie kann es sein, im Vergleich zur Peergroup möglichst Vorläufer zu sein und damit selber auch Trends in bestimmten Bereichen zu setzen, um von anderen Problemen abzulenken.
- Bei der Berichterstattung ist zu klären, ob nur bestimmte Stakeholdererwartungen erfüllt (oder bevorzugt bedient) werden sollen. Auch kann mit den Erwartungen der Nutzer gespielt werden (für die insbesondere die Nachhaltigkeitserklärungen selber vielfach auch Neuland sind).
- Unternehmen könnten eher über globale Entwicklungen und Branchenentwicklungen als über das eigene Unternehmen berichten, was allerdings durch die detaillierten ESRS eingeengt ist.
- Die Möglichkeit der Freiheit im Lagebericht und auch des ESRS 1, unternehmensindividuelle Informationen zusätzlich zu den themenspezifischen Aspekten der ESRS zu ergänzen, können zu bestimmten Schwerpunktverschiebungen genutzt werden, um von anderen (unerfreulicheren) Aspekten abzulenken.
- Abzuwarten bleibt auch, ob der Trend zum Einbezug von externen Bestätigungen, etwa Zertifikaten, Mitgliedschaften in Arbeitskreisen oder Ratings, zur Steigerung der Glaubwürdigkeit anhalten oder durch die ESRS-Standardisierung eher überflüssig werden wird. Hier kann in der Krise mit dem Setzen derartiger Signale eine vermeintliche Stärke suggeriert werden.
- Es ist auch denkbar, dass einige Unternehmen die Berichterstattung über Strategien und Richtlinien betonen werden zulasten der konkreten Darstellung von Ergebnissen und Wirkungen.
- Beim Auswies ist zu entscheiden, ob eine intensive Verweisnutzung auf andere Berichtsteile erfolgen soll oder doch eine möglichst geschlossene Darstellung angestrebt wird.
Dies alles ist in einem Umfeld zu entscheiden, ...