Leitsatz
Hat die zuständige Gemeindebehörde eine bindende Entscheidung über die von ihr nach § 7h Abs. 1 EStG zu prüfenden Voraussetzungen getroffen, hat das FA diese im Besteuerungsverfahren ohne weitere Rechtmäßigkeitsprüfung zugrunde zu legen, es sei denn, die Bescheinigung wird förmlich zurückgenommen, widerrufen oder ist nach § 44 VwVfG nichtig und deshalb unwirksam.
Normenkette
§ 7h EStG, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, § 177 BauGB, § 44 VwVfG
Sachverhalt
Die Kläger, Eheleute, sind Eigentümer eines in einem Sanierungsgebiet belegenen Mehrfamilienhauses, welches sie sanierten. Obwohl die Voraussetzungen des § 177 BauGB nicht vorlagen, erwirkten die Kläger eine Bescheinigung der zuständigen Stadt über die Durchführung steuerlich begünstigter Maßnahmen. Dagegen remonstrierte das FA. Die Stadt hob ihre unrichtige Bescheinigung auf. Die dagegen gerichtete Klage der Eheleute führte zur Wiederherstellung der Bescheinigung. Das FG (Thüringer FG, Urteil vom 22.8.2017, 2 K 688/16, Haufe-Index 11348755, EFG 2017, 1506) verneinte dennoch die Bindungswirkung wegen Rechtsmissbrauchs.
Entscheidung
Auf die Revision der Kläger hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Über die Höhe der begünstigten Aufwendungen hatten sich die Kläger und das FA bereits bindend geeinigt.
Hinweis
1. Ein Grundlagenbescheid entfaltet Bindungswirkung nach § 182 AO, selbst wenn er rechtswidrig ist. Er muss nur wirksam sein. Ist der Bescheid nichtig, entsteht keine Bindungswirkung. An der Wirksamkeit fehlt es auch, wenn er (wirksam) zurückgenommen oder widerrufen worden ist.
2. Die Bescheinigung gemäß § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG über die Durchführung steuerlich begünstigter Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB ist ein (ressortfremder) Grundlagenbescheid. Er bindet die Finanzämter. Das ist mittlerweile in der Rechtsprechung des BFH geklärt und wird auch von der Finanzverwaltung akzeptiert.
3. Die Berufung auf einen rechtswidrigen, aber wirksamen Grundlagenbescheid ist nicht rechtsmissbräuchlich. Die Bindungswirkung ist vom Gesetz gewollt. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Steuerpflichtige mit der bescheinigenden Behörde bewusst und gewollt zum Nachteil des FA zusammengearbeitet hätte (kollusives Verhalten). Dafür müssen allerdings objektive Anhaltspunkte vorliegen. Der BFH konnte diese Fragen im Besprechungsfall mangels solcher Anhaltspunkte offenlassen.
4. Die Berufung auf einen rechtswidrigen, aber wirksamen Grundlagenbescheid ist auch kein Versuch der Steuerhinterziehung. Im Streitfall fehlten schon Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung erkannt hatten (Vorsatz); im Übrigen müsste aber wohl auch der objektive Tatbestand verneint werden, weil die Bindungswirkung die materielle Rechtslage beeinflusst.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.4.2018 – IX R 27/17