Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 2
Absatz 1 regelt zunächst, welche (natürlichen) Personen von den verfahrensrechtlichen Pflichten und Beschränkungen aus den §§ 97 bis 99 betroffen sind, wenn der Insolvenzschuldner keine natürliche Person ist (Satz 1 und 2). Diese Regelung ist also einschlägig bei juristischen Personen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Fall 2), nicht rechtsfähigen Vereinen (§ 11 Abs. 1 Satz 2) sowie bei Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit wie der OHG, KG, BGB-Gesellschaft, Partenreederei, Partnerschaftsgesellschaft und EWIV (§ 11 Abs. 2 Nr. 1), ferner bei Insolvenzverfahren über einen Nachlass und über das Gesamtgut einer fortgesetzten oder gemeinschaftlich verwalteten Gütergemeinschaft (§ 11 Abs. 2 Nr. 2).
Außerdem lässt Absatz 1 die von § 100 zugunsten eines Insolvenzschuldners, der eine natürliche Person ist, vorgesehene Wohltat einer möglichen Unterhaltsgewährung aus der Insolvenzmasse auch gewissen Gesellschaftern zuteil werden (Satz 3).
2.1 Auskunfts- und Mitwirkungspflicht aktiver Organmitglieder und Gesellschafter (Satz 1)
Rn 3
Absatz 1 Satz 1 erstreckt die einer natürlichen Person als Insolvenzschuldner obliegenden verfahrensrechtlichen Pflichten und Beschränkungen aus den §§ 97 bis 99 auf sämtliche aktiven Mitglieder des Vertretungs- und/oder Aufsichtsorgans einer juristischen Person sowie die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit. Betroffen sind also insbesondere die Mitglieder des Vorstands einer AG (§ 78 AktG), einer Genossenschaft (§ 24 GenG), eines rechtsfähigen oder eines (für das Insolvenzrecht diesem gleichgestellten, § 11 Abs. 1 Satz 2) nicht rechtsfähigen Vereins (§ 26 BGB) und einer Stiftung (§ 86 i.V.m. § 26 BGB), ferner die Geschäftsführer einer GmbH (§ 35 GmbHG) oder einer EWIV, schließlich – soweit nicht durch Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen – die Gesellschafter einer OHG (§§ 125, 128 HGB), einer Partnerschaftsgesellschaft (§§ 7 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 125 HGB, § 8 Abs. 1 PartGG), einer BGB-Gesellschaft (§§ 714, 709 BGB, § 128 HGB analog) und die Komplementäre (nicht die Kommanditisten bzw. Kommanditaktionäre) der KG (§ 161 Abs. 2 i.V.m. §§ 125, 128 HGB) und der KGaA (§ 278 Abs. 1 und 2 AktG i.V.m. § 161 Abs. 2, § 125 HGB). Bei einer aufgelösten juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, deren Vermögen aber noch nicht vollständig verteilt ist (zur Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens in diesem Fall siehe § 11 Abs. 3), sind die Abwickler/Liquidatoren die gesetzlichen Vertreter und daher Adressaten des § 101 Abs. 1 Satz 1 (vgl. nur § 269 Abs. 1 AktG, § 149 Satz 2 HGB). Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH & Co. KG unterliegen der oder die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, da die GmbH als vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafterin nur durch diese Personen handlungsfähig ist (vgl. auch § 15a Abs. 1 Satz 2).
Angesichts der Zulässigkeit von Insolvenzverfahren über einen Nachlass und über das Gesamtgut einer fortgesetzten oder einer von den Ehegatten gemeinschaftlich verwalteten Gütergemeinschaft (§ 11 Abs. 2 Nr. 2) müssen auch die Erben und der Ehegatte oder die Ehegatten als Adressaten des § 101 Abs. 1 Satz 1 angesehen werden.
Rn 4
Neue Wege im Vergleich zu der unter der KO maßgebenden Meinung beschreitet § 101 Abs. 1 Satz 1 mit der Inpflichtnahme auch der Mitglieder des Aufsichtsorgans des Schuldners. Obligatorisch sind Aufsichtsräte bei der AG (§§ 30, 95 AktG), bei der KGaA (§ 278 Abs. 3, § 287 AktG), bei der Genossenschaft (§ 9 Abs. 1 GenG) und beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (§ 35 VAG), ferner nach Mitbestimmungsrecht bei der GmbH im Falle der Überschreitung bestimmter Arbeitnehmerzahlen. Die Pflichten und Beschränkungen nach §§ 97 ff. treffen aber auch die Mitglieder eines Aufsichtsorgans, das eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Regelung freiwillig gebildet hat (fakultativer Aufsichtsrat, vgl. § 52 GmbHG). Im Vordergrund steht nämlich nicht eine formalistische Betrachtung der obligatorischen Gesellschaftsverfassung, sondern die Möglichkeit der Informationsgewinnung für die Akteure des Insolvenzverfahrens. Deshalb sollte man auch die Mitglieder eines "Beirats" einer AG oder GmbH nicht grundsätzlich mit den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verschonen. Zwar trifft es zu, dass "Beiräte" (auch) andere als Aufsichtsfunktionen haben können, z.B. Beratungsfunktionen. Aber daraus die generelle Unanwendbarkeit des § 101 Abs. 1 Satz 1 auf "Beiräte" zwecks Vermeidung von Rechtsunsicherheit hinsichtlich der auskunfts- und mitwirkungspflichtigen Personen zu folgern erscheint schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil sich eine der Rechtssicherheit abträgliche Einzelfallentscheidung bei der Anwendung des § 101 auch sonst nicht immer vermeiden lässt (siehe etwa zu Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 und Abs. 3 unten bei Rn. 14 und 20).
Die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten treffen auch faktische Organe, also Personen, die überhaupt nicht ode...