Rn 68
Schon vor Einfügung dieser Regelung wurde entsprechend der ursprünglichen Gesetzesbegründung die Auffassung vertreten, dass auch im Insolvenzeröffnungsverfahren nach der Generalklausel des § 21 Abs. 1 die Anordnung einer vorläufigen Postsperre zulässig sein dürfte. Gleichzeitig wurde wegen des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG auf die in diesem Zusammenhang entstehenden Bedenken im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot aufmerksam gemacht und angeregt, zur Erfüllung dieser verfassungsrechtlichen Anforderungen und Klarstellung im Wege der Gesetzesänderung eine entsprechende Verweisung in § 21 aufzunehmen. Dem hat der Gesetzgeber noch unmittelbar vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung durch das EGInsOÄndG Rechnung getragen. Dadurch wurde der beispielhafte Katalog der Sicherungsmaßnahmen des § 21 Abs. 2 um die jetzige Nr. 4 ergänzt, so dass nach dieser gesetzgeberischen Klarstellung kein Anlass mehr zu der erneut begonnenen verfassungsrechtlichen Diskussion über die Zulässigkeit einer vorläufigen Postsperre im Antragsverfahren besteht.
Der Anwendungsbereich der Norm erstreckt sich neben dem Regel- und Verbraucherinsolvenzverfahren auch auf das vorläufige Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren (§ 270b Abs. 2 Satz 3). Im Regelfall wird jedoch ein Wechsel in das Regelinsolvenzverfahren angezeigt sein, wenn die Voraussetzungen einer vorläufigen Postsperre vorliegen.
Rn 69
Die gesetzliche Regelung beschränkt sich nicht nur auf die Anordnung einer Postsperre gegen den Schuldner nach § 99, sondern erweitert diese Möglichkeit nach § 101 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich auch auf die Mitglieder entsprechender Vertretungs- oder Aufsichtsorgane sowie die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners, soweit dieser keine natürliche Person ist. Die Postsperre umfasst neben Postsendungen im engeren Sinne (Briefe, Pakete, Postkarten, Telegramme u. Ä.) auch Übermittlungen per Telefax und E-Mail. Eine Telefonsperre kann nicht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 gestützt werden, sie kann aber über die Generalklausel des Abs. 1 angeordnet werden (s.o. Rdn. 23). Bei Verwendung eines E-Mail-Providers im europäischen Ausland kommt eine Anerkennung der deutschen Postsperre gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO in Betracht.
Rn 70
Im Eröffnungsverfahren sind wegen des mit einer Postsperre verbundenen grundrechtsintensiven Eingriffs beim Schuldner vor allem die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dies stellt schon der Wortlaut des § 99 Abs. 1 klar, wonach vor jeder Anordnung einer Postsperre die dort geregelte Erforderlichkeitsprüfung vorzunehmen ist. Auch bei einer vorläufigen Postsperre verbietet sich eine automatische Anordnung durch das Insolvenzgericht. Vielmehr müssen nach einer Einzelfallprüfung auch in diesem Verfahrensabschnitt konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass durch das Verhalten des Schuldners wesentliche Belange der Masse gefährdet sind und diesen bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vorrang vor dem Schutz des Briefgeheimnisses gebührt. Dabei muss zwischen der Gefährdung der Masse und der Nutzung der Kommunikationswege, die von der Postsperre umfasst sein sollen, ein Zusammenhang bestehen. Überzogene Anforderungen dürfen aber nicht gestellt werden, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts im Eröffnungsverfahren begrenzt sind. Indizien können unzureichende Angaben des Schuldners, die Erschwerung und Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter oder Anhaltspunkte für eine Verlagerung der Geschäftstätigkeit in eine neu gegründete Gesellschaft sein.
Rn 71
Ebenso wie im eröffneten Verfahren ist das Insolvenzgericht auch in diesem Verfahrensstadium nach § 99 Abs. 3 Satz 2 verpflichtet, laufend zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Postsperre noch vorliegen oder eine Aufhebung des Anordnungsbeschlusses nach vorheriger Anhörung des vorläufigen Insolvenzverwalters geboten ist. Dies ist Ausdruck des während des gesamten Eröffnungsverfahrens zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dieser ist jedoch nur mit Blick auf die konkrete Sicherungsmaßnahme zu beachten und nicht abhängig von der Kombination mit sonstigen Sicherungsmaßnahmen nach § 21. So verbietet es sich, die Unverhältnismäßigkeit bzw. mangelnde Erforderlichkeit einer vorläufigen Postsperre anzunehmen, nur weil sich das Gericht neben der Postsperre zur Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung in Verbindung mit einem bloßen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 entschlossen hat.
Rn 72
Die Anhörung des Betroffenen wird regelmäßig den Zweck der Anordnung gefährden, weil der obstruktive Schuldner bspw. durch den Einsatz von Empfangsmittlern die Sperre leicht umgehen kann. Auch hier ist nämlich ein Abfangen von Sendungen an Dritte unzulässig, selbst wenn diese mit dem Schuldner kollusiv zusammenwirken (s.o. Rdn. 13). Zum Schutz der ...