Rn 97
Die durch das Insolvenzgericht angeordneten vorläufigen Maßnahmen haben keine Auswirkung auf Verfügungen über sogenannte Finanzsicherheiten im Sinne von Art. 1 Abs. 4 der europäischen Richtlinie 2002/47/EG (im Weiteren: Finanzsicherheitenrichtlinie). Dabei kommen hauptsächlich Verfügungsbeschränkungen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder ähnliche Maßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 5, Abs. 1 in Betracht. Die entsprechende Ergänzung des § 21 Abs. 2 durch einen Satz 2 wurde eingefügt durch das Gesetz zur Umsetzung der Finanzsicherheitenrichtlinie. Diese dient der Förderung des freien Dienstleistungs- und Kapitalmarktes in der Europäischen Gemeinschaft und soll einen Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems innerhalb der Gemeinschaft leisten. Zu diesem Zweck werden sogenannte Finanzsicherheiten von bestimmen Vorschriften des nationalen Insolvenzrechts ausgenommen, soweit diese einer effektiven Verwertung der Sicherheit bzw. einer bankinternen Abrechnung innerhalb national und international etablierter Abrechnungssysteme entgegenstehen.
Zur näheren Definition der Finanzsicherheit wird auf die Vorschrift des § 1 Abs. 17 KWG verwiesen. Danach sind Finanzsicherheiten Barguthaben, Wertpapiere, Geldmarktinstrumente und sonstige Schuldscheindarlehen einschließlich jeglicher damit in Zusammenhang stehender Rechte oder Ansprüche, die als Sicherheit entweder in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts oder im Wege der Vollrechtsübertragung (z.B. Sicherungsübereignung bzw. Sicherungszession) aufgrund einer Vereinbarung zwischen Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber bereitgestellt werden. Zur Bestimmung des Kreises der erfassten Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber verweist § 1 Abs. 17 KWG wiederum auf Art. 1 Abs. 2 Buchstabe a) bis e) der Finanzsicherheitenrichtlinie. Danach beschränkt sich die Norm zunächst auf nationale und internationale Kredit- bzw. Finanzinstitute, d.h. nur auf den bankinternen Verkehr. Nach Art. 1 Abs. 2e) der Richtlinie werden die Vorschriften dann erweitert auf privatwirtschaftliche Unternehmen, soweit sie nicht als natürliche Personen, Einzelkaufleute oder Personengesellschaften die Sicherheit bestellt haben. Für diesen Personenkreis gilt die Finanzsicherheitenrichtlinie und damit der Begriff der Finanzsicherheit nach § 1 Abs. 17 KWG nur, wenn die betreffende Sicherheit von natürlichen Personen bzw. Personengesellschaften zur Besicherung von Verbindlichkeiten aus Verträgen oder der Vermittlung von Verträgen über die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten, Pensions-, Darlehens- sowie vergleichbaren Geschäften auf Finanzinstrumente oder Darlehen zur Finanzierung des Erwerbs von Finanzinstrumenten bestellt wird; vgl. § 1 Abs. 17 Satz 2 KWG.
Die Richtlinie bot die Möglichkeit, privatwirtschaftliche Unternehmen aus dem Anwendungsbereich der Finanzsicherheiten auszunehmen (sogenannte Opt-out-Klausel). Der Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, da er ansonsten Wettbewerbsnachteile für deutsche Finanzdienstleister fürchtete. Im Ergebnis hat die Umsetzung der Richtlinie in Abs. 2 dennoch praktisch keine Auswirkung auf das herkömmliche Kreditgeschäft. Die dort üblichen Kreditsicherheiten, Sicherungsübereignungen, Globalzessionen, Verfügungen über Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens, GmbH-Anteile, oder Aktien, werden nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst.
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Ebenso wenig behindern insolvenzgerichtliche Maßnahmen in Form von Verfügungsbeschränkungen die Wirksamkeit der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen, die in bankinterne Abrechnungs- und Zahlungssystemen im Sinne des § 1 Abs. 16 KWG eingebracht wurden. Der Schutz der Wirksamkeit von Abrechnungen in solchen Zahlungs- und Wertpapierliefersystemen sollte bereits durch die Richtlinie 98/26/EG vom 19.05.1998 sichergestellt werden. Diese sogenannte Finalitätsrichtlinie wurde mit Gesetz zur Änderung insolvenzrechtlicher und kreditwesenrechtlicher Vorschriften vom 08.12.1999 in deutsches Recht umgesetzt.
Nach der Überleitungsvorschrift in Art. 103b EGInsO ist die Ausnahmevorschrift in § 21 Abs. 2 Satz 2 auf alle Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 08.04.2004 eröffnet worden sind. In diesen Verfahren genießen Finanzsicherheiten, die unter die Definition des § 1 Abs. 17 KWG fallen sowohl im Antragsverfahren als auch im eröffneten Insolvenzverfahren erhebliche Privilegien gegenüber den Ansprüchen anderer Gläubiger, insbesondere im Bereich der Aufrechnung und Insolvenzanfechtung bzw. der Verwertung von Sicherheiten durch den Insolvenzverwalter; vgl. § 81 Abs. 3 Satz 2, § 96 Abs. 2, § 104, § 130 Abs. 1 Satz 2, § 166 Abs. 3 sowie § 223 Abs. 1 Satz 2 und § 340 Abs. 3.
Der mit Gesetz zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie vom 19.11.2010 eingefügte Satz 3 stellt zur Beseitigung von Zweifeln klar, dass auch noch nach einer gerichtlichen Anordnung einer vorläufigen Maßnahme am selben Tag ein Auftrag noch wirks...