Rn 38
Die Regelung des § 295 Abs. 1 Nr. 2 hat vor allem in Gläubigerkreisen zu heftigen Kontroversen geführt. Geregelt werden soll der zusätzliche Vermögenserwerb des Schuldners während der Wohlverhaltensperiode durch Erbschaft oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht (siehe § 1374 Abs. 2 BGB). Hierunter fallen Vermögenszuwächse aus gesetzlicher Erbfolge, Testament, Vermächtnis, Erbvertrag und auch aus einem Pflichtteilsanspruch.
Rn 39
Dabei handelt es sich um einen "Sonderfall". Deshalb betrifft die Regelung nicht einen derartigen Vermögenserwerb während des eröffneten Insolvenzverfahrens. Dieser fällt gemäß § 35 in vollem Umfang in die Insolvenzmasse. Ein Vermögenserwerb nach der Wohlverhaltensperiode fällt dem Schuldner in vollem Umfang zu.
Rn 40
Der Schuldner muss die Hälfte des Wertes des insoweit während der Wohlverhaltensperiode erlangten Vermögens an den Treuhänder abführen. Als Miterbe und Nacherbe wird der Schuldner zur Herausgabe der Hälfte des Wertes verpflichtet; als nicht befreiter Vorerbe (vgl. § 2136 BGB) nur so weit als er selbständig über den Gegenstand verfügen darf. Der Schuldner kann seine Verpflichtung nicht durch Herausgabe des Naturalanteils erfüllen, auch wenn er Mitglied einer Erbengemeinschaft ist. Wenn nur ein Naturalanteil vorliege, müsse er diesen versilbern und dem Treuhänder den Gegenwert in Geld auszahlen, weil mangels Gesetzesmaterialien dies aus dem Zusammenspiel von § 295 Abs. 1 Nr. 2 und den Vorschriften, welche die Aufgaben, Befugnisse und die Vergütung des Treuhänders regeln, folge. Zur Verwertung müsse dem Schuldner ausreichend Zeit gegeben werden, wenn er die Bemühungen nachvollziehbar darlegt und gegebenenfalls beweist.
Rn 41
Aus der Begründung zum RegE ist zu entnehmen, dass es unbillig sei, wenn der Schuldner Restschuldbefreiung erlangen könne, ohne dass er dieses neu hinzukommende Vermögen antasten müsse. Durch die Möglichkeit, die Hälfte des ererbten Vermögens behalten zu dürfen, solle der Schuldner motiviert werden, die Erbschaft anzunehmen und nicht auszuschlagen oder in anderer Art und Weise dafür zu sorgen, dass ihm das betreffende Vermögen nicht zufalle. Durch diese Lösung kommen die Insolvenzgläubiger wenigstens in den Genuss eines Teils dieses neu erlangten Vermögens. Falls der Schuldner aber, was von den Gläubigern immer wieder vermutet wird, mögliche Erblasser zu testamentarischen Verfügungen veranlasst, die ihn wenigstens während einer laufenden Wohlverhaltensperiode von einer Erbfolge ausschließen, ist es überhaupt fraglich, ob eine solche Veranlassung überhaupt für einen Gläubiger nachweisbar ist und ob dies überhaupt eine Obliegenheitspflichtverletzung darstellt.
Rn 42
Dasselbe kann für eine Ausschlagung gelten, insbesondere wenn die Gefahr einer weiteren Verschuldung bei Annahme besteht. Andererseits wollte der Gesetzgeber, wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergibt, gerade eine Ausschlagung durch den Schuldner unterbinden. § 83 Abs. 1 sieht aber ein höchstpersönliches Ausschlagungsrecht für den Schuldner im Insolvenzverfahren vor, das durch § 295 nicht ausdrücklich aufgehoben oder als Obliegenheitspflichtverletzung bezeichnet wird. Mit der Ausschlagung "erwirbt" der Schuldner kein Vermögen. Deshalb bleibt dem Schuldner das Recht der Ausschlagung.
Rn 43
Gemäß § 1994 Abs. 1 und 3 BGB hat der Schuldner eine sechswöchige bzw. sechsmonatige Überlegungszeit zur Annahme. Erfolgt die Erbschaft nur kurze Zeit vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder der Erteilung der Restschuldbefreiung, hat der Schuldner die Möglichkeit den Vermögenserwerb zeitlich zu verschieben. Die Folge ist, dass der Vermögenserwerb entweder nur zur Hälfte oder gar nicht an den Treuhänder bzw. an die Gläubiger abzuführen ist. Dies bleibt ohne Sanktion.
Rn 44
Fällt in den Nachlass ein vollständiger und intakter Familienbetrieb mit einer bestimmten Anzahl von sicheren Arbeitsplätzen u. a. auch für den Schuldner, bleibt fraglich, wie eine hälftige Herausgabe in der Praxis stattfinden soll, zumal der Treuhänder in der Wohlverhaltensperiode keinerlei Verwaltungsbefugnis hat. Der Schuldner könnte im Interesse des Erhalts des Betriebes und der Arbeitsplätze geradezu zu einer Ausschlagung zugunsten eines Dritten genötigt sein.
Rn 45
Der Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil gemäß § 2303 BGB stellt einen Ersatz für den gesetzlichen Erbanspruch dar, von dem er ausgeschlossen wurde. Es ist strittig, ob der Schuldner im Gegensatz zum angefallenen Erbe nach freier Entscheidung auch diesen "ausschlagen", d. h. nicht geltend machen dürfte. Es wird die Auffassung vertreten, dass es sich beim Pflichtteilsrecht um einen Ausfluss und den Ersatz des gesetzlichen Erbrechts handelt und dieses damit ebenso von § 295 Abs. 1 Nr. 2 erfasst wird, wie es auch unstreitig von § 1374 Abs. 2 BGB erfasst werde. Deshalb sei der Pflichtteilsanspruch als Erwerb anzusehen, den der Schuldner geltend machen kann. Andererseits besteht kein Anlass, dem Schuld...