Rn 159
Die Freigabe des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners bedeutet neben einer Enthaftung der Masse für die daraus resultierenden Verbindlichkeiten auch die Zuordnung der erwirtschafteten Vermögenswerte an den Schuldner. Sie wirkt ex nunc, d. h. nicht auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung oder die Kenntniserlangung des Verwalters zurück. Aufgrund der Regelung in Abs. 2 Satz 2 und den darin enthaltenen Verweis auf § 295 Abs. 2 gilt der Vermögensverzicht zugunsten des Schuldners allerdings nur eingeschränkt. Dem Schuldner obliegt insoweit eine – jährliche – Abführungspflicht an den Insolvenzverwalter. Durch diese Regelung soll eine Ungleichbehandlung von Selbstständigen gegenüber abhängig Beschäftigten vermieden werden. Im Ergebnis ist diese Regelung wenig praxistauglich, weil die Auslegung von § 295 Abs. 2 im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bedeutet und dem Schuldner ein weiter Ermessenspielraum zuzugestehen ist, welche Beträge er tatsächlich an den Insolvenzverwalter abzuführen hat. Berechnungsschwierigkeiten ergeben sich insbesondere aus dem Umstand, dass der Schuldner überhaupt ein angemessenes Dienstverhältnis – also eine seinem Berufs- und Bildungsstand entsprechende Anstellung – finden kann. Gerade bei älteren Schuldnern, die voraussichtlich auf dem Arbeitsmarkt keine Aussicht auf Anstellung hätten, läuft die Regelung meistens leer. Im Übrigen schränkt der BGH die Abführungspflicht des Schuldners insoweit ein, als dass er hierzu nur dann verpflichtet ist, wenn er aus der Tätigkeit tatsächlich Überschüsse in einem ausreichenden Umfang generiert. Der Verwalter kann die der Masse zustehenden Ansprüche klageweise beitreiben. Ein Verstoß des Schuldners gegen die Abführungspflicht begründet im Übrigen den Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 5.
Rn 160
Klärungsbedürftig war zunächst, ob durch die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters auch die Haftung der Masse für bestehende Dauerschuldverhältnisse endet. In diesem Zusammenhang wurde die Ansicht vertreten, dass die Freigabe nur die Tätigkeit, nicht jedoch die mit der Tätigkeit verbundenen Vertragsverhältnisse umfasst. Dies wird nach der heute herrschenden Ansicht sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung jedoch gerade nicht mehr vertreten. Sämtliche mit der Tätigkeit verbundenen Vertragsverhältnisse gehen demnach zu Recht und praxisgerecht mit der Freigabe in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners über.
Die Freigabe durch den Verwalter nach § 35 Abs. 2 Var. 2 erfasst indes nicht die für die Ausübung der Tätigkeit benötigten Gegenstände, wobei diese regelmäßig gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar sind und daher gem. § 36 nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Relevanz entfaltet dies insbesondere dann, wenn der Schuldner nach erfolgter Freigabe seine selbständige Tätigkeit einstellt: Der Pfändungsschutz für die für die Tätigkeit benötigten Gegenstände entfällt mit der Betriebsaufgabe, so dass diese vom Verwalter verwertet werden können.
Auch der Schutz des insolventen Schuldners über § 12 GewO entfällt. Dies jedoch nur im Hinblick auf Tatsachen, die nach der Freigabe eine Unzuverlässigkeit begründen. Eine systemwidrige Durchbrechung erfährt der mit dem Insolvenzverfahren verbundene Grundsatz des Kapitalschnitts – wie häufig – im Steuerrecht: Nach Ansicht des BFH ist der Fiskus im Fall der Freigabe berechtigt, gegen Steuererstattungsansprüche des Schuldners mit vor Verfahrenseröffnung begründeten Insolvenzforderungen aufzurechnen.
Sollte der Schuldner im Rahmen der freigegebenen Tätigkeit wiederum Verbindlichkeiten begründen, die er nicht ausgleichen kann, besteht schließlich für jeden Neugläubiger bei Vorliegen der Voraussetzungen die Möglichkeit, auch während des laufenden Insolvenzverfahrens ein Zweitinsolvenzverfahren zu beantragen. Dem Problem, dass mit der Freigabe nach § 35 Abs. 2 Var. 2 nach Ansicht des BGH auch Sicherheiten in Form einer Forderungsabtretung (Globalzessionen) betreffend den Neuerwerb wieder aufleben, kann der Schuldner mit einem Pfändungsschutzantrag nach § 850 i ZPO entgegnen.