Rn 164
Die Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 kann durch Beschluss des Insolvenzgerichts nachträglich aufgehoben werden. Das Insolvenzgericht wird dabei allerdings nur auf Antrag des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung tätig. Das Gesetz enthält keine Vorgaben, ob der Antrag der Gläubigerorgane ausreichend begründet werden muss. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen wird das jeweilige Gläubigerorgan sein Rechtsschutzinteresse an einer Anordnung der Unwirksamkeit der Freigabe jedoch entsprechend zu begründen haben. Fehlt es an einem solchen Rechtsschutzinteresse und liegt ein offenkundiger Rechtsmissbrauch vor, so wird das Insolvenzgericht von einer positiven Bescheidung des Antrags Abstand nehmen können. Die Möglichkeit hierzu bietet § 78, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Verwalter noch in dem Termin den Aufhebungsantrag zu stellen hat.
Rn 165
Die Entscheidung des Insolvenzgerichts ist nicht rechtsmittelfähig. Insofern sieht das Gesetz für den Fall der Anordnung der Unwirksamkeit der Freigabe auch keine Anhörungsrechte des Schuldners oder des Insolvenzverwalters vor. Fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob eine bereits erfolgte Anordnung der Unwirksamkeit für die gesamte Dauer des Insolvenzverfahrens fortwirkt und den Insolvenzverwalter insoweit bindet, keine entsprechenden Freigabeerklärungen mehr abgeben zu dürfen. In der Tat erscheint es wenig sachgerecht, wenn der Insolvenzverwalter als Vertreter der Gläubigerinteressen die Möglichkeit hätte, sich nach Belieben und eigenmächtig über die Wünsche der Gläubigerorgane hinwegsetzen zu können. Formell kann er jedoch jederzeit eine erneute Freigabe erklären. Zu beachten ist allerdings dann, dass der Insolvenzverwalter auch nicht mehr nach § 61 in Haftung genommen werden kann, wenn die von ihm erklärte Freigabe vom Insolvenzgericht auf Veranlassung der Gläubigerorgane aufgehoben wird. Die Gläubiger müssen sich insoweit das Verhalten ihrer Organe zurechnen lassen, wenn es infolge deren Antrags zu einer erneuten Belastung der Masse mit Verbindlichkeiten aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners kommt, wodurch die Quotenaussichten reduziert werden.
Rn 166
Die Anordnung der Unwirksamkeit der Freigabe führt dazu, dass die in § 55 Abs. 1 Nr. 1 normierten Rechtsfolgen wieder einsetzen. Der Masse stehen daher wieder die Einkünfte des Schuldners aus der selbstständigen Tätigkeit zu. Zugleich haftet die Masse aber auch wieder für die im Rahmen der Selbstständigkeit begründeten Verbindlichkeiten. Die Rechtsfolgen der Anordnung der Freigabe treten mit der Verkündung des Beschlusses durch das Insolvenzgericht – mit ex-nunc Wirkung – ein und nicht erst dann, wenn die Anordnung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 öffentlich bekannt gemacht worden ist. Da die Rechtsfolgen der Freigabe bereits mit Zugang der Freigabeerklärung an den Schuldner eintreten und die öffentliche Bekanntmachung insoweit gerade nicht konstitutiv wirkt, kann für die Anordnung der Unwirksamkeit als actus contrarius der Freigabe letztendlich nichts anderes gelten. Abzulehnen ist eine Rückwirkung der Anordnung der Unwirksamkeit auf den Stichtag des Zugangs der ursprünglichen Freigabeerklärung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters beim Schuldner. Mit der unbedingten Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters (siehe oben Rn. 157) und der sich daran anschließenden öffentlichen Bekanntmachung wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit für den Geschäftsverkehr und insbesondere die Neugläubiger herstellen. Diese Rechtssicherheit wäre nicht zu gewährleisten, wenn damit gerechnet werden muss, dass die ursprünglich erteilte Freigabe durch Anordnung des Insolvenzgerichts mit ex tunc-Wirkung wieder aufgehoben werden kann.
Rn 167
Die Praxisrelevanz der nachträglichen Aufhebung der Freigabe durch das Insolvenzgericht dürfte eher eine untergeordnete Rolle spielen. Im Gesetz nicht näher geregelt ist die Frage, auf welcher Grundlage die Gläubigerversammlung bzw. der Gläubigerausschuss im Regelfall überhaupt ihre Entscheidung treffen sollen, wenn die Freigabe nach dem Berichtstermin erfolgt. Im Berichtstermin informiert der Insolvenzverwalter die Gläubiger nach § 156 über die wirtschaftliche Lage des Schuldners. Hier hätte der Insolvenzverwalter die Gläubigerversammlung auch hinsichtlich einer etwaigen Freigabe aufzuklären und die Beweggründe dafür mitzuteilen. Später nimmt die Gläubigerversammlung aber so gut wie nicht mehr am Verfahren teil. Der Insolvenzverwalter unterliegt nach § 58 Abs. 1 Satz 1 allein der Aufsicht des Insolvenzgerichts. Nur dem Insolvenzgericht gegenüber obliegt es dem Insolvenzverwalter daher, in regelmäßigen Abständen über den Verfahrensfortgang zu berichten. Ob sich einzelne Gläubiger die Mühe machen werden, beim Insolvenzgericht in regelmäßigen Abständen die Zwischenberichte anzufordern muss insoweit bezweifelt werden. Die Gläubigerversammlung müsste also bereits im Berichtstermin einen Antrag auf Anordnung der Unwirksamkeit de...