Rn 10

Wie oben dargestellt, ist zu differenzieren zwischen "originären" Masseverbindlichkeiten aus dem Insolvenzverfahren und "fiktiven" Masseverbindlichkeiten aus dem Eröffnungsverfahren. Originäre Masseverbindlichkeiten entstehen erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Abs. 1 unterscheidet Masseverbindlichkeiten, die vom Insolvenzverwalter rechtsgeschäftlich oder tatsächlich begründet werden (durch Handlungen des Insolvenzverwalters[26] und Erfüllungswahl[27]), und Masseverbindlichkeiten, die ohne Handlung des Insolvenzverwalters als Masseverbindlichkeit entstehen (durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse[28], als aufgedrängte Masseverbindlichkeit[29] und als ungerechtfertigte Bereicherung[30]).

[26] Abs. 1 Nr. 1 Var. 1.
[27] Nr. 2 Var. 1.
[28] Abs. 1 Nr. 1 Var. 2.
[29] Abs. 1 Nr. 2 Var. 2.
[30] Abs. 1 Nr. 3.

2.1 Begründung durch den Insolvenzverwalter (Abs. 1 Nr. 1)

 

Rn 11

Originäre Masseverbindlichkeiten können zunächst durch ein Handeln, also ein aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen des Insolvenzverwalters begründet werden.

2.1.1 Handlungen des Insolvenzverwalters (Abs. 1 Nr. 1 Var. 1)

 

Rn 12

Handlungen des Insolvenzverwalters im Sinne des Abs. 1 sind alle rechtsgeschäftlichen und nicht rechtsgeschäftlichen Handlungen oder echte Unterlassungen[31] des Insolvenzverwalters im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse[32].[33] Keine Handlung in diesem Sinne ist die bloße Inbesitznahme von Gegenständen der Insolvenzmasse. Masseverbindlichkeiten entstehen nicht, wenn die Handlung des Insolvenzverwalters lediglich eine Maßnahme der Abwicklung von Insolvenzforderungen darstellt, wie z. B. bei dem Widerruf von Bezugsrechten einer Lebensversicherung (§ 35 Rn. 36) oder bei der Einziehung des Rückkaufswertes einer Direktversicherung.[34] Es werden nur neue, vom Insolvenzverwalter begründete Rechtsbeziehungen erfasst.[35] In zeitlicher Hinsicht muss die Masseverbindlichkeit vollständig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sein; auf den (ggf. späteren) Zeitpunkt der Entstehung der Verbindlichkeit kommt es nicht an.[36]

 

Rn 13

Offensichtlich insolvenzzweckwidrige Handlungen des Verwalters begründen nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht keine Masseverbindlichkeiten.[37]

[31] Es muss sich um eine originäre Unterlassungspflicht der Insolvenzmasse bzw. des Verwalters handeln, d. h. den Verwalter muss eine Pflicht zum Handeln treffen. FK-Bornemann, § 55 Rn. 4.
[32] Siehe unten, Rn. 13, 18.
[33] Begr. zu § 64 RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 126.
[34] BAG NZA 2011,260, 261.
[35] BAG GrSen NJW 1979, 774, 778 [BAG 13.12.1978 - GS 1/77]; BVerfG ZIP 1984, 78, 81.
[36] BT-Drs. 12/2443, S. 126.
[37] BGH ZIP 2002, 1093 [BGH 25.04.2002 - IX ZR 313/99]; Gehrlein, WM 2014, 485, 493 f.

2.1.1.1 Rechtsgeschäftliche Handlungen

 

Rn 14

Der Insolvenzverwalter kann zur Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse Rechtsgeschäfte mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse schließen. Typischerweise sind das Verträge über die Inventarisierung, Bewertung, Bewachung und Transport der Massegegenstände, Verpflichtungen aus Verwertungsverkäufen des Insolvenzverwalters, Zukäufe, Aufnahme von Massedarlehen sowie der Abschluss von sonstigen Dienst- oder Werkverträgen. Davon abzugrenzen sind Rechtsgeschäfte, die die allgemeine Kanzleiführung des Insolvenzverwalters betreffen; diese Kosten sind nach § 4 Abs. 1 Satz 2 InsW bereits mit der Verwaltervergütung abgegolten. Auch Verbindlichkeiten aus Prozesshandlungen des Insolvenzverwalters sind Masseverbindlichkeiten nach Abs. 1 Nr. 1.[38]

 

Rn 15

Der Insolvenzverwalter muss Rechtsgeschäfte mit Wirkung gegen die Insolvenzmasse nicht höchstpersönlich abschließen. Auch der Insolvenzschuldner oder seine fortbeschäftigten Arbeitnehmer können im Wege der Stellvertretung nach den Grundsätzen des unternehmensbezogenen Geschäfts wirksam Masseverbindlichkeiten begründen.[39]

 

Rn 16

Masseverbindlichkeiten sind nicht nur die unmittelbaren Erfüllungsansprüche der Insolvenzmasse, sondern auch die sekundären Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche, die mit dem Vertragsschluss einhergehen.[40] Andernfalls würde der Insolvenzverwalter kaum taugliche Vertragspartner finden und Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse wären deutlich erschwert. Verschulden des Insolvenzverwalters wird der Insolvenzmasse analog § 31 BGB und Verschulden von Erfüllungsgehilfen des Insolvenzverwalters analog § 278 BGB zugerechnet.[41]

[38] Siehe im Einzelnen: Jaeger-Henckel, § 55 Rn. 21 ff.
[41] Fachanwaltskommentar-Homann, § 55 Rn. 5.

2.1.1.2 Nicht rechtsgeschäftliche Handlungen und Unterlassungen

 

Rn 17

Zum Schutz des Rechtsverkehrs mit dem Insolvenzverwalter können Masseverbindlichkeiten nicht nur durch rechtsgeschäftliche Handlungen des Insolvenzverwalters, sondern auch durch nicht rechtsgeschäftliche Handlungen und echtes Unterlassen des Insolvenzverwalters begründet werden. Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters steht einem aktiven Tun nur dann gleich, wenn ihn eine Rechtspflicht zum Handeln trifft.[42]

 

Rn 18

Deliktische Handlungen des Insolvenzverwalters führ...

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