Rn 35
Dogmatisch anders zu behandeln sind die sog. aufgedrängten Masseverbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, von deren Erfüllung der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse nicht nach § 103, 105 befreien kann. Insbesondere bei bestimmten Dauerschuldverhältnissen (§§ 108 ff.) wie Verträgen über Miete oder Pacht von Immobilien, Dienstverträgen und Darlehensverträgen kann der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung nicht ohne Weiteres ablehnen, sondern muss die Gegenleistungen kraft Gesetzes als Masseverbindlichkeit aus der Insolvenzmasse erfüllen. Der Begriff "aufgedrängte Masseverbindlichkeiten" ist missverständlich, da auch unmittelbare gesetzliche Verpflichtungen "durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung" (Abs. 1 Nr. 1 Var. 2) "aufgedrängt" sind im Wortsinne. Nach der üblichen Terminologie sind "aufgedrängt" jedoch nur Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner abgeschlossen waren. Es geht also begrifflich nur um vom Schuldner aufgedrängte Masseverbindlichkeiten.
Rn 36
Die dogmatische Begründung dieser Masseverbindlichkeiten ist uneinheitlich; die Aufwertung zu Masseverbindlichkeiten dient bei der Insolvenz des Vermieters oder Verpächters und bei Dienst- und Darlehensverträgen im Wesentlichen dem Schutz des Vertragspartners. Bei der Insolvenz des Mieters oder Pächters soll dem Insolvenzverwalter die Verfahrensabwicklung erleichtert werden. Ohne diese Regelung müsste der Insolvenzverwalter (im Verfahren über das Vermögen des Mieters) sofort nach Verfahrenseröffnung entscheiden, ob er den Miet-/Pachtvertrag bis zum Ende der Vertragslaufzeit erfüllt oder das Besitzrecht zeitnah verliert. Beides würde die Verfahrensabwicklung erheblich erschweren, so dass § 109 insoweit einen Mittelweg findet, der auch den Interessen des Vermieters/Verpächters entgegenkommt.
Rn 37
Die Abgrenzung von einzelnen Forderungen aus einem Vertrag als Masseverbindlichkeit oder als Insolvenzforderung richtet sich auch bei aufgedrängten Masseverbindlichkeiten nach dem Zeitpunkt ihrer Begründung (§ 38). Es kommt nicht darauf an, ob der Insolvenzmasse ein wirtschaftlicher Vorteil zufließt.
2.4.1 Miet- oder Pachtverträge über Immobilien
Rn 38
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 bestehen Miet- oder Pachtverhältnisse über unbewegliche Sachen oder Räume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort und begründen daher Masseverbindlichkeiten. Der Insolvenzverwalter kann die Erfüllung nicht ablehnen nach § 103 und damit das Entstehen von Masseverbindlichkeiten nicht verhindern. Der Insolvenzverwalter hat bei Anmietung oder Anpachtung ein Sonderkündigungsrecht nach § 109 Abs. 1 Halbs. 1.
Rn 39
Die Hauptpflichten eines Miet- oder Pachtvertrages sind leicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzugrenzen. Die vereinbarte Miete (bei Insolvenz des Mieters) bzw. die Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung (bei Insolvenz des Vermieters) sind für die Zeiträume ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten.
Rn 40
Der Anspruch auf Rückgabe der Miet- oder Pachtsache ist ein Aussonderungsanspruch und keine Masseverbindlichkeit. Ein Herausgabeanspruch besteht nicht, wenn der Insolvenzverwalter die Wohnung nicht in Besitz genommen hat oder sonst daran kein Recht für die Masse beansprucht. Bei sonstigen Forderungen aus dem Miet- oder Pachtverhältnis wird nach dem Zeitpunkt der jeweiligen Begründung differenziert. Die Verpflichtung zur Räumung oder zum Rückbau von Einbauten wird zwar erst mit Rückgabe des Miet- oder Pachtobjektes fällig; der Anspruch wurde jedoch bereits zum Zeitpunkt des Einbaus bzw. der Verbringung der Gegenstände in das Miet- oder Pachtobjekt begründet. Daher handelt es sich bei Räumungs- und Rückbauverpflichtungen in der Regel um Insolvenzforderungen. Nur wenn Gegenstände erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Miet- oder Pachtobjekt verbracht wurden, handelt es sich bei der entsprechenden Räumungsverpflichtung um eine Masseverbindlichkeit.
Rn 41
Bei Insolvenz des Vermieters schuldet der Vermieter laufend die Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diese Verpflichtung trifft den Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit unabhängig von dem Zeitpunkt des Eintritts des Mangels. Die Beseitigung eines Reparaturstaus kann allerdings schnell zu unverhältnismäßig hohem Aufwand führen, dem keine adäquaten Vorteile der Insolvenzmasse gegenüberstehen. Forderungen des Insolvenzschuldners als Vermieter können nicht mit Insolvenzforderungen des Mieters aufgerechnet werden.
Rn 42
Bei laufend entstehenden Verpflichtungen des Mieters wie der Pflicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen nach dem Grad der ...