Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
2.1 Leistung an den Insolvenzschuldner statt in die Insolvenzmasse
Rn 4
§ 82 betrifft nur Ansprüche des Insolvenzschuldners, die in die Insolvenzmasse gefallen sind, denn nur sie sind wegen des Verwaltungs- und Verfügungsrechts des Verwalters (§ 80) "zur Insolvenzmasse zu erfüllen". Bei nicht zur Masse gehörenden Ansprüchen, also bei unpfändbaren Forderungen (§ 36 Abs. 1) und bei Forderungen, die der Insolvenzverwalter wirksam freigegeben hat, wird der Schuldner durch eine Leistung an den Insolvenzschuldner auch dann befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Verfahrenseröffnung kannte. Unerheblich für die Anwendbarkeit des § 82 ist es, ob der massezugehörige Anspruch dem Insolvenzschuldner bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zustand (§ 35 Abs. 1 Fall 1) oder ob der Insolvenzschuldner ihn erst während des Insolvenzverfahrens erworben hat (§ 35 Abs. 1 Fall 2) wie etwa einen auf die Zeit nach der Verfahrenseröffnung entfallenden Lohn- oder Gehaltsanspruch (soweit er nach §§ 850 ff. ZPO pfändbar ist). Inhaltlich können die von § 82 erfassten Ansprüche auf vermögenswerte Leistungen jeder Art gerichtet sein: Zahlung einer Geldsumme, Leistung anderer Sachen oder Rechte etc. Auch dingliche Ansprüche (z.B. aus § 985 BGB) fallen darunter, soweit nicht speziellere Gutglaubensvorschriften wie § 893 BGB den § 82 verdrängen (dazu oben in Rn. 3).
Rn 5
Die Leistung muss zur Erfüllung einer gegenüber dem Insolvenzschuldner bestehenden Verbindlichkeit erbracht worden sein. Maßgeblich ist der dem § 362 BGB zugrunde gelegte Leistungsbegriff. Danach liegt eine zur Erfüllung geeignete Leistung vor, wenn ihr Inhalt dem zugrunde liegenden und zu erfüllenden Schuldverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger entspricht. Befreiende Wirkung gegenüber der Insolvenzmasse nach § 82 hat eine Leistung an den Insolvenzschuldner nur, wenn sie inhaltlich dem zugrunde liegenden Anspruch des Insolvenzschuldners entspricht. Bei der Annahme einer anderen als der geschuldeten Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) und bei der Wahlschuld (§§ 262 ff. BGB) oder der Ersetzungsbefugnis mit Gläubigerwahlrecht bedarf es dagegen zum Erlöschen der Schuld der Zustimmung des Insolvenzverwalters (§§ 80 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 1), dies auch dann, wenn der geleistete Gegenstand in die Masse gelangt ist.
Rn 6
Im Schrifttum sehr verbreitet ist die Aussage, § 82 ergreife auch die Leistung an einen gesetzlichen oder bevollmächtigten Vertreter des Insolvenzschuldners. Sie verdient keinen Widerspruch. Wohl aber bedarf sie einer Klarstellung. Denn sie wird verschiedentlich dahin erläutert, wegen der Anwendbarkeit des § 82 sei auch die Leistung an den Vertreter des Insolvenzschuldners "unwirksam". Die "Unwirksamkeit" einer solchen Leistung, genauer: das Ausbleiben der Befreiungswirkung, folgt aber aus §§ 80, 81, nicht aus § 82 (s.o. bei Rn. 1). Die Frage ist vielmehr, ob sich aus § 82 ergibt, dass auch die Leistung an einen Vertreter des Insolvenzschuldners befreiende Wirkung haben kann. Sie wird selten ausdrücklich gestellt. Bei ihrer Bejahung mag irritieren, dass eine vor der Verfahrenseröffnung vom (späteren) Insolvenzschuldner erteilte Vollmacht nach § 117 Abs. 1 mit der Verfahrenseröffnung erlischt, ohne dass sich in diesem Zusammenhang Vorschriften zum Schutz eines gutgläubigen Geschäftspartners fänden. Da aber die Rechtsmacht, die jemand, z.B. als Bevollmächtigter, aus der Rechtsmacht des Insolvenzschuldners ableitet, schwerlich weiter reichen kann als die Rechtsmacht des Insolvenzschuldners selbst, enthält § 117 Abs. 1 nur eine Klarstellung der Rechtslage, die sich bereits aus §§ 80, 81 ergibt. Deshalb sollten Gutglaubensvorschriften, die bei einem Handeln gegenüber dem Insolvenzschuldner gelten, also z.B. § 82, auch bei einem Handeln gegenüber seinem Bevollmächtigten eingreifen. Es liegt nicht anders als in den Fällen, in denen der Insolvenzschuldner vor der Verfahrenseröffnung einen Dritten zum Empfang der ihm (dem Insolvenzschuldner) geschuldeten Leistung ermächtigt hatte (§ 362 Abs. 2 i.V.m. § 185 Abs. 1) oder in denen der Schuldner des späteren Insolvenzschuldners nach § 16 Nr. 6 VOB/B befugt war, statt an diesen an einen Dritten, vor allem einen Subunternehmer, befreiend zu leisten. Die Befugnis zur Leistung an einen Dritten erlischt wegen §§ 80, 81 mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Gleichwohl wird der Schuldner bei Leistung an den Dritten nach § 82 befreit, wenn er im Zeitpunkt der Leistung von der Verfahrenseröffnung keine Kenntnis hatte.
Eine Leistung an den Insolvenzschuldner persönlich statt in die Masse liegt auch dann vor, wenn jemand, der dem Insolvenzschuldner etwas schuldet, auf dessen Weisung den geschuldeten Gegenstand oder die geschuldete Summe einem Dritten zuwendet. Sehr streitig, zuweilen sogar zwischen ein und demselben Autor, ist es aber, ob § 82 auch dann anwendbar ist, der ohne Kenntnis von der Verfahrenseröffnung Leistende also auch dann befreit ist, wenn er auf eine erst nach der Verfahrenseröffnung erteilte Weisung des Insolvenzschul...