Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 9
Geschützt wird der Leistende bei Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung. Fahrlässige, selbst grob fahrlässige Unkenntnis schadet dem Leistenden nicht, ebenso wenig bloße Kenntnis von der Krise oder von einem anhängigen Eröffnungsantrag. Die Berufung auf die Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung kann dem Leistenden auch nicht mit der Begründung versagt werden, er hätte sich seit der bundesweit vorgeschriebenen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses im Internet statt in Printmedien (§ 9 Abs. 1 Satz 1 i. d. F. des Gesetzes vom 13.4.2007) leichter über eine Insolvenz informieren können. Der Gesetzgeber hat die Einführung der Internetpublizität nicht zum Anlass genommen, eine Obliegenheit zur Informationsbeschaffung einzuführen.
Bei Leistung durch einen Vertreter kommt es für die Befreiung grundsätzlich auf dessen Unkenntnis an (§ 166 Abs. 1 BGB). Dessen Unkenntnis reicht hierfür aber nicht aus, wenn er als bevollmächtigter Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt hat und dieser die Verfahrenseröffnung kannte (vgl. § 166 Abs. 2 BGB). Bei Gesamtvertretern schadet bereits die Kenntnis eines der Gesamtvertreter (Gedanke der §§ 26 Abs. 2 Satz 2 BGB, 125 Abs. 2 Satz 3 HGB). Für juristische Personen und ähnliche Organisationen (OHG, KG, GbR etc) bejaht der BGH eine Obliegenheit zur internen Informationsweiterleitung. Sie geht dahin, im Rahmen des Zumutbaren sicherzustellen, dass die der Organisation ordnungsgemäß, d.h. nicht nur als privates Wissen zugehenden rechtserheblichen Informationen unverzüglich an die entscheidenden Personen weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen werden. Daraus folgt z.B., dass eine GbR auch bei Unkenntnis des leistenden und einzelvertretungsberechtigten Gesellschafters von der Verfahrenseröffnung nicht immer befreit wird, nämlich dann nicht, wenn ein anderer, an der Leistungserbringung nicht beteiligter Gesellschafter die Verfahrenseröffnung kannte, dies aber seinem später leistenden Mitgesellschafter nicht mitgeteilt hat. Nicht befreit wird der Leistende bei Kenntnis der Verfahrenseröffnung und Unkenntnis nur von der Massezugehörigkeit des Anspruchs, auf den er geleistet hat.
Rn 10
Streitig ist, welcher Zeitpunkt für die Frage der Kenntnis oder Unkenntnis maßgeblich ist. Teils wird auf den Zeitpunkt der Leistungshandlung, teils auf den Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs, ganz überwiegend aber auf den Zeitpunkt abgestellt, bis zu dem der Leistende den Leistungserfolg noch verhindern, also z.B. einen erteilten Überweisungsauftrag noch erfolgreich widerrufen oder einen Scheck sperren kann. Zwar stellen die Gesetze für die Gutgläubigkeit grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erfolgseintritts ab (vgl. § 932 Abs. 1 Satz 1 BGB; Ausnahme zum Schutz vor besonderen Unwägbarkeiten eines amtlichen Verfahrens: § 892 Abs. 2 BGB). Anders entscheidet die ganz h.M. dort, wo es um den Schutz eines Schuldners vor einer ohne sein Zutun und sein Wissen eingetretenen Änderung seiner Rechtsposition geht, nämlich um die Abtretung der gegen ihn gerichteten Forderung: Bei § 407 Abs. 1 BGB soll es für den Schutz des Schuldners auf dessen Unkenntnis im Zeitpunkt der Leistungshandlung ankommen, und den Schuldner soll auch keine Obliegenheit treffen, bei nachträglicher Kenntniserlangung den Eintritt des Leistungserfolges, wenn möglich, noch durch aktives Handeln zu verhindern. Vor diesem Hintergrund überrascht es jedenfalls in der Begründung einigermaßen, dass derselbe (IX.) Zivilsenat des BGH nunmehr für § 82 eine Befreiung des Leistenden verneint, "wenn er zu einer Zeit, als er den Leistungserfolg noch zu verhindern vermochte, von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangt hat." Der BGH legt zunächst dar, die Gefahren, die dem Insolvenzverwalter (d. h. der Gläubigergesamtheit) bei einer nach § 82 befreienden Leistung drohen, seien erheblich geringer als die Gefahren, die dem Zessionar bei einer nach § 407 BGB befreienden Leistung drohen, und zieht aus dieser Prämisse die erstaunliche Folgerung, daher seien dem Leistenden bei § 82 weitergehende Obliegenheiten als nach § 407 BGB aufzuerlegen. Wenn man schon hinsichtlich der Voraussetzungen zwischen § 407 BGB und § 82 differenzieren will, müsste die Logik eigentlich umgekehrt lauten: Je gravierender die Auswirkungen eines Forderungsverlustes für den Betroffenen (den Zessionar bei § 407 BGB, die Gläubigergesamtheit bei § 82) sind, desto strenger müssen die Voraussetzungen für eine Befreiung des Leistenden sein. Richtiger erscheint es hinsichtlich des für die Kenntnis maßgeblichen Zeitpunkts keine Unterschiede zwischen § 407 BGB und § 82 zu konstruieren. Die abweichende Handhabung seitens des IX. Zivilsenats des BGH ist vermutlich von dem Bemühen getragen, sich weder von der ganz herrschenden Meinung im insolvenzrechtlichen Schrifttum zu § 82 noch von der früheren Entscheidung desselben Senats zu § 407 BGB distanzieren zu müssen.
Rn 11
Die Beweislast hinsichtlich der...