Neues Urteil zum Verjährungsbeginn
Nicht nur in Zeiten sinkender Zahlungsmoral versuchen immer wieder Schuldner, sich der Durchsetzung von offenen Forderungen (und wir sprechen hier noch nicht von der Vollstreckung, sondern zunächst von der Titulierung) zu entziehen. Von „gar keinen“ bis zu einem „flexiblen Briefkasten“ (sic. eines Gerichtsvollziehers, der beobachtet, dass der Briefkasten eines notorischen Schuldners immer nur dann hängt, wenn er genehme Post erwartet) scheinen der Fantasie keine Grenzen gesetzt; insbesondere wenn Post- und Meldeadresse auseinanderfallen. Einer Möglichkeit hat das OLG Brandenburg nun einen Riegel vorgeschoben: Solange (für den Gläubiger) unbekannt verziehen und abwarten, bis die Forderung verjährt ist.
Person des Schuldners umfasst auch aktuelle Anschrift
Nach Auffassung des OLG Brandenburg (Urteil v. 14.6.2023, 4 U 93/22) beginne die Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat. Hierzu bedürfe es nicht nur der Kenntnis des Namens des Schuldners, sondern auch der (zustellungsfähigen) Anschrift. Das Tatbestandsmerkmal der „Person des Schuldners“ erfasse deshalb nicht nur dessen Namen, sondern auch dessen aktuelle Anschrift. Verliere der Gläubiger seine Kenntnis von der aktuellen Anschrift des Schuldners, weil dieser zwischenzeitlich umzieht, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen, entfalle das Tatbestandsmerkmal der Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Maßgeblich sei insoweit die Kenntnis des Gläubigers von der „richtigen“ (= aktuellen) Adresse des Schuldners. Insbesondere verneinte das Gericht die grob fahrlässige Unkenntnis der Gläubigerin im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Hemmung der Verjährung oder kein Beginn
Dieses Urteil ist aus Sicht der Gläubiger zunächst zu begrüßen, da es die o. a. Masche bezüglich der Verjährung den Boden entzieht; insbesondere da die Hürden einer öffentlichen Zustellung sehr hoch sind und andere verjährungshemmende Maßnahmen nicht zur Verfügung stehen. Was es für die Praxis bedeutet, bleibt abzuwarten und wird mit weiteren Problemen verbunden sein. Im Fall des OLG handelte es sich um einen Rückgriff als Bürge, der in die Schweiz verzogen war, dessen Anspruch erst zu einem sehr spät entsteht und keine aktive Geschäftsbeziehung erforderte. Außerdem hatte die Gläubigerin schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Erlass eines Mahnbescheids beantragt und erst im Verfahren die Kenntnis erlangt, dass eine Zustellung an der Adresse nicht möglich war. Die Verjährung war deshalb (auch) gem. § 204 BGB gehemmt.
Ermittlungsaufwand des Gläubigers
Ungeklärt ist deshalb die Frage, ob es ausreichend ist, dass die (normale) Post mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurückkommt und der Gläubiger dann einfach abwarten darf, bis er (oder vorliegend das Gericht) eine neue Adresse des Schuldners hat? Oder muss er selbst aktiv werden? Wenn ja, mit welchem Aufwand? Reichen Einwohnermeldeamtsanfragen (in welchen zeitlichen Abständen?) aus, um nicht grob fahrlässige Unkenntnis der neuen Adresse zu haben? (Im Fall des OLG stellte sich später heraus, dass der Schuldner in die Schweiz gezogen war). Wer trägt die Beweislast der Nichtzustellung? Muss der Gläubiger trotzdem den Erlass eines Mahnbescheids beantragen, um später den Nachweis der Nichtzustellung führen zu können? Was ist, wenn der Schuldner später behauptet (oder gar nachweist), dass die Zustellung zu einem späteren Zeitpunkt möglich war?
Kein Zurücklehnen, sondern aktiv bleiben
Praxis-Tipp: Solange diese Fragen nicht geklärt sind, ist den Gläubigern davon abzuraten, sich zurückzulehnen und abzuwarten, bis der Schuldner irgendwann von selbst wieder auftaucht. Die Gläubiger sollten aktiv bleiben und alle Maßnahmen gut dokumentieren. Dann kann sich der Schuldner – der versucht durch einen oder mehrere Umzüge sich der Forderung zu entziehen – am Ende auch nicht auf die Verjährung berufen.
(OLG Brandenburg, Urteil v. 14.6.2023, 4 U 93/22)
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