Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 16
Bei Ausführung eines Überweisungsauftrags ("Zahlungsauftrag" in der Terminologie von § 675f Abs. 3 Satz 2 BGB i. d. F. des Gesetzes vom 29.7.2009) verfolgt die Bank ("Zahlungsdienstleister" nach §§ 675d Abs. 3, 675f Abs. 1, 2 BGB) in aller Regel einen Zuwendungszweck (solvendi causa, obligandi causa) gegenüber dem Überweisenden ("Zahler" nach § 675f Abs. 1 BGB). Die Zuwendung des Überweisungsbetrags an den Überweisungsempfänger ("Zahlungsempfänger" nach § 675f Abs. 1 BGB) ist also eine Leistung der Bank an den Überweisenden im Deckungsverhältnis. Für den Fall, dass ein Insolvenzverfahren gegen den Überweisenden eröffnet worden ist, enthalten §§ 115, 116 spezielle Regeln, die das Deckungsverhältnis zwischen dem Überweisenden und der Bank betreffen und hier die Anwendung des § 82 teils modifizieren, teils ergänzen.
Rn 17
Nach § 116 Satz 3 i. d. F. des Gesetzes vom 29.7.2009 besteht (u.a.) ein vor der Insolvenzeröffnung erteilter, d.h. der Bank vor diesem Zeitpunkt zugegangener (§ 675n Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB) Zahlungsauftrag mit Wirkung für die Masse fort. "Zahlungsauftrag" (§ 675 Abs. 3 Satz 2 BGB) ist eine (einseitige) Weisung (§ 675c Abs. 1 i.V.m. § 665 BGB), die der Überweisende in der Regel im Rahmen eines Girovertrages ("Zahlungsdiensterahmenvertrags" nach § 675f Abs. 2 BGB) seiner Bank erteilt. Deren Fortbestand für die Masse bedeutet: Bei einem kreditorischen Konto (= Guthaben des Kunden) wird die Bank im Fall der Ausführung des Überweisungsauftrags ohne Rücksicht auf § 82, also auch bei Kenntnis von der Verfahrenseröffnung, von ihrer Verbindlichkeit befreit. Bei einem debitorischen Konto (der Kunde steht im Soll bzw. gerät durch die Ausführung des Überweisungsauftrags ins Soll) führt die Ausführung eines mit Wirkung für die Masse fortbestehenden Überweisungsauftrags mangels einer zu tilgenden Kontoverbindlichkeit der Bank zu einem Aufwendungsersatzanspruch (§ 675c Abs. 1 i.V.m. § 670 BGB) der Bank, der Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 ist und mit dem die Bank folglich ohne Beschränkung durch §§ 94 – 96 gegen etwaige Forderungen der Masse gegen sie aufrechnen kann.
Führt die Bank einen ihr erst nach der Insolvenzeröffnung zugegangenen und daher nach §§ 80, 81 unwirksamen Überweisungsauftrag in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung aus, so ist wiederum zu unterscheiden: Bei einem kreditorischen Konto (= Guthaben des Kunden) wird die Bank nach § 82 von ihrer Verbindlichkeit befreit. Bei einem debitorischen Konto erlangt die Bank, wenn sie die Verfahrenseröffnung ohne Verschulden nicht kennt, trotz des Erlöschens des Girovertrages (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 1) einen Aufwendungsersatzanspruch, der aber nur eine Insolvenzforderung darstellt (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 3). Sie wird also so gestellt, als habe sie die Überweisung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen. Hat die Bank bei der Ausführung der Überweisung Kenntnis von der Verfahrenseröffnung, so wird sie weder nach § 82 noch nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 3 geschützt. Sie hat aber einen Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB gegen den Überweisungsempfänger. Im Fall der Ausführung in verschuldeter Unkenntnis wird die Bank zwar bei einem kreditorischen Konto von ihrer Verbindlichkeit befreit (§ 82), bei einem debitorischen Konto dagegen nicht nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 3 geschützt. Die strengeren subjektiven Anforderungen bei einer Überweisung ohne Kundenguthaben (unverschuldete Unkenntnis erforderlich) als bei einer Überweisung aus Kundenguthaben (auch verschuldete Unkenntnis ausreichend) erklären sich daraus, dass ein Kreditgeber mehr Anlass hat, die Vermögenslage seines Geschäftspartners zu überprüfen, als ein Schuldner, der nur seine Verbindlichkeit erfüllen will.
Rn 18
Einer Bank, die bei debitorischem Kundenkonto einen nachinsolvenzlichen Überweisungsauftrag in unverschuldeter Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung ausgeführt und dadurch einen Aufwendungsersatzanspruch als Insolvenzforderung erlangt hat (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 3), wird manchmal weniger an dieser Insolvenzforderung als an einem Bereicherungsanspruch gegen den Überweisungsempfänger gelegen sein, den sie hätte, wenn sie den Überweisungsauftrag in Kenntnis der Verfahrenseröffnung ausgeführt hätte oder wenn es den zu ihrem Schutz gedachten § 115 Abs. 3 nicht gäbe. Diesem Interesse der Bank ist Rechnung zu tragen. Denn es ist nicht einzusehen, dass sie bei unverschuldeter Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung u.U. schlechter gestellt werden soll als bei Kenntnis hiervon, und das durch eine Vorschrift, die ihrem Schutz dienen soll. Deshalb wird es ihr gestattet, auf den Vertrauensschutz zu verzichten und die Durchgriffskondiktion gegen den Überweisungsempfänger geltend zu machen. Das kann freilich nicht bedeuten, dass eine Bank, die zunächst ihren Aufwendungsersatzanspruch gegen den Überweisenden in dessen Insolvenzverfahren als Insolvenzforderung angeme...