Rn 1
Art. 3 regelt die internationale Zuständigkeit für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren derjenigen Gerichte oder sonstigen Stellen, die nach nationalem Recht befugt sind, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen oder in seinem Verlauf Entscheidungen zu treffen. Art. 3 bestimmt somit die internationale Zuständigkeit nicht nur für Eröffnungsentscheidungen, sondern auch für Entscheidungen, die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens i.S. von Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO ergehen und für Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen i.S. von Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO. Art. 3 hat einen abschließenden Charakter. Für die Bestimmung der innerstaatlichen Zuständigkeit (örtlichen Zuständigkeit) des betreffenden Mitgliedstaates ist allerdings ein Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht erforderlich, Erwägungsgrund 15 EuInsVO. Die Verordnung greift nur dann, wenn sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in einem Gemeinschaftsstaat befindet. Wenn hingegen der Mittelpunkt in einem Drittstaat lokalisiert ist, findet sie keine Anwendung; das jeweilige internationale Insolvenzrecht ist anzuwenden (in Deutschland z.B. §§ 335 ff. InsO).
Rn 2
Aus deutscher Sicht weichen die Anknüpfungspunkte für die internationale und die örtliche Zuständigkeit voneinander ab (internationale Zuständigkeit gemäß Art. 3 EuInsVO: "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen"; örtliche Zuständigkeit: "Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners"; § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO). Art. 102 § 1 EGInsO ist für den Fall konzipiert, dass es aufgrund des Auseinanderfallens der internationalen und örtlichen Zuständigkeit zu einer Zuständigkeitslücke kommt. Entscheidend ist dann auch für die örtliche Zuständigkeit das Kriterium des Art. 3 EuInsVO (Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO). In Frankreich wird z.B. die örtliche Zuständigkeit in Art. R 600-1 Abs. 1 Code de commerce geregelt. Maßgeblich ist der Ort des Hauptsitzes des Schuldners ("siège de l'entreprise"), wobei sich dieser Begriff auf den satzungsmäßigen Sitz juristischer Personen und den beruflichen Wohnsitz natürlicher Personen bezieht. In Ermangelung eines Sitzes in Frankreich ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Hauptmittelpunkt der Interessen ("centre principal des intérêts") in Frankreich befindet.
Rn 3
Die EuInsVO beruht auf einem Kompromiss zwischen dem Prinzip der Universalität und dem Prinzip der Territorialität des Insolvenzverfahrens. Die Verordnungsgeber haben sich für eine so genannte "modifizierte" Universalität entschieden, welche neben dem universal wirkenden Hauptinsolvenzverfahren die Eröffnung national begrenzter Territorialinsolvenzverfahren toleriert. Es wird demnach in Art. 3 EuInsVO zwischen der Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens als universales Verfahren mit grenzüberschreitender Wirkung und der Zuständigkeit für territorial begrenzte Verfahren unterschieden.
Rn 4
Ein Hauptinsolvenzverfahren ist ein Insolvenzverfahren, das in dem Mitgliedstaat eröffnet wird, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO). Es ist nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren zulässig. Das Hauptinsolvenzverfahren hat stets universale Wirkung, die lediglich durch die Eröffnung Territorialinsolvenzverfahren begrenzt werden kann.
Rn 5
Ein Territorialinsolvenzverfahren ist ein Insolvenzverfahren, das nur die im Staat des Insolvenzverfahrens belegenen Vermögensgüter erfasst. Es kann sich um ein Sekundärinsolvenzverfahren oder um ein Partikularinsolvenzverfahren handeln.
Rn 6
Folgendes Schaubild fasst dies zusammen: