7.3.1 Allgemein: Digitalisierung von steuerlichen Transaktionsdaten
Der Treiber der Blockchain-Technologie im Bereich der indirekten Besteuerung und speziell der Mehrwertsteuer ist zum einen die hohe Komplexität in grenzüberschreitenden Transaktionen und zum anderen die Bekämpfung der Mehrwertsteuerhinterziehung.
In der EU existiert das sog. Allphasen-Netto-Mehrwertsteuerprinzip, d. h., dass sich Unternehmer im mehrwertsteuerlichen Sinne die Vorsteuer erstatten bzw. mit anderen Mehrwertsteueransprüchen verrechnen lassen können. Im Jahr 2021 betrug die hinterzogene Mehrwertsteuer in der EU 61 Mrd. EUR. Mehrwertsteuerhinterziehung findet sektor- sowie warenunabhängig statt. Da der Anteil der Mehrwertsteuer an der Finanzierung der Staatshaushalte kontinuierlich zunimmt, ist das Bedürfnis groß, diese Einnahmequelle zu sichern. Gleichzeitig reduziert eine stärkere Bekämpfung der Mehrwertsteuerhinterziehung auch Wettbewerbsnachteile für steuerehrliche Unternehmen.
Mehrwertsteuerhinterziehung kann sowohl in Unternehmer-Verbraucher-Situationen (Business-to-Consumer = B2C), wie auch in Unternehmer-Unternehmer-Situationen (Business-to-Business = B2B) geschehen. Weniger komplexe Mehrwertsteuerhinterziehungsfälle erfolgen schlicht durch zu geringe oder (Nicht-)Deklarierung der erhaltenen Mehrwertsteuer. In komplexeren Fällen, wie z. B. dem Karusselbetrug oder "Missing Trader Fraud", werden zwischen Unternehmern Transaktionen inklusive Mehrwertsteuer abgewickelt. Der Leistende verschwindet jedoch im Anschluss mit der vom Leistungsempfänger erhaltenen Bruttozahlung und führt die Mehrwertsteuer nicht an den jeweiligen Staat ab. Der Vorsteuererstattungsanspruch des Leistungsempfängers bleibt weiterhin bestehen und wird vom Zahlungsleistenden eingefordert. Die jeweilige Finanzverwaltung verliert damit nicht nur die Mehrwertsteuer, sondern muss zusätzlich auch noch die Vorsteuer erstatten. Diese noch relativ überschaubaren Hinterziehungsmechanismen können deutlich komplexer werden, indem unbeteiligte Intermediäre, Ländergrenzen, unterschiedliche Leistungen und Transaktionen eingesetzt werden. Der Einsatz von komplexen Hinterziehungsmechanismen liegt lediglich darin, die Nachvollziehbarkeit und damit zeitnahe Verhinderung der Mehrwertsteuerhinterziehung zu erschweren.
Die jeweiligen involvierten Finanzverwaltungen weisen ein Informationsdefizit auf, da die Zahlung der Mehrwertsteuer an die Finanzverwaltungen nicht mit der Vorsteuererstattung per se übereinstimmen.
Vonseiten des Gesetzgebers und der Verwaltung sind Dokumentationsanforderungen und Compliance-Anforderungen für Unternehmer in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Dies geschah häufig auch mit dem Ziel die Mehrwertsteuerhinterziehung effektiver zu bekämpfen. Damit steigen jedoch gleichzeitig die Rechtsbefolgungskosten für Unternehmer.
Neben gesetzgeberischen Novellierungen und einem Ausbau der Ermittlungskapazitäten zur Aufdeckung der Mehrwertsteuerhinterziehung und Ahndung, steht aber auch die Digitalisierung von Prozessen in der Mehrwertsteuer, damit die Finanzverwaltungen ihr Informationsdefizit abbauen können. In diesem Zusammenhang werden unterschiedlichste Einsatzebenen bzw. Möglichkeiten der Blockchain-Technologie in Prozessen der Mehrwertsteuer diskutiert. Die Vorschläge reichen von dem kompletten Austausch der Mehrwertsteuer durch Token bis hin zur transparenten Dokumentation von Transaktionsketten auf einer Blockchain.
7.3.2 VATCoin und automatisierte Erhebung der Mehrwertsteuer
Die automatisierte Erhebung der Mehrwertsteuer bzw. die vollständige Substitution der Mehrwertsteuer mittels Token, sind die ältesten Blockchain-Konzepte im Bereich des Steuerrechts. Kerngedanke ist zunächst die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerhinterziehung durch die Digitalisierung von Rechnungsinformationen aus dem Jahr 2016. Neben der bloßen Verwendung der Blockchain-Technologie zur Übermittlung von Informationen, ging das Konzept VATCoin noch einen Schritt weiter und substituierte die Mehrwertsteuer und die Verrechnung bzw. Erstattung der Vorsteuer durch eine eigene Mehrwertsteuerkryptowährung bzw. Token. Dafür muss Fiat in die Mehrwertsteuerkryptowährung "VATCoin" gewechselt werden. Die Nettozahlungen erfolgen weiterhin in Fiat, jedoch muss die Mehrwertsteuer in B2B-Situationen in der Form von VATCoin ausgezahlt werden. Die Finanzverwaltungen können diese Transaktionen einsehen, die Vorsteuerverrechnung mit Mehrwertsteuerzahlungen bzw. Erstattung der Vorsteuer kann unmittelbar erfolgen. Gleichzeitig wird der Missing Trader Fraud dadurch bekämpft, da die VATCoin nur zum Austausch im Bereich der Mehrwertsteuer geeignet sind. Zwar ist ein Zurückwechseln der VATCoin in Fiat durch Zahlungsdiens...