Es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern worauf
[Ohne Titel]
RAin Dr. Nathalie Harksen, Maître en droit
Das BMF hat nunmehr das finale Schreiben zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Reihengeschäften veröffentlicht (BMF v. 25.4.2023 – III C 2 - S 7116-a/19/10001 :003, UR 2023, 494). In dem Schreiben wird im Wesentlichen Abschnitt 3.14 UStAE angepasst. Breiten Raum nehmen die Ausführungen zur Lieferung durch den Zwischenhändler (Abs. 9 bis 11) ein. Ferner hat das BMF die Abs. 13 bis 16 in Abschnitt 3.14 um mehrere Beispiele ergänzt. Darüber hinaus wurde Abschnitt 25b.1 UStAE geändert. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über das BMF-Schreiben und nimmt in Praxisbeispielen Stellung zur Kompatibilität der Regelungen.
I. Einleitung
Schon im Jahr 1967 war bei der Erschaffung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beschlossen worden, ein endgültiges Mehrwertsteuersystem einzurichten, das innerhalb der Europäischen Gemeinschaft genauso funktioniert wie innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats. Zum 1.1.1993 ist der Europäische Binnenmarkt verwirklicht worden. Da die politischen und technischen Voraussetzungen für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem bei Inkrafttreten des Europäischen Binnenmarkes am 1.1.1993 nicht reif waren, wurde eine sog. provisorische Übergangsregelung für die Mehrwertsteuer erlassen, die gemäß den Regelungen der Richtlinie 2006/112/EG (MwStSystRL) von einer endgültigen Regelung abgelöst werden muss. Grenzüberschreitende Umsätze innerhalb der EU sollten lokalen Umsätzen umsatzsteuerlich gleichgestellt sein – die Einfuhrbesteuerung wurde durch die Erwerbsbesteuerung abgelöst.
Wie sich an der sog. Mehrwertsteuerlücke ablesen lässt, sind die Regelungen der Übergangslösung zum einen extrem betrugsanfällig und zum anderen zu kompliziert und mit einem stetig steigenden Bürokratieaufwand für grenzüberschreitend tätige Unternehmen verbunden.
Die Kommission hatte am 25.5.2018 einen Vorschlag mit Elementen für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzüberschreitenden Handel zwischen Unternehmen vorgelegt, der auf dem Grundsatz der Besteuerung grenzüberschreitender Lieferungen von Gegenständen im Bestimmungsmitgliedstaat basiert. Startschuss des endgültigen Systems sollte der 1.7.2022 sein. Da allerdings klar war, dass es mehrere Jahre dauern würde, bis das endgültige Mehrwertsteuersystem für den innergemeinschaftlichen Handel umgesetzt ist, sollte eine schnelle Lösung – sog. Quick fixes – u.a. die gesetzlichen Bedingungen für Reihengeschäfte verbessen.
Diese Regelungen sind in den meisten Mitgliedstaaten der EU zum 1.1.2020 umgesetzt worden.
II. Das Reihengeschäft im Europäischen Recht
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame europäische Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) enthielt bis zum 31.12.2019 keine detaillierten Vorgaben zur Umsatzbesteuerung von Reihengeschäften. Die Konsequenz war eine Zersplitterung des Mehrwertsteuerrechts für Reihengeschäftskonstellationen. Innerhalb der Europäischen Union reichte dies von gesetzgeberischem Aktionismus zu Reihen-/Ketten- oder Streckengeschäften über Verwaltungsvereinfachungen bis hin zu normativer Untätigkeit, da es ein Reihengeschäft als solches schlicht nicht gab. In all diesen Fällen wurde versucht, die Besteuerung nach den allgemeinen Regelungen des europäischen Mehrwertsteuersystems vorzunehmen. Es fehlte insbesondere an einer Zuordnungsregelung, um die Frage beantworten zu können, welche der hintereinandergeschalteten Lieferungen in der Reihe als solche einer Steuerbefreiung zugänglich sein könnte. Grenzüberschreite...