Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 05.12.2018; Aktenzeichen S 143 KR 271/17)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 07.09.2021; Aktenzeichen L 14 KR 9/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. September 2019 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Beitragspflicht von Lebensversicherungsleistungen in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV).

Für die im Jahr 1951 geborene Klägerin, die als Bezieherin einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung bei den Beklagten pflichtversichert ist, schloss der Arbeitgeber mehrere Versicherungen jeweils als Direktversicherung ab. Zum 1.2.2012, 1.1.2015 und 1.6.2016 erhielt die Klägerin aus diesen Versicherungen Kapitalbeträge ausbezahlt. Die Beklagten forderten ab 1.7.2016 auf 1/120 der Summe der Auszahlungen monatliche Beiträge zur GKV und sPV. Ab 1.1.2017 erhöhten sie die Beiträge unter Berücksichtigung einer weiteren zum 1.12.2016 ausbezahlten Versicherungsleistung (Bescheide vom 28.7.2016, 30.12.2016, Widerspruchsbescheid vom 10.1.2017; Bescheide vom 17.1.2017, 23.1.2017, Widerspruchsbescheid vom 13.6.2017, Änderungsbescheid vom 9.1.2019).

Die vom SG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen sind erfolglos geblieben (Urteil des SG Berlin vom 5.12.2018). Das LSG hat die Berufung zurück- und die Klage gegen die Bescheide vom 9.1.2019, 6.10.2020 und 4.1.2021 abgewiesen (Urteil vom 7.9.2021). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beitragserhebung und -berechnung entspreche § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5, Satz 3 SGB V. Auch Kapitalzahlungen aus vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer für die Arbeitnehmerin als Versicherte abgeschlossenen Direktversicherungen unterlägen der Beitragspflicht. Das gelte auch, wenn die Zahlung von Anfang an als Kapitalleistung vereinbart gewesen sei. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2)

oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Hierin unterscheidet sich die sozialgerichtliche von der finanz- und zivilgerichtlichen Nichtzulassungsbeschwerde (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 419 ff; Heßler in Zöller, ZPO, 34. Aufl 2022, § 543 RdNr 8, 10a, 10d, 13 mwN).

1. Die Klägerin macht die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits geltend. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin stellt bereits keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN). Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist aber unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

Selbst ihre umfangreichen Ausführungen zur Unterscheidung von Versorgung und Vorsorge sowie von Kapitalisierung, Kapitalabfindung und Kapitalleistung als aufgeworfene Rechtsfragen nach der Auslegung des § 229 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB V unterstellt, wäre deren Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist in der Beschwerdebegründung aufzuzeigen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Die Klägerin behauptet aber gar nicht die fehlende Klärung des Begriffs der "Versorgungsbezüge" in § 229 Abs 1 Satz 1 SGB V oder der Tatbestandsvoraussetzung des § 229 Abs 1 Satz 3 SG V, dass "an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung" tritt. Sie macht vielmehr geltend, dass das Gesetz eindeutig und die dazu ergangene Rechtsprechung sowohl des BSG (zB Urteil vom 8.7.2020 - B 12 KR 1/19 R - juris; Urteil vom 26.2.2019 - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24) als auch des BVerfG (Kammerbeschluss vom 28.9.2010 - 1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11; Nichtannahmebeschluss vom 7.4.2008 - 1 BvR 1924/07 - SozR 4-2500 § 229 Nr 5) nicht unklar, aber materiell-rechtlich falsch sei. Damit kann sie eine Zulassung der Revision jedoch nicht erreichen. Dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen worden wäre (BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 10 ÜG 8/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 5.2.2019 - B 1 KR 34/18 B - juris RdNr 7), oder dass sich völlig neue, nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben hätten, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 12 P 4/15 B - juris RdNr 5 mwN), also erneut Klärungsbedürftigkeit bestehe, zeigt die Klägerin ebenfalls nicht auf.

Mit dem Hinweis auf das "geschützte Eigentum/Ersparnisse der Beschwerdeführerin, welches als geldliches Eigentum grundrechtlich geschützt ist und in welches nur durch strenge gesetzliche Regelungen mit Entschädigung eingegriffen werden darf" (S 9 der Beschwerdebegründung), legt die Klägerin auch nicht die grundsätzliche Bedeutung einer verfassungsrechtlichen Frage dar. Wird eine verfassungsrechtliche Frage aufgeworfen, darf sich die Begründung nicht auf die bloße Behauptung der Verletzung einer Norm des Grundgesetzes beschränken. Vielmehr muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG substantiiert ausgeführt werden, woraus sich im konkreten Fall die vermeintliche Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl BSG Beschluss vom 14.3.2019 - B 12 KR 95/18 B - juris RdNr 5 mwN). Auch daran fehlt es hier.

2. Soweit die Klägerin auf S 23 der Beschwerdebegründung "hinreichende Divergenzgründe zur Annahme der Revision" sieht, hat sie auch die Voraussetzungen der Divergenzrüge nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht hinreichend dargelegt. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Klägerin beanstandet aber, dass die "unteren Sozialgerichte" vom BSG und vom BVerfG abschrieben, diesen also folgten. Eine Abweichung ergibt sich daraus nicht.

3. Schließlich ist mit der Behauptung, das Berufungsurteil "verstößt zudem gegen Verfahrensrecht" (S 5 der Beschwerdebegründung) ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht dargetan. Mit dem Vorbringen, "Der klägerische Vortrag ist ganz offensichtlich von dem Gericht als intellektuelles Tamtam ignoriert worden", und der Bürger habe "Anspruch auf gleichbleibend gute Tage von Berufsrichtern", (S 6 und 7 der Beschwerdebegründung) ist nicht aufgezeigt, welche verfahrensrechtliche Norm das LSG verletzt haben soll.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Heinz U. Waßer

Padé

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15129286

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