Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Versäumung des Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist wegen Fehlleitung des Fristverlängerungsantrags aufgrund fehlerhafter Adressierung an das LSG. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Orientierungssatz
1. Bei der in § 160a Abs 2 S 2 SGG vorgesehenen Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist vor ihrem Ablauf handelt es sich nicht um eine gesetzliche Verfahrensfrist iS von § 67 Abs 1 SGG, in die Wiedereinsetzung gewährt werden könnte (vgl BSG vom 22.5.2023 - B 9 V 3/23 B = juris RdNr 4 sowie vom 27.11.2020 - B 9 V 21/20 B = juris RdNr 7).
2. Der Prozessbevollmächtigte ist verpflichtet, einen Fristverlängerungsantrag nach § 160a Abs 2 S 2 SGG darauf zu überprüfen, ob er an das zuständige Gericht adressiert ist, und fehlerhafte Angaben zu berichtigen. Ihm muss insbesondere auffallen, wenn ein für ihn vorbereiteter Fristverlängerungsantrag an das Gericht gerichtet ist, dessen Entscheidung angefochten werden soll. Die Anfertigung eines Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist gehört zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden (vgl BGH vom 29.8.2017 - VI ZB 49/16 = juris RdNr 7).
3. Auch wenn ein Prozessbevollmächtigter unter normalen Umständen mit einer Verlängerung der Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 2 S 2 SGG rechnen kann, muss er aber unbedingt rechtzeitig vor Ablauf der zu verlängernden Begründungsfrist bei der Geschäftsstelle des BSG nachfragen, ob Hinderungsgründe der begehrten Entscheidung entgegenstünden und ob überhaupt mit einer Bewilligung zu rechnen sei, wenn seitens des BSG trotz seines Verlängerungsantrags keinerlei Reaktion erfolgt (vgl BSG vom 27.11.2020 - B 9 V 21/20 B = juris RdNr 8).
4. Eine Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten liegt auch vor, wenn er einen Hinweis des LSG, bei dem ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 2 S 2 SGG fälschlicherweise wegen fehlerhafter Adressierung des Fristverlängerungsantrags eingegangen ist, nicht zum Anlass nimmt, eine Überprüfung des Sachverhalts vorzunehmen.
5. Zwar darf der Rechtsuchende darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den dort eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (vgl BVerfG vom 20.6.1995 - 1 BvR 166/93 = BVerfGE 93, 99). Daraus folgt, dass ein mit der Sache vorbefasstes Gericht grundsätzlich verpflichtet ist, eine fristgebundene Rechtsmittelbegründung oder einen entsprechenden Verlängerungsantrag im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern, besteht jedoch nicht (vgl BGH vom 14.12.2010 - VIII ZB 20/09 = juris RdNr 18).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 Sätze 1-2, § 67 Abs. 1-2, § 73 Abs. 4, 6 S. 7; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 10.02.2023; Aktenzeichen L 19 R 754/16) |
SG Würzburg (Gerichtsbescheid vom 06.10.2016; Aktenzeichen S 14 R 30/13) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger begehrt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der von ihm bis zum Beginn seiner Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1.7.2019 von der Beklagten gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Die Beklagte bewilligte dem 1958 geborenen Kläger nach Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs im Jahre 2001 rückwirkend ab dem 1.11.1997 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. In einem sozialgerichtlichen Verfahren erklärte sich die Beklagte vor dem LSG durch Vergleich bereit, unter dem Antragsdatum 1.3.2011 über einen Neuantrag des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu entscheiden. Mit Bescheid vom 16.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2012 lehnte sie die begehrte Rente ab. Das SG hat Befund- und Behandlungsberichte der den Kläger behandelnden Ärzte und zwei medizinische Sachverständigengutachten von Amts wegen sowie ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Antrag des Klägers eingeholt. Mit Gerichtsbescheid vom 6.10.2016 hat es die Klage abgewiesen. Das LSG hat weitere Ermittlungen getätigt und diverse Befund- und Behandlungsberichte, ein Sachverständigengutachten von Amts wegen sowie ein Sachverständigengutachten auf Antrag des Klägers eingeholt. Zudem hat es drei Erörterungstermine ua mit Beweisaufnahme durchgeführt und ergänzende schriftliche Stellungnahmen zu den Sachverständigengutachten angefordert. Nachdem ein Termin zur mündlichen Verhandlung vertagt werden musste, hat das LSG mit Urteil vom 10.2.2023 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Senat sei nicht davon überzeugt, dass beim Kläger im streitbefangenen Zeitraum von März/April 2011 bis Juni 2019 eine volle Erwerbsminderung vorgelegen habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, dem Kläger zugestellt am 1.3.2023, hat er am 17.3.2023 Beschwerde zum BSG eingelegt. Mit an das LSG gerichtetem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 25.4.2023 hat der Kläger unter Angabe des Aktenzeichens "L 19 R 145/23 B (Beschw gg Beschl SG 08.03.23)" beantragt, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bis zum 31.5.2023 zu verlängern. Der Schriftsatz erreichte das LSG über das besondere Anwaltspostfach (beA) am 25.4.2023 um 11:20 Uhr. Unter dem angegebenen Aktenzeichen ist dort ein Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des SG Würzburg vom 8.3.2023 zur endgültigen Kostentragung des im erstinstanzlichen Klageverfahren auf Antrag des Klägers eingeholten Gutachtens nach § 109 SGG anhängig. Mit Schriftsatz vom 26.4.2023 hat sich der für das Beschwerdeverfahren am LSG zuständige Berichterstatter an den Prozessbevollmächtigten des Klägers gewandt und ihn darauf hingewiesen, dass dem angegebenen Aktenzeichen kein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zugrunde liege, sondern die von ihm eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des SG, die er bereits begründet habe. Der Berichterstatter hat den Prozessbevollmächtigten um möglichst umgehende Mitteilung gebeten, ob weitere Ausführungen zur Begründung der beim LSG anhängigen Beschwerde beabsichtigt seien und ob hierfür eine Fristverlängerung bis zum 31.5.2023 erforderlich sei. Eine Reaktion darauf erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 4.5.2023 hat die Berichterstatterin am BSG den Prozessbevollmächtigten des Klägers auf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist hingewiesen. Daraufhin hat er mit Schriftsatz vom 19.5.2023 Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt und die Nichtzulassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 6.6.2023 begründet.
II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen. Sie ist nicht fristgerecht begründet; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG: zwei Monate ab Zustellung des Urteils) versäumt. Beim BSG ist bis zum Fristablauf am 2.5.2023 weder eine Begründung eingegangen noch ein Fristverlängerungsantrag gestellt worden. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist kann nicht gewährt werden.
Nach § 67 Abs 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern ein Beteiligter ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Gemäß § 67 Abs 2 Satz 2 SGG sollen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden. Dazu muss jedenfalls ein rechtskundiger Prozessbevollmächtigter iS des § 73 Abs 4 Satz 2 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl den unterschiedlichen Wortlaut des § 67 Abs 2 SGG und von § 236 Abs 2 Satz 1 ZPO bzw § 60 Abs 2 Satz 2 VwGO) die maßgebenden Tatsachen durch eine geschlossene und aus sich heraus verständliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe darlegen. Sie muss aufzeigen, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht und auf welche Weise sowie - soweit aufklärbar - durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist (vgl BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 5 R 146/21 B - juris RdNr 6 unter Hinweis auf BGH Beschluss vom 20.10.2020 - VIII ZA 15/20 - juris RdNr 14 mwN). Auf Grundlage dieser Schilderung muss, sofern die genannten Tatsachen nicht anderweitig infrage gestellt werden, ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein (vgl BSG Beschluss vom 16.3.2022 - B 5 R 298/21 B - juris RdNr 7).
Der Prozessbevollmächtigte begründet den Antrag auf Wiedereinsetzung im Wesentlichen wie folgt: Er habe den Fristverlängerungsantrag mit einem Spracherkennungsprogramm diktiert und dabei an das BSG adressiert. Anschließend sei der Antrag von seiner Angestellten geschrieben und versandt worden. Hierbei sei ihr versehentlich bei der Adressierung ein Fehler unterlaufen. Sie habe ein an das LSG adressiertes Schreiben ausgedruckt, per beA an das LSG übersandt, nach Zustellung die Frist gelöscht und die neue Frist inklusive Vorfrist notiert. Die Angestellte sei ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und habe sich in den sieben Jahren ihrer Beschäftigung bei ihm als gewissenhaft und zuverlässig erwiesen. Zu ihren Pflichten habe es auch im vorliegenden Fall ua gehört, zu kontrollieren, dass der Fristverlängerungsantrag an das BSG gerichtet wird. Er habe sich darauf verlassen dürfen, dass der Schriftsatz ordnungsgemäß entsprechend dem Diktat verfasst und an das BSG übersandt wird. Den Ausgang des Fristverlängerungsantrags und die Änderung der Frist habe er durch Abfrage der Bestätigung der Angestellten und anhand des Fristenkalenders kontrolliert. Erst durch das Schreiben des BSG vom 4.5.2023, eingegangen am 8.5.2023, sei der Fehler bemerkt worden.
Aus dieser Sachverhaltsschilderung ergibt sich nicht, dass den Kläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde trifft. Der Kläger muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte trägt die Verantwortung dafür, dass eine fristwahrende Prozesshandlung vor dem zuständigen Gericht vorgenommen wird. Bei der in § 160a Abs 2 Satz 2 SGG vorgesehenen Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist vor ihrem Ablauf handelt es sich nicht um eine gesetzliche Verfahrensfrist iS von § 67 Abs 1 SGG, in die Wiedereinsetzung gewährt werden könnte (vgl BSG Beschluss vom 22.5.2023 - B 9 V 3/23 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 27.11.2020 - B 9 V 21/20 B - juris RdNr 7 unter Hinweis auf Rechtsprechung des BFH zur entsprechenden Vorschrift in § 116 Abs 3 Satz 4 FGO, zB BFH Beschluss vom 9.8.2011 - VIII B 48/11 - juris RdNr 3; s auch BFH Beschluss vom 15.11.2021 - VIII B 2/21 - juris RdNr 8; BFH Beschluss vom 1.12.1986 - GrS 1/85 - BFHE 148, 414 = juris RdNr 26). Es kann offenbleiben, ob eine unverschuldete Versäumnis der ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Antragstellung auf Verlängerung der Begründungsfrist für die Frage einer unverschuldeten Versäumnis der Frist zur Begründung des Rechtsmittels "insoweit unerheblich" ist (vgl BSG Beschluss vom 22.5.2023 - B 9 V 3/23 B - juris RdNr 4 und 7; s aber BFH Beschluss vom 1.12.1986 - GrS 1/85 - BFHE 148, 414 = juris RdNr 25, der die Berücksichtigung solcher Umstände je nach Fallgestaltung ausdrücklich als "denkbar" angesehen und lediglich eine "gesonderte Wiedereinsetzung hinsichtlich des versäumten Antrags auf Fristverlängerung" abgelehnt hat). Die Versäumnis der Begründungsfrist ist hier jedenfalls nicht unverschuldet.
Der Prozessbevollmächtigte ist verpflichtet, einen Fristverlängerungsantrag darauf zu überprüfen, ob er an das zuständige Gericht adressiert ist, und fehlerhafte Angaben zu berichtigen. Ihm muss insbesondere auffallen, wenn ein für ihn vorbereiteter Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde an das Gericht gerichtet ist, dessen Entscheidung angefochten werden soll. Die Anfertigung eines Antrags auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist gehört - ebenso wie die Anfertigung der Rechtsmittelschrift - zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden (vgl BGH Beschluss vom 29.8.2017 - VI ZB 49/16 - NJW-RR 2018, 56 = juris RdNr 7 mwN). Der Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts entspricht es, ein ihm erstmals vorgelegtes Arbeitsergebnis vor der Unterzeichnung gründlich auf Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen (BGH Beschluss vom 15.3.2022 - VI ZB 20/20 - NJW-RR 2022, 784 = juris RdNr 17 mwN; BGH Beschluss vom 29.8.2017 - VI ZB 49/16 - NJW-RR 2018, 56 = juris RdNr 9 f mwN; BGH Beschluss vom 8.2.2012 - XII ZB 165/11 - NJW 2012, 1591 = juris RdNr 30 mwN). Das gilt erst recht, wenn es sich um eine nicht alltägliche Angelegenheit wie ein Rechtsmittel zu einem obersten Bundesgericht handelt.
Diesen Sorgfaltsanforderungen hat der Prozessbevollmächtigte nicht genügt. Aus seiner Darstellung geht nicht hervor, dass er den Fristverlängerungsantrag vor Unterzeichnung mittels qualifizierter elektronischer Signatur im Hinblick auf die richtige Bezeichnung des Gerichts und des Aktenzeichens überprüft hat. Nach seinen Angaben hat nach dem Diktat bis zur Absendung des Fristverlängerungsantrags durch die Kanzleimitarbeiterin überhaupt keine Überprüfung des Schriftstücks durch ihn selbst stattgefunden. Er habe sich vielmehr lediglich bestätigen lassen, dass der Antrag von der Mitarbeiterin abgeschickt und die Frist im Fristenkalender geändert worden sei. Auf welche Weise die qualifizierte elektronische Signatur des Schriftsatzes vom 25.4.2023 zustande kam, ergibt sich weder aus seinem Vortrag noch aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen (zur Verpflichtung der Signatur durch den Rechtsanwalt persönlich vgl BGH Beschluss vom 30.3.2022 - XII ZB 311/21 - NJW 2022, 2415 = juris RdNr 9; s auch § 23 Abs 3 Satz 4 und 5, § 24 Abs 1 Satz 1 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung vom 23.9.2016, BGBl I 2167, sowie H. Müller in jurisPK-ERV, Band 3, 2. Aufl 2022, § 65a SGG RdNr 174, Stand 12.9.2023).
Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers davon ausgegangen sein sollte, dass sein Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist korrekt abgesandt worden ist, so hätte er zumindest bei Gericht nachfragen müssen, ob mit einer Bewilligung der Fristverlängerung zu rechnen sei (vgl BSG Beschluss vom 27.11.2020 - B 9 V 21/20 B - juris RdNr 8). Auch wenn er unter normalen Umständen mit einer Fristverlängerung hätte rechnen können, hätte der Prozessbevollmächtigte angesichts des Umstandes, dass seitens des BSG trotz seines Verlängerungsantrags keinerlei Reaktion (Verlängerungsbewilligung durch die Vorsitzende, Rückfrage, Auflage oÄ) erfolgt war, unbedingt rechtzeitig vor Ablauf der zu verlängernden Begründungsfrist bei der Geschäftsstelle nachfragen müssen, ob Hinderungsgründe der begehrten Entscheidung entgegenstehen und ob überhaupt mit einer Bewilligung zu rechnen sei.
Im Übrigen ist eine Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten auch darin zu sehen, dass er das Schreiben des Berichterstatters im Beschwerdeverfahren vor dem LSG vom 26.4.2023, das noch am selben Tag elektronisch versandt wurde, nicht zum Anlass genommen hat, eine Überprüfung vorzunehmen. Aufgrund des Hinweises des LSG vom 26.4.2023 hätte sich dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die fehlerhafte Adressierung seines Fristverlängerungsantrags vom 25.4.2023 aufdrängen müssen. Bis zum Fristablauf am 2.5.2023 hätte er problemlos den Fristverlängerungsantrag an das BSG übermitteln können.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist seine schuldhafte Pflichtverletzung für die Fristversäumung auch kausal geworden. Die Kausalität ist nicht deshalb zu verneinen, weil sich sein Verschulden wegen einer nachfolgenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das LSG nicht mehr ausgewirkt hätte. Zwar darf der Rechtsuchende darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den dort eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (vgl BVerfG Beschluss vom 20.6.1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99, 115 f = juris RdNr 47). Daraus folgt, dass ein mit der Sache vorbefasstes Gericht grundsätzlich verpflichtet ist, eine fristgebundene Rechtsmittelbegründung oder einen entsprechenden Verlängerungsantrag im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern, besteht jedoch nicht (vgl BGH Beschluss vom 14.12.2010 - VIII ZB 20/09 - NJW 2011, 683 = juris RdNr 18 mwN).
Daran gemessen durfte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass sein Fristverlängerungsantrag ohne eigenes Zutun noch rechtzeitig beim BSG eingehen würde. Sein Antrag ist beim LSG am 25.4.2023 nicht unter dem Aktenzeichen des beim BSG geführten Verfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision und nicht einmal unter dem Aktenzeichen des Berufungsverfahrens, sondern unter dem Aktenzeichen eines beim 19. Senat des LSG anhängigen Beschwerdeverfahrens eingegangen. Der Berichterstatter am LSG hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26.4.2023, am nächsten Tag, darauf hingewiesen, dass dem angegebenen Aktenzeichen keine Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liege, ihm den Gegenstand des bezeichneten Verfahrens erläutert und ihn um "möglichst umgehende Mitteilung" gebeten, ob weitere Ausführungen zur Begründung der (beim LSG anhängigen) Beschwerde beabsichtigt seien und hierfür eine Fristverlängerung erforderlich sei. Auf diese Information hat der Prozessbevollmächtigte nichts unternommen, obwohl ihm spätestens jetzt die Fehlleitung seines Fristverlängerungsantrags hätte bewusst werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass dem Berichterstatter "ohne weiteres" bzw "leicht und einwandfrei" (vgl hierzu BGH Beschluss vom 14.12.2010 - VIII ZB 20/09 - NJW 2011, 683 = juris RdNr 20 mwN) die falsche Adressierung und das falsche Aktenzeichen und mithin die Unzuständigkeit des LSG hätten auffallen müssen, sind nicht ersichtlich. Dagegen spricht auch, dass der Berichterstatter für das am LSG anhängige Beschwerdeverfahren an dem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Urteil vom 10.2.2023 ausweislich des Rubrums nicht mitgewirkt hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. |
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