Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsnichtzulassungsbeschwerde. Anforderungen an die Darlegungspflichten des Beschwerdeführers. Erforderliche umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens. Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil. Keine bloße Inbezugnahme früheren Vorbringens
Leitsatz (redaktionell)
Für die Begründung der Revision genügt die Bezugnahme auf früheres Vorbringen in der Berufungsinstanz schon deshalb den Anforderungen nicht, weil dieses nicht auf einer Auseinandersetzung mit dem vorinstanzlichen Urteil beruhen kann. Notwendig ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils selbst, und zwar nach den Kriterien, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat, wobei Auseinandersetzung heißt, auf den Gedankengang des Berufungsgerichts einzugehen.
Orientierungssatz
Die ständige Rechtsprechung des BSG fordert für die Revisionsbegründung, dass sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden muss, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts vom LSG nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl BSG vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R).
Normenkette
SGG § 164 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Urteil vom 12. Oktober 2005 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Osnabrück (SG) vom 24. August 2001 sowie des Bescheids vom 1. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 1996 verurteilt, dem Kläger für die Zeit der Umschulung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft unter Einschluss des Vorbereitungslehrgangs (2. September 1996 bis zum 21. Januar 1999) Übergangsgeld unter Anrechnung der von der Arbeitsverwaltung bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Das gegen die Beklagte gerichtete Begehren des Klägers auf Gewährung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation in Form der Umschulung habe sich durch die von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) geförderte Maßnahme nicht erledigt. Der Kläger sei so zu stellen, als habe er die beantragte Leistung rechtzeitig erhalten. Dem stehe namentlich kein so genanntes Aufstockungsverbot entgegen. Dies gelte erst recht dann, wenn vorläufige Leistungen nach § 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) erbracht würden. Dem Kläger stehe entsprechend seinem beschränkten Berufungsbegehren der Unterschiedsbetrag zwischen dem Übergangsgeld und gegebenenfalls gezahltem Unterhaltsgeld für die Lehrgangsdauer gegenüber der Beklagten zu.
Der Kläger erfülle die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 10 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Seine Erwerbsfähigkeit sei auch wegen Krankheit gemindert gewesen. Insoweit genüge nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Minderung oder Gefährdung der Erwerbsfähigkeit im "bisherigen Beruf"; abzustellen sei auf die beruflichen Tätigkeiten der letzten Jahre, nicht aber auf eine zumutbare Verweisungstätigkeit. Die Materialien zum Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) stellten klar, dass insoweit der frühere Rechtszustand fortgeführt worden sei; selbst die Materialien zum Rentenreformgesetz 1999 (RRG 1999) betonten, dass eine Rehabilitation auch dann möglich sei, wenn keine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege, die einen Rentenanspruch begründe.
Auch die weiteren Voraussetzungen für eine berufliche Rehabilitation seien im Fall des Klägers gegeben gewesen. Zwar stehe der Beklagten im Regelfall Ermessen zu, welche Rehabilitationsleistung sie gewähre. Sie habe auf den Antrag des Klägers jedoch gerade nicht das insoweit vorgesehene "dialogische Verwaltungsverfahren" eingeleitet. Dieser Gesichtspunkt sowie der Umstand, dass hier eine Umschulung nicht nur begonnen, sondern auch erfolgreich abgeschlossen worden sei, dass weiterhin die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der Umschulung von einer Fachbehörde (hier: BA) geprüft und bejaht worden seien und dass schließlich die Beklagte vor Beginn der Umschulung pflichtwidrig von einer eigenständigen Auswahl geeigneter Förderungsmaßnahmen abgesehen habe, begründe hier eine Ermessensreduzierung auf Null; die Beklagte müsse sich an der Ermessensentscheidung des nach § 6 Abs 2 Nr 2 RehaAnglG tätig gewordenen Arbeitsamts festhalten lassen. Nur dieses Ergebnis sei auch aus der Perspektive des Klägers einzig sachgerecht; dieser habe keine andere sinnvolle Möglichkeit gehabt, als das Umschulungsangebot der BA auch ohne vorherige Zustimmung der Beklagten anzunehmen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und die Verletzung des § 14 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Satz 3 iVm Abs 2 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) sowie der §§ 9 bis 12 SGB VI und des § 54 Abs 2 Satz 2 iVm § 131 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerügt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger erfülle nicht die persönlichen Voraussetzungen des § 10 SGB VI. Insoweit werde auf den Vortrag erster und zweiter Instanz sowie auf die Begründung des Urteils des SG vom 24. August 2001 Bezug genommen. Das - auch - "in diesem Urteil" angeführte Zitat aus den Gesetzesmaterialien zu § 10 SGB VI idF des RRG 1999 (Urteilsseite 12) ergebe nicht zwingend den Schluss, wie er "bei dem Urteil" gezogen werde. Ein Hauptziel des RRG 1999 sei die Abgrenzung der Risiken der Rentenversicherung von denen der Arbeitslosenversicherung gewesen. Nach der abstrakten Betrachtungsweise sei nur auf das gesundheitliche Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht abzustellen. Verfüge der Versicherte über keinen Beruf, müsse seine Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erheblich gefährdet oder gemindert sein, damit der Rentenversicherungsträger zuständig werde. Im Übrigen werde auf die bislang von der Beklagten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, denn die Begründung vom 3. Februar 2006 entspricht den gesetzlichen Anforderungen nicht. Gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muss die Begründung nicht nur einen bestimmten Antrag enthalten, sondern die verletzte Rechtsnorm "bezeichnen". An der hierfür erforderlichen Darlegung der Gründe, die das angefochtene Urteil nach Meinung des Revisionsklägers als unrichtig erscheinen lassen, weil eine revisible Rechtsvorschrift auf den festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl BSG Urteil vom 17. März 2003 - B 3 KR 12/02 R - veröffentlicht bei Juris), mangelt es. Aus dem Inhalt der Revisionsbegründung wird weder ersichtlich, dass sich die Beklagte mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen rechtlich auseinander gesetzt noch dass sie erkannt hat, auf welche der von ihr zitierten (und hinterher nicht wieder aufgegriffenen) - im Übrigen aber auch auf von ihr nicht zitierten (§ 16 SGB VI; § 2 Abs 2 Nr 2 RehaAnglG) - Rechtsvorschriften das LSG überhaupt entscheidungserheblich abgestellt hat. Die Revisionsbegründung lässt nicht die erforderliche umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens erkennen; aus ihr wird nicht deutlich, dass der Revisionskläger das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage genau durchdacht hat (vgl zu diesen Anforderungen: BSG Urteil vom 3. Juli 2005 - B 5 RJ 30/01 R - veröffentlicht bei Juris mwN).
Von den mit der Revision als verletzt aufgeführten Rechtsnormen (§ 14 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Satz 3 iVm Abs 2 Satz 1 SGB IX, §§ 9 bis 12 SGB VI und § 54 Abs 2 Satz 2 iVm § 131 Abs 2 SGG) findet sich in der Revisionsbegründung allein § 10 SGB VI wieder. Schon aus diesem Grunde ist zweifelhaft, ob die (angeblich) verletzten Vorschriften nur (einmalig) zitiert oder ob sie (mehrheitlich) auch "bezeichnet" werden.
Es fehlt aber auch an einer rechtlichen Auseinandersetzung der Beklagten mit § 10 SGB VI. Sie drückt allein ihre Überzeugung aus, der Kläger habe die persönlichen Voraussetzungen dieser Norm nicht erfüllt. Hierzu verweist sie allein auf die Gesetzesmaterialien zu § 10 SGB VI in der - vorliegend gar nicht einschlägigen - Fassung des RRG 1999, auf die (angeblich) das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen habe und führt aus, die dort ("Urteilsseite 12", gemeint also wohl eher das LSG-Urteil) zitierten Materialien führten nicht zwingend zu dem Schluss, wie er in "dem Urteil" gezogen werde. Dies wie die Bezugnahme auf ihren Vortrag erster und zweiter Instanz ersetzt eine Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil nicht.
Die ständige Rechtsprechung des BSG fordert für die Revisionsbegründung, dass sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden muss, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts vom LSG nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl zusammenfassend: BSG Urteil vom 23. November 2005 - B 12 RA 10/04 R - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Für die Begründung der Revision genügt die Bezugnahme auf früheres Vorbringen schon deshalb den Anforderungen nicht, weil dieses nicht auf einer Auseinandersetzung mit dem vorinstanzlichen Urteil beruhen kann (BSG SozR 3-2400 § 28p Nr 1). Notwendig gewesen wäre vielmehr ein Eingehen auf die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils selbst, und zwar nach den Kriterien, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat (BSG Urteile vom 25. Juni 2002 - B 1 KR 14/01 R - und vom 11. Dezember 2002 - B 5 RJ 20/02 R - beide veröffentlicht bei Juris). Hieran mangelt es aber schon deshalb, weil das Berufungsgericht die Vorschrift des § 10 SGB VI in der Fassung des RRG 1999 gar nicht anwendet, sondern lediglich aus den Materialien dieser Neufassung ein Argument (unter vielen) ableitet. Ebenso ist zur Ermessensreduzierung auf Null in keiner Weise eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen, auf viele Aspekte eingehenden Begründung des LSG zu erkennen.
"Auseinandersetzung" heißt, auf den Gedankengang des Berufungsgerichts einzugehen (BSG Urteil vom 30. Januar 2001 - B 2 U 42/00 R - veröffentlicht bei Juris und BSG SozR 1500 § 164 Nr 20). Hierzu reicht es weder aus, lediglich die eigene Meinung der Revisionsklägerin (hier: bezogen auf eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers bzw die Ermessensreduzierung) wiederzugeben oder Rechtsansichten der Vorinstanz als unrichtig zu bezeichnen; vielmehr ist zu erläutern, warum sie nicht geteilt werden. Der Revisionsführer muss also sichtbar machen, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen und ihre Aussage als unrichtig, weil mit revisiblem Recht nicht vereinbar angesehen wird (BSG Urteile vom 13. November 2001 - B 11 AL 47/01 R - und vom 19. Dezember 2001 - B 11 AL 50/01 R - beide veröffentlicht bei Juris).
Die nicht formgerecht begründete Revision war daher nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen