Verfahrensgang
SG Nürnberg (Entscheidung vom 28.09.2021; Aktenzeichen S 2 U 155/19) |
Bayerisches LSG (Urteil vom 09.03.2023; Aktenzeichen L 17 U 304/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. März 2023 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme weiterer Heilbehandlungskosten wegen eines anerkannten Arbeitsunfalls.
Die Beklagte bewilligte bei Bedarf 2 mal 10 Therapieeinheiten Ergotherapie pro Jahr und lehnte die Übernahme der Kosten für weitere Behandlungsmaßnahmen ab (Bescheid vom 24.8.2018; Widerspruchsbescheid vom 4.6.2019). Das SG hat die Klage nach Begutachtungen gemäß § 106 und § 109 SGG abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.9.2021), das LSG die Berufung ohne weitere Ermittlungen zurückgewiesen (Urteil vom 9.3.2023).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt die Klägerin das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht formgerecht bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie rügt als Mangel der gerichtlichen Sachaufklärung die Unterlassung der mündlichen Anhörung sowie ggf Gegenüberstellung der im Verfahren gehörten Sachverständigen M und H. Mit ihrem Vorbringen dazu bezeichnet die Beschwerdebegründung der Klägerin indes nicht hinreichend die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO, § 103 SGG).
Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO, § 103 SGG) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte (stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7; vom 24.5.2023 - B 2 U 117/22 B - juris RdNr 4 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die vor dem LSG anwaltlich vertretene Klägerin bezeichnet bereits keinen formellen Beweisantrag, der den Erfordernissen des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO genügt und den sie im Verfahren vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten hat oder der in der Entscheidung wiedergegeben wird. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind (zB BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7; vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 8 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN). Dass die Klägerin prozesskonforme Beweisanträge gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten habe, legt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar. Wird die Berufung - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung durch Entscheidung nach § 124 Abs 2 SGG zurückgewiesen, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG(BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7 mwN; vom 28.11.2022 - B 2 U 84/22 B - juris RdNr 11 mwN und vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f = juris RdNr 5). Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung indes nicht, sodass die Beschwerde bereits mangels Darlegung eines aufrechterhaltenen prozesskonformen Beweisantrags unzulässig ist.
Der Vortrag der Klägerin erfüllt aber auch im Weiteren nicht die Anforderungen an die Bezeichnung des gerügten Mangels. Die Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens steht ebenso wie die Anordnung zur schriftlichen Erläuterung oder Ergänzung im Ermessen des Gerichts (§ 411 Abs 3 Satz 1 und 2 ZPO). Der Ermessensfreiraum verdichtet sich nur dann zu einer Verpflichtung des Gerichts zur Ladung des gerichtlichen Sachverständigen oder zur Anordnung einer schriftlichen Ergänzung, wenn noch Ermittlungsbedarf besteht, dh wenn sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen, hinsichtlich der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten behandelten Beweisthemen noch weitere Sachaufklärung zu betreiben (vgl nur BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 11; vom 19.7.2023 - B 2 U 2/23 B - juris RdNr 6 und vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Die Beschwerdebegründung trägt indes nichts dazu vor, aus welchen Gründen diesbezüglich noch Fragen offengeblieben sein könnten, warum sich also das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt zu einer Befragung hätte gedrängt fühlen müssen und daher von einer Befragung nur noch ermessenswidrig habe absehen können. Der Vortrag hierzu erschöpft sich in der Darstellung der divergierenden Feststellungen und Ansichten der gehörten Sachverständigen. Allein dies begründet indes keine Verpflichtung zur ergänzenden Befragung oder gar persönlichen Anhörung. Die Würdigung voneinander abweichender Gutachtenergebnisse oder ärztlicher Auffassungen gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zu der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), die als solche gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG von einer Rüge als Verfahrensmangel ausgeschlossen ist (zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 21 mwN; vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 5 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 juris RdNr 10). Nicht maßgeblich ist, ob die Klägerin aus ihrer Sicht weiteren Aufklärungsbedarf annimmt. Daher besteht keine Verpflichtung der Gerichte zu stets neuen Befragungen der Sachverständigen, nur weil die Beteiligten deren Feststellungen und Beurteilungen nicht teilen. Auch besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten (zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 10; vom 14.12.2022 - B 2 U 1/22 B - juris RdNr 7 und vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11, jeweils mwN).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI16186799 |