Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Bezeichnung der Divergenz. abweichender Rechtssatz. unterschiedliche Lebenssachverhalte. Arbeitslosengeldanspruch. Arbeitslosigkeit. Beschäftigungslosigkeit. stufenweise unentgeltliche Wiedereingliederung. Arbeitslosengeldbezug. Nahtlosigkeitsregelung
Orientierungssatz
Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nicht formgerecht bezeichnet, wenn die einander gegenübergestellten Rechtssätze unterschiedliche Lebenssachverhalte betreffen und in ihrer abstrakten Aussage keinen Widerspruch erkennen lassen. Das herangezogene Urteil des BSG vom 21.3.2007 (B 11a AL 31/06 R = SozR 4-4300 § 118 Nr 1) betraf einen Sachverhalt, in dem die Klägerin vor der unentgeltlichen stufenweisen Wiedereingliederung bei ihrem Arbeitgeber Arbeitslosengeld aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung erhalten hat. Demgegenüber lag der angefochtenen Entscheidung des LSG ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Kläger vor der Wiedereingliederung Arbeitslosengeld nach §§ 117, 118 SGB 3 bezogen hat. Das LSG habe sich ausdrücklich mit der BSG-Entscheidung auseinandergesetzt und dargelegt, dass es nicht darauf ankomme, auf welchem Wege Arbeitslosengeld bewilligt worden sei.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 3 § 117; SGB 3 § 118 Abs. 1 Nr. 1; SGB 3 § 119 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3; SGB 3 § 125; SGB 9 § 28
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. März 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch dessen außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) ist nicht in der nach § 160a Abs 2 S 3 SGG gebotenen Weise bezeichnet.
Um eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügenden Weise zu bezeichnen, hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) einerseits und in einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts andererseits aufzuzeigen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht entwickelt worden ist und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder ein Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung bestimmen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 26; SozR 4-1500 § 62 Nr 9 RdNr 6; stRspr). Schlüssig darzulegen ist auch, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (vgl ua BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung vom 29.6.2012 nicht gerecht.
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Die Beklagte entnimmt dem angefochtenen Urteil des LSG folgenden Rechtssatz: "Die unentgeltliche Tätigkeit für einen Arbeitgeber im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung, die mindestens 15 Wochenstunden, jedoch in einem geringeren zeitlichen Umfang als zuvor im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ausgeübt wird, begründet ein die Arbeitslosigkeit ausschließendes Beschäftigungsverhältnis und damit auch eine zur Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld berechtigende wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 48 SGB X, wenn Arbeitslosengeld nicht im Wege der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 SGB III gewährt wird." |
Erläuternd führt sie aus, diesen Rechtssatz habe das LSG aufgestellt, indem es - zusammengefasst - ausgeführt habe, "der Kläger sei im hier streitigen Zeitraum nicht gegen Entgelt beim Arbeitgeber beschäftigt gewesen; denn auch ohne Bezug von Arbeitsentgelt habe die Tätigkeit nicht dem Vollzug eines wirtschaftlichen Austauschverhältnisses gedient". Es handele sich um einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz, weil das LSG - hierauf gestützt - zum Ergebnis gekommen sei, dass die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) zurückzuweisen sei. Dem von ihr formulierten Rechtssatz des LSG stellt sie einen Rechtssatz gegenüber, den sie dem Urteil des BSG vom 21.3.2007 (B 11a AL 31/06 R - SozR 4-4300 § 118 Nr 1) entnimmt; dieser - ansonsten gleichlautend wie der dem LSG zugeschriebene Rechtssatz - endet: "…, wenn Arbeitslosengeld im Wege der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 SGB III gewährt wird".
Mit diesen sich nur in der Negation ("nicht") unterscheidenden Rechtssätzen hat die Beschwerdebegründung schon keinen Widerspruch der beiden Rechtssätze bezeichnet. Denn nach den insoweit korrekten Schilderungen in der Beschwerdebegründung der Beklagten betraf das Urteil des BSG einen Sachverhalt, in dem die dortige Klägerin vor der stufenweisen Wiedereingliederung bei ihrem bisherigen Arbeitgeber Arbeitslosengeld (Alg) aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 SGB III aF) erhalten hatte. Demgegenüber liegt der Entscheidung des LSG eine Sachverhaltsgestaltung zugrunde, bei der dem - in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Busfahrer arbeitsunfähigen - Kläger vor der stufenweisen Wiedereingliederung bei seinem Arbeitgeber Alg nach §§ 117, 118 SGB III bewilligt worden war. Die einander gegenübergestellten Rechtssätze betreffen also unterschiedliche Lebenssachverhalte und lassen in ihrer abstrakten Aussage keinen Widerspruch erkennen.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass der dem LSG zugeschriebene Rechtssatz für die Entscheidung des LSG tragend gewesen ist, dh diese auf ihm beruht. Im Gegenteil hat sich das LSG ausweislich seiner - in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen - Entscheidungsgründe ausdrücklich mit der genannten BSG-Entscheidung vom 21.3.2007 auseinandergesetzt und dargelegt, dass und aus welchen Gründen es für seine Entscheidung nicht darauf ankomme, ob Alg im Wege der Nahtlosigkeitsregelung oder nach den §§ 118 ff SGB III bewilligt worden sei. Denn entscheidend sei, dass - wie vom BSG klargestellt - die unentgeltliche Tätigkeit im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nicht ausschließe bzw keine Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darstelle.
Soweit die Beklagte diesen Ausführungen entgegenhält, das LSG hätte (nach den im Einzelnen wiedergegebenen einschlägigen Vorschriften des SGB III und des Sozialgesetzbuchs Viertes Buch (SGB IV) zum Arbeits- und Versicherungsverhältnis) zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Kläger ab dem 11.10.2010 materiell-rechtlich nicht mehr arbeitslos gewesen sei (S 10 bis 14 der Beschwerdebegründung), rügt sie im Kern ihres Vortrags die Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG. Ob das Berufungsgericht in der Sache zutreffend entschieden hat, kann aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde sein (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 27, stRspr).
Der dem LSG zugeschriebene Rechtssatz kann auch nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen. Hierzu hätte von der Beklagten zumindest dargelegt werden müssen, dass die entsprechende Rechtsfrage in einem nachfolgenden Revisionsverfahren klärungsbedürftig (entscheidungserheblich) wäre. Auch hieran fehlt es indes. Denn die Beschwerdebegründung erschöpft sich im Wesentlichen in der Darlegung des Klärungsbedarfs aus ihrer Sicht, ohne sich mit der genannten Entscheidung des BSG vom 21.3.2007 inhaltlich näher auseinanderzusetzen. So behauptet sie zwar, das BSG habe seine Ausführungen zur stufenweisen Wiedereingliederung "nur" auf den Fall der Gewährung von Alg im Wege der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 SGB III aF bezogen. Indes geht sie nicht auf die dortigen - bereits in der wiedergegebenen LSG-Entscheidung zitierten - Ausführungen (RdNr 21 ff) zur Tatbestandsvoraussetzung der Beschäftigungslosigkeit (§ 118 Abs 1 Nr 1 SGB III) ein.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen