Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Implantologische Leistungen. Zahnärztliche Behandlung. Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle. Medizinische Gesamtbehandlung. Wiederherstellung der Kaufunktion

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die bloße Behauptung der Unrichtigkeit einer Berufungsentscheidung ist kein Revisionszulassungsgrund.

2. § 13 Abs. 3a SGB V begründet aufgrund der Genehmigungsfiktion keinen Sachleistungsanspruch; darin ist keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu sehen.

3. Nach § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V gehören implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung; sie dürfen von den Krankenkassen auch nicht bezuschusst werden.

4. Dies gilt nur dann nicht, wenn seltene vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegen, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt.

5. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen.

6. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben.

7. Das Tatbestandsmerkmal der medizinischen Gesamtbehandlung schließt von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht.

8. § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V begrenzt den Anspruch auf Implantatversorgung auf seltene Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle.

9. Der Anspruch besteht nicht bereits dann, wenn Implantate zahnmedizinisch geboten sind, also für die Wiederherstellung der Kaufähigkeit alternativlos sind.

10. Der grundsätzliche Ausschluss implantologischer Leistungen aus dem GKV-Leistungskatalog mit den engen, sich aus § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V ergebenden Ausnahmen verstößt auch unter Einbeziehung der Wertungen des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot und des Art. 2 Abs. 2 GG nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 73a Abs. 1 S. 1, §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2; ZPO §§ 114, 121; SGB V § 13 Abs. 3a, § 28 Abs. 2 S. 9, § 92 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1-2, Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 27.06.2018; Aktenzeichen S 7 KR 193/18)

Bayerisches LSG (Urteil vom 07.04.2022; Aktenzeichen L 4 KR 390/18)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. April 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf vollständige Übernahme der Kosten einer implantatgestützten Zahnersatzbehandlung bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin könne den geltend gemachten Sachleistungsanspruch nicht auf eine eingetretene Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V stützen, weil diese nur einen Kostenerstattungsanspruch begründe. Unabhängig davon habe die Beklagte die maßgeblichen Fristen eingehalten. Die Klägerin habe keinen über die Regelversorgung (doppelter Festzuschuss iHv 2420,96 Euro) hinausgehenden Anspruch auf Kostenübernahme für implantatgestützten Zahnersatz. Eine der Ausnahmeindikationen für eine Implantatversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die der Gemeinsame Bundesausschuss aufgrund von § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V abschließend bestimmt habe, liege nicht vor. Es sei auch keine medizinische Gesamtbehandlung, bestehend aus humanmedizinischer und zahnmedizinischer Behandlung zu erkennen. Die gesetzlichen Regelungen über die Versorgung mit Zahnersatz und der grundsätzliche Ausschluss implantologischer Leistungen aus dem GKV-Leistungskatalog verstießen nicht gegen Grundrechte Versicherter (Urteil vom 7.4.2022).

Die Klägerin beantragt, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und einen Rechtsanwalt beizuordnen.

II

Die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall. Aus diesem Grund kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht in Betracht (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Dagegen ist die bloße Behauptung der Unrichtigkeit einer Berufungsentscheidung kein Revisionszulassungsgrund.

Die Durchsicht der Akten und das Vorbringen der Klägerin in ihrem Schreiben vom 9.9.2022 haben keinen Hinweis auf das Vorliegen eines der genannten Revisionszulassungsgründe ergeben.

1. Es ist nicht ersichtlich, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung haben könnte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt ua, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt" ist (vgl BSG vom 1.4.2019 - B 1 KR 1/19 B - SozR 4-1200 § 56 Nr 7 RdNr 6 mwN).

Rechtsfragen, die in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht erkennbar.

a) Der erkennende Senat hat - in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung - bereits entschieden, dass § 13 Abs 3a SGB V aufgrund Genehmigungsfiktion keinen Sachleistungsanspruch begründet und darin keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art 3 Abs 1 GG liegt (vgl BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 9/18 R - BSGE 130, 200 = SozR 4-2500 § 13 Nr 53, RdNr 20 f; seither stRspr; vgl zB BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 8/21 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 10 RdNr 18; BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 2/21 R - juris RdNr 15). Dieser Rechtsprechung hat sich der 3. Senat des BSG angeschlossen (vgl BSG vom 18.6.2020 - B 3 KR 14/18 R - BSGE 130, 219 = SozR 4-2500 § 13 Nr 52).

b) Der erkennende Senat hat in Bestätigung seiner ständigen Rechtsprechung mit Urteil vom 16.8.2021 ferner entschieden, dass nach § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören; sie dürfen von den KKn auch nicht bezuschusst werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn seltene vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegen, in denen die KK diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das Tatbestandsmerkmal der medizinischen Gesamtbehandlung schließt von vornherein Fallgestaltungen aus, in denen das Ziel der implantologischen Behandlung nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit hinausreicht. § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V begrenzt den Anspruch auf Implantatversorgung auf seltene Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle. Der Anspruch besteht nicht bereits dann, wenn Implantate zahnmedizinisch geboten sind, also für die Wiederherstellung der Kaufähigkeit alternativlos sind. Der grundsätzliche Ausschluss implantologischer Leistungen aus dem GKV-Leistungskatalog mit den engen, sich aus § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V ergebenden Ausnahmen verstößt auch unter Einbeziehung der Wertungen des Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsgebot und des Art 2 Abs 2 GG nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG(BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 8/21 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 10 RdNr 9 ff; vgl auch BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 2/21 R - juris RdNr 9 ff) .

2. Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Das LSG ist insbesondere der vorstehend (unter 1.) wiedergegebenen Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Genehmigungsfiktion und zum grundsätzlichen Ausschluss des Anspruchs auf implantologische Leistungen uneingeschränkt gefolgt.

3. Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Revisionszulassung rechtfertigende Verfahrensfehler bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

a) Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe unzutreffende Behauptungen aufgestellt und relevante Tatsachen weggelassen, ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass die angegriffene Entscheidung auf einer insoweit in Betracht kommenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) beruhen könnte. Mit Blick auf die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs 3a SGB V gilt dies schon deshalb, weil das LSG die Ablehnung des von der Klägerin geltend gemachten Sachleistungsanspruchs auch darauf gestützt hat, dass die Genehmigungsfiktion nur einen Kostenerstattungsanspruch begründet (siehe oben 1.a). Inwiefern im Übrigen der Umstand entscheidungserheblich sein sollte, dass E, auf dessen Stellungnahme das LSG seine Entscheidung ua stützt, die Klägerin nicht persönlich behandelt hat, sondern dass er nur Direktor der Klinik ist, in der der die Klägerin behandelnde T tätig ist (auf dessen Stellungnahme sich das LSG ebenfalls gestützt hat), ist nicht erkennbar.

b) Soweit die Klägerin dem LSG schließlich Willkür vorwirft, kann dies im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur im Sinne einer willkürlichen Handhabung verfahrensrechtlicher Bestimmungen auf dem Weg zur Entscheidung (sog "error in procedendo") als Verfahrensmangel gerügt werden (vgl BSG vom 4.1.2022 - B 1 KR 20/21 B - juris RdNr 12; BSG vom 12.12.2018 - B 6 KA 23/18 B - juris RdNr 31). Dafür ist vorliegend ebenfalls nichts ersichtlich.

c) Im Kern macht die Klägerin allein die inhaltliche Unrichtigkeit des LSG-Urteils in ihrem Einzelfall geltend. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6 mwN).

Schlegel                                            Scholz                                                       Bockholdt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15516009

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