Verfahrensgang

LSG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 22.03.2023; Aktenzeichen L 6 KR 63/19)

SG Schwerin (Entscheidung vom 24.04.2019; Aktenzeichen S 8 KR 262/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 22. März 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um den Versicherungsstatus des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung.

Der Kläger war selbstständig erwerbstätig und bis Juli 2017 privat kranken- und pflegeversichert. Im April 2017 beantragte er bei der Beklagten die Aufnahme in die Familienversicherung seiner Ehefrau zum 1.8.2017. Hierbei gab er die Einkünfte aus seiner selbstständigen Tätigkeit mit 0 Euro an und verneinte auch Einkünfte aus anderen Einkommensarten. Beigefügt war eine Gewerbeabmeldung vom 18.4.2017 zum 31.7.2017. Die Beklagte übersandte eine "Versicherungsbescheinigung nach§ 10 SGB V in Verbindung mit§ 25 SGB XI ", wonach der Kläger ab dem 1.8.2017 über seine Ehefrau familienversichert sei(Schreiben vom 9.5.2017) . Im Juli 2017 meldete der Kläger sein Gewerbe zum 5.8.2017 mit identischem Gegenstand als Neugründung wieder an und beantragte die freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten. Hierbei gab er an, bis zum 3.8.2017 bei der Beklagten familienversichert und ab dem 4.8.2017 im Umfang von 40 Stunden wöchentlich mit einem Einkommen von 2000 Euro selbstständig tätig zu sein.

Die Beklagte begrüßte den Kläger zunächst als freiwilliges Mitglied, bestätigte den Beginn der Mitgliedschaft zum 5.8.2017 und teilte die Höhe der Beiträge mit, die sie anschließend ab dem 1.1.2018 festsetzte(Bescheide vom 23.10.2017 und 15.1.2018) . Nach Anhörung des Klägers "stornierte" sie die Familienversicherung für die Zeit vom 1.8. bis zum 4.8.2017 und hob die Bescheide - auch im Namen der Pflegekasse - vom 23.10.2017 und 15.1.2018 auf(Bescheid vom 20.3.2018, Änderungsbescheid vom 30.5.2018, Widerspruchsbescheid vom 13.7.2018) .

Das SG hat der Klage stattgegeben. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil dieser keine Ermessenausübung beinhalte und ein Nachschieben von Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren nicht mehr möglich sei(Urteil vom 24.4.2019) . Das LSG hat die Klage abgewiesen. Die Feststellung, dass eine Familienversicherung tatsächlich nicht bestanden habe, sei ohne besondere Voraussetzungen möglich, da insoweit zuvor ein Bescheid nicht ergangen sei. Die Voraussetzungen der Familienversicherung seien zu keiner Zeit gegeben gewesen, da der Kläger seinen Gewerbebetrieb ununterbrochen als hauptberuflich selbstständige Erwerbstätigkeit geführt habe. Der Gewerbeabmeldung komme ebenso wie der Wiederanmeldung keine Bindungswirkung zu. Der Kläger habe niemals beabsichtigt, sein Gewerbe einzustellen oder auch nur nennenswert einzuschränken. Er habe vielmehr ganz bewusst eine “Papierlage“ herstellen wollen, die der Beklagten einen unrichtigen Sachverhalt suggerieren würde. Der Bescheid vom 23.10.2017 über die Aufnahme des Klägers in die freiwillige Versicherung sei rechtswidrig gewesen, da es an einer Vorversicherung in der GKV fehle. Die Beklagte habe diesen Verwaltungsakt gemäߧ 45 SGB X wieder zurückgenommen. Die Voraussetzungen seien erfüllt, da der Bescheid auf vorsätzlich unrichtigen Angaben des Klägers beruhe und er die Rechtswidrigkeit gekannt habe. Eine Ermessensausübung der Beklagten sei ausnahmsweise entbehrlich gewesen, da aufgrund einer arglistigen Täuschung eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege(Urteil vom 22.3.2023) .

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat(Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht(Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden(Nr 3) .

Mit der Rüge des Klägers, das angegriffene Urteil des LSG sei fehlerhaft, wird keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Der Kläger hat weder in der fristgerechten Begründung seiner Beschwerde vom 25.5.2023 noch in dem nach Ablauf der Frist für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 160a Abs 2 Satz 1 SGG gegen das dem Kläger am 26.4.2023 zugestellte Urteil eingegangenen weiteren Schriftsatz vom 4.1.2024 einen der gesetzlichen Zulassungsgründe ausreichend aufgezeigt. Er macht geltend, das LSG gehe zu Unrecht davon aus, dass das Begrüßungsschreiben kein Verwaltungsakt der Beklagten sei. Es verkenne, dass die Stornierung der Familienversicherung nach§ 45 SGB X lediglich unter Ermessensausübung hätte erfolgen können und müssen. Der angefochtene Bescheid vom 20.3.2018 genüge dem Bestimmtheitserfordernis nicht. In der Frage der Ermessensentscheidung unterstelle das LSG dem Kläger zu Unrecht eine arglistige Täuschung der Beklagten. Nach alledem sei gegen die Entscheidung des LSG die Revision zuzulassen. Das Urteil des LSG könne aufgrund der "erheblichen Divergenzen bei der Anwendung des§ 45 SGB X " keinen Bestand haben. Es widerspreche Entscheidungen des BSG und der Obergerichte.

1. Damit wird die Beschwerdebegründung - selbst bei Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz vom 4.1.2024 - den Anforderungen an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend gerecht. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist(stRspr; vgl nurBSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17;BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN) . Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben(stRspr; vglBSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowieBSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6) .

a) Der Kläger benennt schon keine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts(§ 162 SGG ) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht(vglBSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) . Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann(BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN) .

b) Der Beschwerdebegründung lässt sich zudem nicht entnehmen, welche Rechtsfrage bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt sein soll, deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit erforderlich und durch das Revisionsgericht zu erwarten ist. Vielmehr rügt sie im Kern lediglich die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung im Einzelfall. Das begründet aber die Zulassung der Revision nicht.

2. Divergierende Rechtsprechung kann die Zulassung einer Revision nur begründen, wenn das angegriffene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht(§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) . Eine abweichende Entscheidung eines der aufgeführten Bundesgerichte hat die Klägerin nicht hinreichend bezeichnet.

Soweit der Kläger auf eine "Divergenz" des LSG zu der von ihm vertretenen Rechtsauffassung abstellt und hierzu Rechtsprechung des BSG zitiert, hat er nicht aufgezeigt, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG bewusst und entscheidungserheblich abweicht. Er legt nicht dar, dass das Berufungsgericht einen tragenden Rechtssatz des BSG in Abrede gestellt hätte. Vielmehr rügt er, das LSG habe die Rechtsprechung des BSG nicht hinreichend beachtet. Damit rügt er wiederum nur die inhaltliche Unrichtigkeit des Berufungsurteils. Das kann auch nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz führen(vglBSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - juris RdNr 10 mwN) .

3. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug(zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarischBSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 undBSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4, jeweils mwN; Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX, RdNr 113 ff) . Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG(vglBSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN;BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG;BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33) . Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

Soweit der Kläger mit seinen Ausführungen die Beweiswürdigung selbst angreift, ist die Beschwerde unzulässig, weil eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung gestützt werden kann(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 iVm§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG ) .

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von§ 193 SGG .

Heinz

Beck

Geiger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16339062

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