Verfahrensgang

SG Altenburg (Entscheidung vom 12.03.2019; Aktenzeichen S 2 R 341/17)

Thüringer LSG (Urteil vom 08.02.2023; Aktenzeichen L 12 R 483/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 8. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund abhängiger Beschäftigung seit 1.1.2016.

Der Beigeladene zu 1. übte in der Naturheilpraxis der Klägerin seit 1.3.2015 eine Tätigkeit auf der Grundlage eines Vertrags "über freiberufliche Tätigkeit" aus. Die Beklagte stellte im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens die versicherungspflichtige Beschäftigung in den Zweigen der Sozialversicherung sowohl gegenüber dem Beigeladenen zu 1. als auch gegenüber der Klägerin fest. Nachdem sie im Dezember 2015 eine Änderung des Vertrags vorgenommen und am 22.4.2016 erneut die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status für die Zeit ab 1.1.2016 beantragt hatten, stellte die Beklagte wiederum eine versicherungspflichtige Beschäftigung in den Zweigen der Sozialversicherung fest(Bescheide vom 5.8.2016, Widerspruchsbescheide vom 12.1.2017) .

Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt(Urteile des SG vom 12.3.2019 und des LSG vom 8.2.2023) . Das LSG hat auf die Begründung des SG Bezug genommen(§ 153 Abs 2 SGG ) und ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, das SG habe zu Recht nach dem Gesamtbild der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. in der Praxis der Klägerin das Überwiegen der für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sprechenden Kriterien bejaht. Der Beigeladene zu 1. habe in der Praxis nicht einen Raum zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit angemietet, sondern sei in die Praxisorganisation eingebunden gewesen. Er habe ausschließlich von der Klägerin zur osteopathischen Behandlung zugewiesene Patienten behandelt. Der Erstkontakt sei stets über die Klägerin gelaufen. Ein Behandlungszimmer einschließlich Einrichtung, Material und Desinfektionsmittel sei von der Klägerin zur Verfügung gestellt worden. Die dafür entrichteten 300 Euro monatlich habe der Beigeladene zu 1. nach eigenem Bekunden für die Möglichkeit zur Behandlung der von ihm selbst akquirierten Patienten bzw die Erbringung physiotherapeutischer Behandlungen gezahlt. Tatsächlich seien die Räumlichkeiten der Klägerin nur zur Behandlung der von ihr akquirierten Patienten genutzt worden. Sowohl die Vergütung von 40 Euro je behandeltem Patienten als auch die Abrechnung gegenüber den Patienten über die Klägerin seien im Änderungsvertrag wie im ursprünglichen Vertrag beibehalten worden, obwohl wegen grundsätzlich ohnehin nicht möglicher Kassenzulassung für Heilpraktiker keinerlei Notwendigkeit hierfür bestanden habe. Die Freiheit der Zeiteinteilung und damit die Entscheidung, wann der Beigeladene zu 1. seine Arbeitskraft einsetze, habe auch nicht der eines Selbstständigen entsprochen. Denn es habe in der Praxis der Klägerin keinen Raum gegeben, über den ausschließlich er verfügt habe. Keinen Einfluss auf die statusrechtliche Beurteilung der Tätigkeit in der Praxis hätten die daneben entfalteten Tätigkeiten.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist als unzulässig zu verwerfen(§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm§ 169 Satz 2 und 3 SGG ) . Die mit der Beschwerdebegründung geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und des Verfahrensfehlers(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) sind nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt(vglBSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN) . Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin trägt vor, sie gehe im Umkehrschluss zur Anlage 5 des Rundschreibens der Beklagten zur Statusfeststellung von Erwerbstätigen vom 1.4.2022 (Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Krankengymnasten) von folgendem Rechtssatz aus:

"Physiotherapeuten, Krankengymnasten und ähnliche Berufsgruppen zählen grundsätzlich zu den selbständigen Beschäftigten, wenn sie über eine eigene Betriebsstätte verfügen, sie für mehrere Praxen (mehr als einen Auftraggeber) arbeiten, Eigenwerbung betreiben und eigene Rechnungen stellen."

Da der Beigeladene zu 1. zum 1.4.2017 eine eigene Praxis mit eigenen Räumlichkeiten eröffnet habe, sei "hilfsweise" festzustellen gewesen, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt keine Versicherungspflicht vorliege.

Damit formuliert die Klägerin schon keine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung oder zum Anwendungsbereich einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts(§ 162 SGG ) oder zu deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht(vglBSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) . Die Bezeichnung einer bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann(BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN) . Rechtsfragen sind solche, die sich auf die Anwendung und Auslegung von Rechtsnormen beziehen. Davon zu unterscheiden ist die Subsumtion von Tatsachen unter unbestimmte Rechtsbegriffe einschließlich der Zuordnung einer Tätigkeit zum Typus der Beschäftigung(vglBSG Urteil vom 6.9.2018 - B 2 U 18/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 47 RdNr 15 ff) .

Abgesehen davon legt die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit nicht dar. Sie trägt lediglich vor, das LSG sei von dem von ihr formulierten Rechtsatz ohne eigene Begründung abgewichen. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit hätte Anlass bestanden, weil in der Senatsrechtsprechung bereits geklärt ist, dass die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder erfolgt, sondern ein und derselbe Beruf - je nach den konkreten Umständen des individuellen Sachverhalts - entweder in Form der Beschäftigung oder als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird(stRspr; vgl zBBSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - BSGE 128, 191 = SozR 4-2400 § 7 Nr 42, RdNr 18;BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29 RdNr 25) . Der Regelung des Leistungserbringungsrechts in§ 124 Abs 1 SGB V hat der Senat ausdrücklich keine determinierende Wirkung in Bezug auf das Vorliegen von Beschäftigung beigemessen(BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 KR 20/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 29 RdNr 28) .

2. Auch der gerügte Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers(§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) ist nicht hinreichend bezeichnet.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG(vglBSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN;BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG;BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33) . Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird, sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Diesen Anforderungen an die Bezeichnung eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör(§ 62 SGG ,Art 103 Abs 1 GG ) , weil das LSG ihr Vorbringen zur Eröffnung einer eigenen Praxis mit eigenen Räumlichkeiten durch den Beigeladenen zu 1. ab 1.4.2017 bei der Entscheidung übergangen habe. Mit diesen Ausführungen wird ein Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht nur dazu, die Darlegungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Prozessgericht muss jedoch nicht jedes Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich bescheiden. Auch wenn der Begriff der Beschäftigung als Typusbegriff grundsätzlich eine Gesamtbewertung aller rechtlich maßgeblichen Einzelfallumstände erfordert, muss das Gericht in den Entscheidungsgründen nicht zu allen Ausführungen der Beteiligten Stellung nehmen. Das ergibt sich unmittelbar aus§ 128 Abs 1 Satz 2 SGG , wonach in dem Urteil die "leitenden" Gründe anzugeben sind. Unerwähnt bleibende Umstände sprechen daher noch nicht dafür, dass das Gericht den diesbezüglichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen haben könnte, sondern dass es diesen Umständen bei der Gesamtwürdigung kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat.Art 103 Abs 1 GG schützt auch nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt(vglBSG Beschluss vom 27.3.2014 - B 9 V 69/13 B - juris RdNr 15 mwN) . Daher muss eine Beschwerdebegründung "besondere Umstände" aufzeigen, aus denen sich klar ergibt, dass das Gericht seinen Pflichten nicht nachgekommen ist(vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris RdNr 11 mwN;BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 = juris RdNr 44) . Solche Umstände sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Auch die Rüge der Klägerin, das LSG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht(vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris RdNr 21 und 28;BSG Beschluss vom 3.3.2022 - B 9 V 37/21 B - juris RdNr 11 ) . Weshalb nach diesen Maßstäben eine Überraschungsentscheidung vorliegen soll, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Soweit die Klägerin insbesondere der Auffassung ist, aufgrund ihres Vortrags im Berufungsverfahren und der von ihr gestellten Haupt- und Hilfsanträge sei das LSG zu bestimmten Verfahrensschritten und einer bestimmten Argumentation in den Entscheidungsgründen gezwungen gewesen, legt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar, inwieweit dies unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des LSG notwendig gewesen wäre.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen(§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ) .

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm§ 154 Abs 2 und 3,§ 162 Abs 3 VwGO . Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm§ 52 Abs 1 und 2,§ 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie§ 63 Abs 2 Satz 1 GKG ..

Heinz

Beck

Geiger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16339044

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